Onkel Klaus allein zu Haus

Hörspiel Die Familie sitzt vor Zoom und lässt sich die online bestellt Gans liefern. Sieben Jahre nach der Erstausstrahlung von „Stille Nacht" hat der WDR die Komödie neu aufgelegt. Was passiert, wenn Corona das Weihnachtsessen verkorkst
Ausgabe 50/2021
Weihnachten mit Corona-Beschränkungen
Weihnachten mit Corona-Beschränkungen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Gegen alle Widerstände, welche die Seuchenbekämpfung mit sich bringt, hat der WDR bei Paul Plamper eine Fortsetzung seiner Weihnachts-Familienkomödie Stille Nacht aus dem Jahr 2013 in Auftrag gegeben. Eine Stunde lang konnte man damals den Unterhaltungen einer Familie beim Weihnachtsessen lauschen. Die Neuauflage des Hörspiels hat dasselbe Konzept, nur dass es diesmal die Jahre 2020 und 2021 abfrühstückt und Corona das gemütliche Beisammensein in Videocalls verwandelt hat.

Gleich geblieben ist die hochkarätige Besetzung (Margarita Broich, Caroline Peters, Thomas Blisniewski, Schorsch Kamerun und Franz Broich-Wuttke). Und wieder gibt es scharfe Konfliktlinien, die auch in den Zoom-Konferenzen zutage treten. Der bildungsbürgerliche Habitus der Familie ist allerdings 2020 etwas heruntergerockt: Immerhin sind nun sieben weitere Jahre Merkel-Ära zu verbuchen und ließen die Ambitionen des Bildungsbürgertums in Unschärfe gleiten. Erstaunlicherweise ist Oma Iris immer noch mit dem jüngeren Künstlertyp Stefan zusammen, der Historiker Klaus biedert sich noch immer Mama Amarillis an und fungiert weiterhin als Patenonkel des zum Abiturienten mutierten Arthur. Allein das Geschichtsbuch für den 18-Jährigen kann mittlerweile auf den Zusatz „für junge Leute“ verzichten.

Allerdings stecken der Familie nicht nur die Merkel-Jahre in den Knochen, sondern auch die Pandemie. Mit der Zoom-Software ist man noch nicht ganz firm; es dauert, bis sich alle auf den Bildschirmen sehen. Aber immerhin kommt Arthur noch an den Tisch zu Mama, während Klaus in seine Junggesellenwohnung verbannt ist und Oma Iris in ihrer Wohnung mit der Technik und den allgemeinen Umständen hadert. Bei Klaus bildete sich schon 2020 Skepsis gegenüber den Maßnahmen heraus, die dann 2021 in eine veritable, wenn auch weiterhin mit der Distinktion des Akademikers umkränzte Depression umschlägt.

Dieses Jahr kocht gans.de

Überhaupt gelangt die Familie 2021 an einem Tiefpunkt an. Der Schöngeist ist abgenutzt. Am deutlichsten ist das an Stefans neuester „Kunstaktion“ abzulesen. Was Neues fällt ihm nicht ein, stattdessen betoniert er in bester Bruce-Nauman-Manier die Küchengeräte von Iris ein und verschickt die über 60 Kilogramm schweren Pakete an die Familie. Arthur, mittlerweile echt „woke“, sieht daraufhin in ihm nur noch den alten weißen Mann, der er im Grunde genommen auch ist. Erstaunlich ist, dass das alles als Hörspiel genauso wunderbar funktioniert wie zuvor, als alle an einem Tisch saßen. Das Essen wird nun eben von gans.de geliefert und dank der unterschiedlichen Qualitäten der jeweiligen Stimmen wissen wir immer genau, bei wem zu Hause wir uns gerade befinden. Die Unklarheit, ob das Mikrofon nun an ist oder nicht, gibt den familieninternen Intrigen eine besondere Würze.

Schon 2013 bestach Paul Plampers direkter Zugriff auf das Medium Hörspiel, dieses direkte Eintauchen in die archetypische Situation eines Familien-Festessens. Nun wird diesem Genre durch die „aktuelle Situation“ eine neue Facette zugefügt. Einzig mit dem obligatorischen, für Klaus „nicht verhandelbaren“ gemeinsamen Blockflötenkonzert bewegt sich das ansonsten sehr hörenswerte Stück etwas zu nah an – wenigstens meine – Schmerzgrenze heran.

Stille Nacht 2 von Paul Plamper wird am 19. Dezember ab 19:04 Uhr auf WDR 3 erstmalig ausgestrahlt

Stille Nacht aus dem Jahr 2013 wird am 18. Dezember ab 19.04 Uhr auf WDR 3 und am 19. Dezember ab 17.04 Uhr auf WDR 5 noch einmal ausgestrahlt. Beide Hörspiele sind danach in der Mediathek verfügbar.

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