Ökologische Zeitbomben

DIE EU-OSTERWEITERUNG UND DAS ZYANID IN THEISS UND DONAU Beginnt jetzt erst recht ein Pokern um Übergangsfristen und Umweltstandards?

Eines hat der Blitzbesuch von EU-Umweltkommissarin Margot Wallström an den zyanidverseuchten Donau-Nebenflüssen in Rumänien und Ungarn fürs erste bewirkt: Der Verursacher der größten ökologischen Katastrophe seit Tschernobyl wurde vom hohen Ross gestoßen. Noch Tage, nachdem sich die Giftbrühe aus dem geborstenen Rückhaltebecken der Goldgrube Baia Mare in die Umwelt ergossen hatte, suchte der Chef der australisch-rumänischen Betreiberfirma seine Hände in Unschuld zu waschen. Das Fischsterben, so tönte er, sei im Februar nicht ungewöhnlich und könne ebenso gut auf witterungsbedingten Sauerstoffmangel zurückzuführen sein.

Inzwischen hat die Intervention der schwedischen EU-Kommissarin australischen Profitjägern wie rumänischen Teilhabern klargemacht, dass es sich um kein Kavaliersdelikt handelt, das im Gemauschel mit nationalen Behörden sang- und klanglos unter den Teppich gekehrt werden kann. Die Rechnung allerdings dürfte wohl - wie bei Umweltschäden Usus - bald der öffentlichen Hand vorliegen, also nicht zuletzt auch der EU-Kommission. Dann aufzubringende Mittel wolle Brüssel aber nicht zusätzlich spendieren, sondern aus laufenden Hilfsprogrammen für die EU-Aspiranten Ungarn und Rumänien abzweigen, hat Wallström bereits durchblicken lassen.

Die EU-Kommissarin wird sich darüber hinaus auch mit adäquaten Hilfsmaßnahmen für das gleichfalls schwer angeschlagene Jugoslawien beschäftigen müssen. Dort sind die Konsequenzen für die landwirtschaftlichen Erträge noch gar nicht absehbar. In der serbischen Provinz Vojvodina - der Kornkammer Jugoslawiens - werden bis zu 40.000 Hektar normalerweise mit den jetzt kontaminierten Fluten der Theiss bewässert. Jugoslawien ist insofern doppelt geschädigt, da das Land noch immer schwere Umweltschäden infolge des Luftkrieges der NATO verkraften muss. Sollte für Serbien nichts geschehen, wird das nicht allein die dortige Bevölkerung treffen. Das »Problem« könnte am Unterlauf der Donau nach Bulgarien und Rumänien und damit auf künftiges EU-Gebiet zurück gespült werden - möglicherweise bis ins Donau-Delta, eines der wichtigsten intakten Feuchtbiotope Europas.

Die schwere Flussvergiftung wird nun dem ohnehin heiklen Thema Umwelt bei den Verhandlungen über die EU-Osterweiterung ohne Zweifel einen noch höheren Rang geben. Bekanntlich gibt es den Wunsch der Kandidaten, langfristige Übergangsregelungen in Anspruch zu nehmen. So will Polen die EU-Abwassernormen wegen der damit verbundenen, extrem hohen Investitionen frühestens 2010 anwenden. Damit steht Brüssel vor dem Dilemma, entweder konziliant zu sein und ökologische Risiken in Kauf zu nehmen oder sich mit steigenden Forderungen der Bewerber konfrontiert zu sehen. Der Finanzbedarf, um geltende EU-Standards bei den zehn Beitrittskandidaten durchzusetzen, wird auf 120 Milliarden Euro veranschlagt. EU-Kommissar Verheugen will zumindest die ökologischen Zeitbomben entschärfen, die in allen Beitrittsländern lagern. Vorzugsweise dort, wo grenzüberschreitende Gefahren drohen, will er sogar mehr zuschießen als geplant.

Ein Pokern um Übergangsfristen birgt nicht zuletzt deshalb Gefahren, weil schon jetzt in Osteuropa auch zahlreiche westliche Investoren geltende Umweltauflagen unterlaufen. Es gebe in seinem Land eine Vielzahl von Beispielen für Technologien, die im Westen verboten sind, klagt der Vorsitzende des Umweltausschusses im ungarischen Parlament, Zoltan Illes. Verlängerte Übergangszeiten würden so einer Legalisierung des Umweltdumpings auf dem europäischen Binnenmarkt Vorschub leisten. Sie böten der Industrie-Lobby eine Steilvorlage, um das nationale Schutzniveau zu unterlaufen.

Ökologische Zeitbomben ticken aber nicht nur im Osten. Bergbautechnologien wie im rumänischen Baia Mare werden nach Angaben der zuständigen EU-Kommissarin auch in Spanien, Portugal oder Schweden praktiziert. Der World Wide Fund of Nature (WWF) nennt die Abbaupraktiken in dortigen Erzbergwerken eine »riesige Gefahr für die Flüsse in Europa«. Die Donau-Katastrophe sei nur das jüngste Glied in einer Kette ähnlicher Unfälle. In einem seit April 1999 vorliegenden WWF-Report - erstellt nach der Verseuchung des südspanischen Nationalparks Donana 1998 - wird auf Störfälle in Schweden, Spanien, Italien, Portugal und Großbritannien sowie auf eine unsichere Entsorgung für Abfälle in Finnland, Griechenland, Österreich und Frankreich verwiesen. Einige der WWF-Forderungen hat Wallström unterdessen aufgegriffen. Ein Dossier sämtlicher Bergbau-Aktivitäten und Rückhaltebecken mit giftigen Rückständen soll im Rahmen eines EU-Aktionsplanes zur Katastrophen-Prävention abgeschlossen werden. Schärfere Vorschriften dürften angesichts des Widerstandes der Minen-Unternehmen aber vorerst ausbleiben. »Das wird dauern und die Mitarbeit aller Mitgliedsstaaten erfordern«, meinte Wallström vor der Presse.

Schwierig wird wegen des bescheidenen Brüsseler Zivilschutz-Budgets auch die angestrebte Einrichtung eines europaweiten Frühwarnsystems für Umwelt-Katastrophen - noch schwieriger dürfte die von Wallström in Rumänien beschworene Durchsetzung des Verursacher-Prinzips werden. Dafür sind selbst in der EU die rechtlichen Voraussetzungen mehr als dürftig. Nach jahrelangem Streit hat die EU-Kommission das heiße Eisen zwar verdienstvollerweise angepackt. In einem »Weißbuch«, das sie nach dem jüngsten Tanker-Unglück vor der französischen Atlantikküste absegnete, wird eine EU-Rahmenrichtlinie über die Umwelthaftung erörtert. Damit sollen zum einen die unterschiedlichen nationalen Regressbestimmungen für Schäden an Gesundheit und Eigentum angenähert werden, zum anderen wird erstmals angestrebt, der Wirtschaft auch Kosten für die Beseitigung ökologischer Schäden in Rechnung zu stellen. Doch solange für die Unternehmen in dieser Hinsicht keine Versicherungspflicht bestehe, bleibt »Umwelthaftung« nicht mehr als ein Papiertiger.

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