Öl ins Feuer

Strafvollzug Statt im Streit um die Sicherungsverwahrung zur Vernunft zu mahnen, gießt auch Karlsruhe Öl ins Feuer und brandmarkt den Europäischen Gerichtshof als Sicherheitsrisiko

Die deutsche Justiz zeigt sich völlig überfordert. Selbst das Bundesver­fassungsgericht hat im Konflikt um die Sicherungsverwahrung jetzt noch Öl ins Feuer gegossen, statt zu Vernunft und Gelassenheit zu mahnen. Bei der mündlichen Verhandlung in dieser Woche deutete sich an, dass Karlsruhe in einigen Monaten ein Urteil sprechen wird, das dem Gericht noch leid tun könnte.

Rund einhundert Straftäter sind aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen, weil diese Verwahrung nicht nachträglich angeordnet oder rückwirkend verlängert werden darf. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden. Natürlich ist das nicht populär und bedarf sorgfältiger Vorbereitung und Betreuung, weil die Männer zumindest nach Aktenlage als gefährlich gelten.

Doch die deutsche Justiz geht aus Angst vor den Boulevardmedien so feige und kopflos mit dem Vorgang um, dass die Befürchtungen der Bevölkerung geradezu befeuert werden. Kein einziger Justizminister wagte es, die Freilassung der Männer einfach anzuordnen. Also wurden Gerichte angerufen. Doch nur wenige Oberlandesgerichte fanden den Mut, die rechts­widrig Inhaftierten freizulassen. Viele andere Gerichte sehen sich durch deutsches Recht gehindert – erst müsse der Gesetzgeber aktiv werden, fordern sie. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält sich aber auch lieber heraus und verweist auf die Gerichte, die zuständig seien. Ein Ende dieses Trauerspiels, bei dem die Verantwortung nur weitergereicht wird, ist nicht abzusehen.

In solchen Momenten ist man eigentlich froh, dass es in Deutschland ein Verfassungs­gericht gibt. Seine Aufgabe – die es in der Vergangenheit schon oftmals wahrgenommen hat – ist nicht zuletzt, die Grundrechte auch in unpopulären Fällen durchzusetzen. Doch auch Karlsruhe wird nun nicht die Freilassung der Männer anordnen, sondern plant offensichtlich ein Urteil, das die Freilassung geradezu verhindern soll. Es setzt sich damit an die Spitze des Justiz-Widerstands gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Statt diesen zu unterstützen, wird er als eine Art Sicherheitsrisiko gebrandmarkt, der die „Sicherheitsinteressen der Bevölkerung nur ganz am Rande in den Blick genommen hat“, so die Be­hauptung von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle.

So wird aber nicht nur die Akzeptanz des Straßburger Gerichtshofs untergraben. Wenn Karlsruhe nicht aufpasst, kann sich diese Argumentation auch bald gegen das eigene Haus wenden. Denn die staatlichen Schutzpflichten, die die Richter jetzt hochleben lassen, erinnern doch sehr an das „Recht auf Sicherheit“, das von konservativen Juristen schon lange gefordert wird, um im Kampf gegen den Terror das meist lästige Verfassungsgericht aushebeln zu können. Die Grundrechte schützen dann nicht mehr gegen den Staat, vielmehr sollen Schutzpflichten den Staat zum Überwachen und Wegsperren von Menschen zwingen.

Wie mehrere Sachverständige in der Verhandlung bestätigten, wird die Gefährlichkeit der Sicherungsverwahrten tendenziell überschätzt. An ihnen wird ein Exempel statuiert, Sicherheit wird inszeniert. Das Bundesverfassungsgericht will nun offensichtlich lieber Teil der Inszenierung sein, als diese zu beenden.

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