Interventionsfieber Die Aufstände ringsherum ließen Muammar al-Gaddafi wanken – ihre Folgen könnten ihn retten. Die Arabische Liga wird sich gut überlegen, ob sie eine Luftblockade absegnet
Es wäre so naheliegend wie selbstmörderisch, sollte sich Barack Obama einen Libyen-Krieg einfangen. Für einen Präsidenten, dem Handlungsmacht und -willen durch die Finger rinnen, wäre eine Invasion gegen Muammar al-Gaddafi womöglich ein Befreiungsschlag. Nur für wie lange, wenn überhaupt? Als Kombattant in den libyschen Bürgerkrieg zu ziehen, erscheint hochriskant, auch wenn ein solches Unternehmen dem Weißen Haus ein Ende der Ohnmacht verspricht. Die Regierung Obama müsste nicht länger zusehen, wie es treue Verbündete – Libyens Staatschef gehörte zwar nicht dazu, doch hatten die USA gegen gelegentliche Dienste nichts einzuwenden – aus dem Amt treibt. Man könnte selbst Hand anlegen, Gaddafi stürzen
en und gleich noch an den Internationalen Strafgerichtshof ausliefern, den US-Administrationen gewöhnlich missachten und mit gewaltsamen Strafaktionen bedrohen, sollten seine Autoritäten US-Bürger festsetzen und anklagen. Auch als Friedensnobelpreisträger würde sich Obama in Erinnerung bringen, um dem Osloer Vergabekomitee zu bescheinigen, wie tendenziös und blind es 2009 entschieden hat. Schließlich – was kann arabischen Revolutionären Besseres widerfahren, als die militärische Stoßkraft einer Großmacht auszukosten, die sich im Nahen Osten mehr als einmal um Luft- und Landkriege mit Hunderttausenden von Toten, um Besetzung und Besatzung, um Folterszenen in Abu Ghraib oder Deportationen ohne Gerichtsurteil verdient gemacht hat. Es wird Oberst Gaddafi nicht schwerfallen, seine Gefolgschaft zu „antiimperialistischer Standhaftigkeit“ aufzurufen, sollte Libyen durch einen solchen Gegner attackiert werden.Was blieb übrig?Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass sich die Vereinigten Staaten in der Region nach wie vor militärisch Geltung verschaffen können – aber daraus weder ein politischer, geschweige denn moralischer Führungsanspruch abzuleiten ist. Wenn der nicht schon immer abwegig und anmaßend war, hat ihn spätestens George Bush verspielt, ohne dass sein Nachfolger im Präsidentenamt die USA rehabilitieren konnte. Was blieb übrig von der Vision, nach dem Sturz Saddam Husseins würden in Nahost Prosperität, Demokratie und Menschenrechte gehortet? Vor allen anderen haben die USA ihren Phrasen nicht geglaubt und sich entsprechend verhalten.Als Barack Obama – damals gerade vier Monate im Amt – am 4. Juni 2009 seine Kairoer Rede hielt, wurde den Arabern, besonders den Palästinensern, eine neue Partnerschaft versprochen. Es sollte mehr Augenmaß der Amerikaner, mehr Respekt und vor allem mehr Verständnis für legitime arabische Interessen geben. Nichts dergleichen geschah. Allein zu einem Teilabzug aus dem Irak musste sich die US-Armee durchringen, was am Siechtum dieses Landes bisher wenig geändert hat. Obama und Hillary Clinton mochten wortreich für einen palästinensischen Staat werben – wirklich etwas dafür tun, wollten sie nicht. Sie mochten einen israelischen Premier ermahnen, den Palästinensern wenigstens durch einen Siedlungsstopp entgegenzukommen – ihn wirklich durchsetzen, wollten sie nicht. Benjamin Netanjahu ließ ein solches Ansinnen an sich abtropfen und den palästinensischen Präsidenten bis zur Demütigung auflaufen, dass nur Verhandlungsverzicht als Antwort blieb. Das Wort Heuchelei wirkt blass und beinahe deplatziert, wenn sich eine Regierung in Washington dazu versteigt, humanitäre Verantwortung für Libyen zu reklamieren, die ihr im Irak, in Palästina, in Mubaraks Ägypten oder Salehs Jemen bisher vermutlich absurd erschien.In Wirklichkeit winkt erneut ein Krieg. Ein Feldzug ohne Ende wie im Irak und in Afghanistan. Deshalb die Warnung von Verteidigungsminister Gates vor dem US-Kongress, wer Gaddafi den Luftraum sperren wolle, müsse seine Luftabwehr ausschalten. Das wiederum bedeute, ihn anzugreifen. Das Naheliegende zu tun, heißt eben, das Selbstmörderische gleich mit zu erledigen.Es klingt paradox Vergleiche mit dem ab 1991 gegen Saddam Hussein durchgesetzten Flugverbot über dem Nordirak erinnern daran, dass seinerzeit in keinen Bürgerkrieg eingegriffen, sondern eine geschlagene Armee diszipliniert wurde. Saddam Hussein hatte während der „Operation Wüstensturm“ Anfang 1991 mit dem größten Teil seiner Luftstreitkräfte auch jede Lufthoheit verloren, so dass er die Luftblockade über sich ergehen lassen musste. Auch gab es für ihn keine realistische Chance, in der nordirakischen Kurden-Region verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Die Dominanz der Kurden am Boden war so ungefährdet wie die der Amerikaner am Himmel. In Libyen ist Gaddafi längst nicht dermaßen in die Defensive gedrängt, dass bei einer Intervention militärische Übergemacht so leicht auszuspielen wäre wie einst im Irak.Um so mehr erweckt die US-Regierung den Eindruck, nicht allein handeln zu wollen, sondern unterstützt von der NATO, legitimiert durch ein UN-Mandat, beauftragt von der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union. Nur, welchen Grund sollte der arabische Staatenbund haben, die USA oder die NATO einzuladen, Libyen zum Exerzierfeld westlicher Ordnungspolitik zu degradieren – nach acht Jahren Irak-Besatzung, unter dem Eindruck des Sturzes von Mubarak in Kairo, inmitten eines Umbruchs von Tunesien bis Bahrain, dessen Ausgang offen ist? So paradox es klingt, der arabische Aufstand ließ Gaddafi wanken – seine Folgen könnten ihn retten. Wer derzeit von Tunis bis Sanaa regiert, wird um seiner selbst willen damit warten, in der Arabischen Liga die Hand zu heben und eine Intervention abzusegnen, auf dass erneut die Gewissheit grassiert: Der Regimewechsel in einem arabischen Land bedarf des Eingriffs von außen, um zu gelingen – fremdgesteuert, fremdbestimmt.So stigmatisiert Muammar al-Gaddafi auch immer sein mag, einen zweiten Irak in Libyen kann kein arabischer Führer riskieren (noch dazu, wenn der US-Verteidigungsminister die Erfolgsgarantien für einen Angriff verweigert). So viele Tahrir-Plätze gibt es gar nicht, um sie dafür büßen zu lassen.
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