Oliver Bierhoff ist der Marketing-Mainstream, den die Fans nicht mehr wollen
Porträt Oliver Bierhoff animierte Fußballspieler zum Lesen, wollte im Teamquartier die Zelle Nelson Mandelas nachbauen und machte die Nationalmannschaft zum Influencer. Jetzt, nach dem WM-Aus, verliert der deutsche Fußball seinen Generalschuldigen
Oliver Bierhoff hat seinen Vertrag beim DFB nach dem WM-Aus in Katar aufgelöst
Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images
Oliver Bierhoff hatte Pech: Er verfehlte immer den Zeitgeist. Das begann, als er Spieler war, Mittelstürmer, kopfballstark, Mitte der 1990er Jahre. Der Fußball gehörte den lauten Männern. Lothar Matthäus, aus dessen Mund Bild-Zeitungs-Texte purzelten, Stefan Effenberg, der Konkurrenten und Kollegen einschüchterte, Mario Basler, der sich als Thekenkicker inszenierte, Jürgen Klinsmann, der mit Lothar Matthäus stritt und eine Werbetonne kaputt trat. Oliver Bierhoff war anders: Er fand keinen Platz in der Bundesliga, spielte in Österreich und Italien, er studierte und hatte gepflegte Umgangsformen. Besuchten ihn Journalisten in Mailand zum Interview, bezahlte er diskret die Café-Rechnung. Als er Nationalspieler wurde, konnten viele nichts mit i
e Umgangsformen. Besuchten ihn Journalisten in Mailand zum Interview, bezahlte er diskret die Café-Rechnung. Als er Nationalspieler wurde, konnten viele nichts mit ihm anfangen, er schien nicht reinzupassen in diese grobe Gesellschaft. Er war ein Kopfballspieler, aber wurde dafür nicht erkannt wie Horst Hrubesch („Manni Flanke, ich Kopf, Tor“). Als er dann auch noch das „Golden Goal“ zur Europameisterschaft 1996 erzielte, bekam er Werbeverträge und die anderen nicht.Oliver Bierhoff hat den Fußball mit den Jahren vom Prollsport in eine Oliver-Bierhoff-Welt verwandelt, die Nationalmannschaft, in der er einst spielte, als Manager zum Profitcenter des Verbands gemacht, und viele bekamen Bierhoff-Werbeverträge – aber trotz aller Erfolge, die in die Zeit seines Wirkens beim Deutschen Fußball-Bund fallen, ist das nun auch wieder nicht recht. Die Fans wünschen sich ihren Sport in ein Ambiente zurück, das sie für ursprünglicher, für authentischer halten. Für alles, was sie ablehnen, steht Oliver Bierhoff. Er ist der Marketing-Mainstream, der nicht mehr gewollt ist. Was lange währte, endet in einer kalten, sachlichen Vertragsauflösung.Es fing mit Jürgen Klinsmann anWar Fußball-Deutschland undankbar? Oder hat Oliver Bierhoff seine Rolle überspielt? Vielleicht hat er am Anfang vieles richtig gemacht und zuletzt mehr falsch.Er kam zwei Jahre nach Ende seiner Spielerkarriere zum DFB. 2004 war das, er wurde Teammanager. Den Posten hatte es schon zuvor gegeben, doch Bernd Pfaff, der ihn besetzte, war ein Verbandssoldat, der die Hotels und Flüge buchte. Bierhoff konnte viel mehr. Er fing mit dem neuen Bundestrainer und Reformer Jürgen Klinsmann an. Der Teammanager entlastete den stressanfälligen Trainer und wurde zum Sprecher der Nationalmannschaft, wenn Sonnyboy Klinsi wochenlang in seiner kalifornischen Heimat untertauchte. Bierhoff war innovativ, er beschäftigte die Spieler mit Kaminabenden, zu denen er Extremsportler einlud, oder mit Uhrmacherkursen. Er animierte zum Lesen und trainierte manchmal selbst mit, doubelte den kopfballstarken Mittelstürmer, wenn der kommende Gegner einen solchen Typen hatte. Er entwickelte auch ein Gespür dafür, wann eine Aktion übertrieben sein könnte. Dann fing er seine eigene Idee wieder ein – wie die bei der WM 2010 in Südafrika, im Teamhotel die Gefängniszelle des Freiheitskämpfers Nelson Mandela originalgetreu nachbauen zu lassen, um die Spieler zur Demut zu veranlassen.„Die Mannschaft“ als InfluencerMit dem Weltmeistertitel von 2014 verloren viele im DFB die Demut: Bundestrainer Joachim Löw, der sich für unbesiegbar hielt und die Schlagzahl seiner Arbeit reduzierte; selbst in die Presseabteilung strahlte die Selbstzufriedenheit des Lebens als Champions hinein. Bierhoff wurde gefeiert für seine Quartierwahl in Brasilien (das Campo Bahia, in dem die Spieler zur Freundesbande verschmolzen), fortan drehte er am großen Rad. Er sah sich nicht mehr nur als Teammanager, sondern als Instanz, die die große Linie des deutschen Fußballs vorgab. Er hatte mal ein Gutachten in Auftrag gegeben bei einer privaten Hochschule, ermittelt worden war, was die Nationalmannschaft den Menschen im Land bedeutete. Er nannte sie „die vierte Kraft“. Das Team wurde zum Influencer, sollte nicht nur für Leistung stehen, sondern auch für gesellschaftliche Werte. Aus der Nationalmannschaft wurde „Die Mannschaft“. Bierhoff präsentierte neue Werbepartnerschaften. Es war der Punkt, an dem für viele Fans die Entfremdung begann. Länderspiele wurden unerträglich, wenn der von Bierhoff initiierte „Fanclub Nationalmannschaft powered by Coca Cola“ seine seelenlosen und von PR-Agenturen betreuten Choreografien aufzog.Gegner hatte Bierhoff auch, als es gut lief. Rudi Völler, unter dem er noch gespielt hatte, verhöhnte ihn lange nach der aktiven Laufbahn wegen seiner „Malta-Füße“ (Völler wollte sagen: Kein guter Fußballer), aus München klagte ihn Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern als „Ich-AG vom Starnberger See“ an. Doch niemand konnte verhindern, dass Bierhoff seine Machtfülle ausbaute: vom Teammanager zum Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie. Die wissenschaftliche Ausrichtung des DFB, der Bau eines Elitezentrums, wie es etwa die Franzosen längst hatten, wurden zu seinem Lebensprojekt. Doch Bierhoff schlug längst zu viel Misstrauen entgegen, als dass die Fußball-Universität vorbehaltlos akzeptiert werden würde. Als er ankündigte, dort würde auch mit den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz gearbeitet, erntete er nur Erschrecken: Was tut Bierhoff dem guten alten Fußball noch an?Es ist eine bittere Pointe, dass es jetzt endet mit dem DFB und ihm, nachdem die Akademie in Betrieb genommen worden ist. Dass sich die Forderung „Bierhoff raus“ erfüllt, wird erst einmal Leere hinterlassen – vor allem bei jenen, die sie über die vergangenen Jahren immer dringlicher gestellt haben. Der deutsche Fußball verliert seinen Generalschuldigen.
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