Opfern die USA eine kurdische Autonomie?

Syrien „Sicherheitszone“, „Friedenskorridor“? Eine Pufferzone dient vor allem den Interessen des Verbündeten Türkei
Ausgabe 33/2019
55 Kilometer nördlich von Aleppo, unweit der türkischen Grenze, steht dieses Monument: Die Armbänder zeigen die türkische Flagge und die Flagge der Freien Syrischen Armee
55 Kilometer nördlich von Aleppo, unweit der türkischen Grenze, steht dieses Monument: Die Armbänder zeigen die türkische Flagge und die Flagge der Freien Syrischen Armee

Foto: Nazeer Al-Khatib/AFP/Getty Images

Von Einigung war die Rede, doch handelt es sich bei dem, was Ankara und Washington jüngst über eine „Sicherheitszone“ in Nordsyrien vereinbart haben, wohl eher um den Aufschub einer Einigung. Schon im Januar hatte sich Donald Trump prinzipiell zu dem von der Türkei seit Langem geforderten Korridor bekannt. Wie dieser konkret aussehen und in welchem Umfang er syrisches Gebiet erfassen soll, bleibt nach den vorerst abgeschlossenen Gesprächen vage. Ein gemeinsames Operationszentrum wird derzeit an der Grenze zu Syrien errichtet, offene Fragen sind scheinbar dorthin delegiert. Dass die türkische Seite weiter nach Krieg ruft, nährt den Eindruck, dass der Streit über das wahlweise als „Sicherheitszone“ oder „Friedenskorridor“ firmierende Vorhaben noch längst nicht beigelegt ist.

Beide Bezeichnungen sind freilich Propaganda. Der Türkei geht es eigenen Aussagen zufolge darum, die überwiegend linken kurdischen Milizen, die sich in den vom NATO-Partner USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräften zusammengeschlossen haben, aus einer 30 bis 40 Kilometer tiefen Zone zu vertreiben, was alle größeren kurdischen Städte einschließen würde. Welcher Art der dann folgende „Frieden“ wäre, zeigt das westlich des Euphrat gelegene Afrin, das seit März 2018 unter türkischer Besatzung steht: Hunderttausende sind aus der Region geflohen. „Sicherheit“ verspricht besagtes Vorhaben keineswegs, zumindest nicht für die in Nordsyrien lebenden Menschen, auch nicht für das Bürgerkriegsland überhaupt, das durch eine solche Konfliktzone nur weiter destabilisiert würde und dem eine Reorganisierung des „Islamischen Staates“ droht.

Sicherheit und Stabilität soll das Projekt Pufferzone indes der angeschlagenen türkischen Regierung bringen, die mit dem beginnenden Zerfall des eigenen Lagers konfrontiert ist. Nach der verlorenen Bürgermeisterwahl in Istanbul haben frühere Weggefährten des Präsidenten die Gründung einer neuen Partei angekündigt. Zudem ist da die ungewöhnliche, für Recep Tayyip Erdoğan bedrohliche Kooperation der Linkspartei HDP mit der früheren Staatspartei CHP, die Oppositionssiege bei den Bürgermeisterwahlen ermöglicht hat. Eine Eskalation in Nordsyrien dürfte diese Annäherung allerdings schnell zunichtemachen – im Gegensatz zur HDP wird die CHP stets hinter der Armee stehen. Überdies hat die Türkei mit einer Wirtschaftskrise zu kämpfen, ein Grund für die wachsende Feindseligkeit gegenüber syrischen Flüchtlingen. In der Ankündigung Erdoğans, mit der „Sicherheitszone“ Ernst zu machen, liegt nicht zuletzt das populistische Versprechen, Flüchtlinge dorthin umzusiedeln.

Für „Rojava“, den kurdischen Traum einer selbstverwalteten Autonomieregion innerhalb Syriens, würde die Pufferzone alla turca das Ende bedeuten. Vertreter der Syrischen Demokratischen Kräfte haben mehrfach die Bereitschaft erklärt, aus einem Korridor von fünf Kilometern abzuziehen, sofern nicht türkische Kräfte nachrücken. Diese Option bleibt nach der mutmaßlichen türkisch-amerikanischen Einigung bestehen, noch hat die Türkei keineswegs freie Hand. Selbst wenn Ankara behauptet, man werde notfalls eigenständig losschlagen, bleibt dies unwahrscheinlich. Dass aus Washington in den kommenden Monaten doch noch grünes Licht kommt, ist indes weiterhin möglich. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Großmacht kurdische Zweckverbündete fallen lässt.

Nelli Tügel arbeitet als freie Journalistin und als Redakteurin bei ak – analyse & kritik

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