Onkel Rainer kommt

Ortstermin In einer ­Hauptschule versteckt Wirtschaftsminister Brüderle das FDP-Programm hinter ­seinem breiten Lächeln

Der Geruch von konzentriertem Reiniger liegt im Treppenhaus der Riesengebirgsschule. Ein Hausmeister schrubbt noch die letzten Flecken vom Geländer. Ein Schüler mit viel zu großem Sakko steigt die Stufen in den dritten Stock hinauf. Man hat sich herausgeputzt hier in Berlin-Schöneberg. Schließlich erwartet man hohen Besuch. Hier, in einer Schule, in der Haupt-, Real- und Integrationsschüler zusammen lernen, will die Bundesregierung ihr neues Programm „Traumberuf Chef“ vorstellen. Und das übernimmt einer, auf den der Programmtitel ganz besonders gut passt: Der Bundeswirtschaftsminister.

Man hätte Rainer Brüderle schon abschreiben können. Schließlich wechselte er ausgerechnet 1998 aus der Landespolitik in den Bundestag – dem Jahr also, in dem sich die FDP nach 29 Jahren wieder aus der Bundesregierung verabschieden musste. Dazu kam ein jahrelanger Konkurrenzkampf mit FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms. Denn es war klar: Sobald die Liberalen wieder Regierungsverantwortung übernehmen, ist nur Platz für einen von beiden im Kabinett, da das Finanz- und das Wirtschaftsministerium traditionell nicht an die gleiche Partei gehen. Nicht wenige hatten im vergangenen Herbst eher auf Solms gesetzt, doch dann berief Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren bisherigen Innenminister Wolfgang Schäuble als neuen Finanzminister. Damit war der Weg frei für Brüderle. Er ist jetzt da, wo er immer hin wollte. Er ist wieder Chef.

Davon ist in der Riesengebirgsschule allerdings nichts zu spüren. Lässig auf das Rednerpult gestützt gibt Brüderle den Onkel Rainer. Er tauscht Rezepte mit einer Schülerin aus, die gern ein Restaurant mit deutscher Küche eröffnen will, er futtert sich durch das von einer Schülerfirma aufgebaute Buffet und lacht breit in jede Kamera. Den Schülern gefällt’s. Onkel Rainer Superstar.

Gedanken an gebärende Kühe

Da fällt kaum auf, dass hier Lebenswelten aufeinander prallen, die kaum zusammen passen. Als Brüderle wissen will, wer denn Eltern habe, die selbstständig seien, hebt nur ein Mädchen die Hand. Als der Minister wiederum gefragt wird, was denn mit denen geschehe, die als Unternehmer scheitern, spricht er nicht etwa über den Sozialstaat, sondern über das Konkursrecht. Seine Botschaft bleibt auch hier, in einer Schule, die im vergangenen Jahr nur einDrittel ihrer Absolventen in Ausbildungsverhältnisse vermitteln konnte, die gleiche wie immer. „Wir brauchen mehr von euch, die mitmachen“, sagt Brüderle. Schließlich habe Deutschland eine der niedrigsten Selbstständigenquoten in Europa.

„Die im öffentlichen Dienst sagen oft ,Geh lieber in die Selbstständigkeit. So schön ist es beim Staat auch nicht‘“, sagt Brüderle, der sein ganzes Berufsleben irgendwie für den Staat gearbeitet hat. Doch das erzählt er den Schülern nicht. Er spricht lieber davon, dass er eigentlich Tierarzt werden wollte, aber seine Meinung beim Gedanken an gebärende Kühe geändert hat. Er zwinkert bei solchen Geschichten. Weiter kann man sich vom Klischee des liberalen Schnösels kaum entfernen, als Brüderle in diesem Moment. Er gibt den burschikosen Weinköniginnenminister, als der er noch aus seiner Zeit in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz bekannt ist.

Dass er auch anders kann, zeigt er Minuten später im Gespräch mit Journalisten. Die angekündigten massiven Einschnitte der griechischen Regierung ins soziale Netz nennt er „beachtlich“. Er glaubt, dass sie schnell umgesetzt werden müssen. Das wird schwer, aber „wenn man will, kann man vieles“. Jetzt lächelt er nicht mehr.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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