Es ist die Stunde Null: Die in Schwarz-Weiß-Bildern gezeigte Stadt irgendwo in Deutschland liegt in Schutt und Asche. Die Vergangenheit ist vorbei, aber die Zukunft hat noch nicht begonnen. Zumindest ist das die Stimmungslage, die man mit dem Zustand der unmittelbaren Nachkriegszeit assoziiert.
Den vollständigen Bruch hat es so nie gegeben, die Gesellschaft mitsamt ihren Werten und Glaubensvorstellungen ist nicht urplötzlich eine andere geworden. Selbst wenn die Männer noch fehlen und ihre Ehefrauen, Töchter und Schwestern – auch das ein stark mythisch aufgeladenes Bild – kurzzeitig in ihre Rollen schlüpfen, das Chaos beseitigen und späteren Generationen als „Trümmerfrauen“ bekannt sein werden. Oliver Kracht beleuchtet in seinem Film beides: Die Zäsur jener Zeit und den damit verbundenen Reiz, an einen fundamentalen Wandel der Verhältnisse zu glauben, einerseits. Und die absolute Vergeblichkeit dieses Glaubens andererseits. An Protagonistin Charlotte Schumann (Laura Balzer) stellt er heraus, wie sehr ein grundsätzliches Machtverhältnis weiterexistierte: das Patriarchat.
Charlotte, das titelgebende Trümmermädchen, ist schwanger von Ludwig (Henning Flüsloh), einem Kriegsheimkehrer und Textilfabrikanten-Sohn, der keine langfristige Verbindung mit ihr möchte. Um sich vor Ächtung und Armut zu bewahren, sieht sie nur einen Ausweg: den Mann zurückerobern, so wenig ihr anscheinend auch an ihm liegt. Dafür sucht sie sich Hilfe bei der ominösen Gloria Deven (Valery Tscheplanowa), die zu einem „Fräuleinkurs“ lädt. In acht Unterrichtseinheiten klärt sie ihre Schützlinge, zu denen noch Corinna (Lara Feith), Evi (Lena Urzendowsky), Pauline (Katja Hutko) und Karin (Anna Gesa-Raija Lappe) gehören, nicht etwa darüber auf, wie man zur folgsamen Ehefrau wird, sondern zeigt Wege, wie man Macht über potenzielle Ehemänner erlangt. Gleich während der ersten Stunde stellt Gloria das Ende des Matriarchats als Ursprung jeden Übels heraus und benennt die Angst vor dem weiblichen Prinzip als Grund für die Reduzierung der Frau auf ein bloßes Symbol, das Männer zu kontrollieren meinen.
Der punkige Stil bricht bewusst mit dem zeithistorischen Kontext
Oliver Kracht leitet eine jede dieser Kurseinheiten mit einer schnellen Collage ein. Vor grellrotem Hintergrund flackern Symbole und Schlagworte auf, meist untermalt von treibenden Elektroklängen. Trümmermädchen besticht von Anfang an durch diesen eigenwillig-punkigen Stil, der bewusst mit dem zeithistorischen Kontext bricht und klarmacht, dass der Film mit großer Lust an Überzeichnung vor allem Gegenwärtiges verhandelt.
Nach und nach führt Gloria den Teilnehmerinnen mit teils drastischen Mitteln vor Augen, wie sie von den Männern in ihrem Leben unterdrückt werden. Und lehrt sie, mit welchen Werkzeugen dagegen vorzugehen ist: Die Erkenntnisse reichen vom offenen Umgang mit der eigenen Lust bis hin zur bewussten Kontrolle der des Mannes und der Macht, die darin liegt. Ihre Schützlinge radikalisieren sich, streifen randalierend durch die Trümmer und sprühen Parolen wie „Mösen an die Macht“ und stilisierte Vulven an die Wände.
Allein ob seiner formalen Wagnisse und seines sympathisch-provokanten Erzählens würde man Trümmermädchen wünschen, dass das filmische Experiment gelingt. Doch zwischenzeitlich verliert Kracht den Fokus, führt mit Glorias Ehemann Hans (Till Wonka) eine Figur ein, die vom Wesentlichen ablenkt, und vernachlässigt die eingangs sorgsam etablierte Erzählform. Die Vorschusslorbeeren, die der Film in Form von allerlei Festivalpreisen erhielt, sind dennoch gerechtfertigt. Schon wegen seiner genüsslich vorgebrachten Widerständigkeit – sei es nun gegen das Patriarchat oder die zeitweilige Behäbigkeit des deutschen Kinos.
Info
Trümmermädchen Oliver Kracht Deutschland 2021, 123 Minuten
Kommentare 6
In kriegerischen Zeiten werden auch gern dann heroische Geschichtsklitterungen vorgenommen. So mutieren jetzt die Trümmerfrauen zu feministischer Wellness und Pionierinnen gegen das Patriarchat.
Da ich ich als gebürtiger Berliner diese Stadt noch in Trümmern kennenlernte, was eine Wohltat war, dass von den Mietskasernen nur noch Steinberge übrig geblieben waren, wo sich dann als Zeichen des Aufbruchs die Bauten des Hansaviertels im Ödland langsam abzeichneten und eine Beerdigung preußisch-nationalsozialistischen Herrenmenschentums archtektonischer Art offenbar stattfand. Das war ein Irrtum, denn es blieben von diesen alten Kästen noch genügend stehen, die später von westdeutschen Kindern reaktionärer Wohlstandsspießer besetzt wurden, um der Wehrpflicht zu entgehen. Doch die Steinberge wurden von Frauen abgeräumt, die fast nur fanatische Nazissen waren, die bei der Sportpalastrede von Goebbels ekstatisch kreischten, von den Augen des "Führers" schwärmten und nebenbei fleißig andere Bürger denunzierten, so dass an vielen Gaslaternen Menschen baumelten, die diesen Wahnsinn nicht mehr mitmachen wollten. Mit Feminismus hat diese religiöse Anbetung männlicher Nazigrößen wohl nichts zu tun. Deshalb war es eine gute Idee, dass diese Frauen gezwungen wurden ein Teil dessen aufzuräumen, was auch durch ihre Unterstützung am Ende in Scherben lag.
Doch, jetzt im nicht so weit entfernten Kriege, wo man am liebsten wieder gegen den "Iwan" marschieren möchte, da kommen solche Märchen gut an.
Als großer CROSSOVER-Fan mein lakonischer Dank an dieser Stelle.
Das in der Ukraine gegenwärtig besonders hofierte und heroisierte Patriarchat und bestimmte Exponante aus der Frauenschaft (Matriarchat geht anders) rühren gerade eine Melange der besonderen Art an.
Nichts Neues, sondern nur die Fortsetzung von bereits Bekanntem.
Die Scheinheiligkeit ist weiblich. Da kannste wohl nix machen.
Mehr lohnt nicht.
Und was meinen Teil am manN angeht:
nee, das wünsche ich nicht.
Initiative PRO INHALTE (IPI)
'Sei immer treu und edel, und ein deutsches Mädel.'
„Den vollständigen Bruch hat es so nie gegeben, die Gesellschaft mitsamt ihren Werten und Glaubensvorstellungen ist nicht urplötzlich eine andere geworden. .."
-
Das Gefährliche an einer Schneewittchen-Variante des deutschen Feminismus (als geschichtliche Langzeitentwicklung betrachtet) ist die Verquickung eines romantisch-heroischen Frauenbildes mit einer verzeichneten, vorschnellen Form der Aufklärung, in deren Sog sich leicht Nationalismus und Militarismus tummeln können.
Deutschland hat in seiner Mythen-, Legenden-, Kultur-, Rechts- und Nationalbildung historisch eine sehr starke Verwurzelung in einem Frauenbild, das den Typus der ‚kämpfenden, schützenden, wehrhaften, züchtigen, deutschen Mutter’ verkörpert.
"Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben."
https://www.gedichte-zitate.com/schiller/die-glocke.html
-
Besonders eindrucksvoll, eindeutig nationalistisch und militaristisch, manifestiert sich dieses Bildnis als ‚Germania‘ -Teil des Niederwalddenkmals am Rhein / Taunus.
https://en.wikipedia.org/wiki/Germania_(personification)
-
Die beliebte ‚Brunhilde-, Krimhilde- und Walküren-Verkörperung‘ schufen zentrale Psychogramme in der BDM-Erziehung und deren Sozialisation, aber auch schon in den Jahrzehnten davor, und vor allen Dingen, auch in den Jahrzehnten danach.
Es lohnt sich, einmal die Fotoalben der Mütter und Großmütter zu durchstöbern.
Noch besser, die sogenannten ‚Poesiealben‘ der Mädchen und jungen Frauen, die mir bis hinein in die 70er des 20. Jh. bekannt sind.
https://www.ernst-huber.de/schulmuseum/poesiealbum/
-
„Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,“
… da taucht er dann schließlich doch noch auf, der deutsche Soldaten-Mann mit der Krieger-Mutter.
-
Der hier vorgestellte Film passt in die zeitgemäße Verdrehung der historischen Wirklichkeit, auch mit dem Ziel, den emanzipatorischen Gehalt der Gender-Diskussion zu einem medialen Geschlechter-Tohuwabohu umzuformen.
"Der hier vorgestellte Film passt in die zeitgemäße Verdrehung der historischen Wirklichkeit, auch mit dem Ziel, den emanzipatorischen Gehalt der Gender-Diskussion zu einem medialen Geschlechter-Tohuwabohu umzuformen."
Brillant.
https://www.youtube.com/watch?v=I0vbVPdChwk
The telecast of March 6, 1950 features Jussi and his wife Anna-Lisa Bjoerling in different arias and duets.
The voices of Firestone.