Option Lega Ost

AfD Nach dem Rauswurf von Andreas Kalbitz steckt die Partei in der größten Krise seit ihrer Gründung
Ausgabe 21/2020
Uneins bis zur Spaltung: Jörg Meuthen, Andreas Kalbitz und Alexander Gauland (v.l.n.r.)
Uneins bis zur Spaltung: Jörg Meuthen, Andreas Kalbitz und Alexander Gauland (v.l.n.r.)

Foto: Imago Images/IPON

In der AfD eskaliert gerade ein Machtkampf – wieder einmal. Doch der aktuelle Konflikt hat das Potenzial, die rechtsradikale Partei in den Untergang zu stürzen. Im Mittelpunkt steht Andreas Kalbitz, neben Björn Höcke Führungsfigur des – offiziell aufgelösten – völkischen „Flügel“-Netzwerks. Bis vergangene Woche war er Mitglied des Bundesvorstands und AfD-Chef in Brandenburg. Jetzt ist er diese Ämter und seine AfD-Mitgliedschaft erst einmal los. Er soll bei seiner Aufnahme in die AfD Eckpunkte seiner rechtsextremen Vergangenheit verheimlicht haben. Sieben Mitglieder des Bundesvorstands stimmten für den Ausschluss, fünf dagegen, einer enthielt sich.

Der Ausschluss ist Ausdruck großer Nervosität. Die Parteimitglieder fürchten, dass bald nicht mehr nur Teile der AfD wie der Flügel, sondern die gesamte Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden könnten. Außerdem gelingt es der AfD seit Längerem nicht mehr, den gesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen, nachdem Migration und Integration zuerst durch die Debatte über den Klimawandel und dann durch Corona verdrängt wurden. In Umfragen geht es für die AfD bergab. Stand sie im September 2018 noch bei etwa 18 Prozent, kommt sie aktuell auf nur gut die Hälfte dessen. Zudem fehlt der Partei immer mehr die wichtige Integrationsfigur. Seitdem Alexander Gaulands Einfluss schwindet, brechen die Flügelkämpfe stärker auf. Das fragile rechte Bündnis, das sich in der AfD organisiert, könnte nun tatsächlich auseinanderbrechen. Denn anders als einst bei Bernd Lucke und Frauke Petry, die durch taktische Fehler und mangelnden politischen Instinkt nur einen kleinen Teil ihrer Anhängerschaft mobilisieren konnten, geht der Riss nun quer durch die Partei.

Zwar prägt die inhaltliche Agenda des völkischen Flügels die Gesamtpartei nach wie vor, dennoch ist das mögliche Ende Kalbitz’ ein empfindlicher Schlag: Der Brandenburger ist zwar kein guter Redner, kein Charismatiker wie Höcke, als Netzwerker und Strippenzieher verfügt er aber über Fähigkeiten, die bei Letzterem eher schwach ausgeprägt sind.

Ob der Ausschluss Kalbitz’ durch den Vorstand – und nicht etwa durch ein Schiedsgericht – rechtens war, wird zu klären sein. Eine Rolle könnte spielen, dass jener Aufnahmeantrag, auf dem er falsche Angaben gemacht haben soll, verloren gegangen ist. Bis zur Klärung gewinnt der „Flügel“ Zeit, um sich zu sortieren. Bis dahin sollen alle bleiben, wo sie sind: Kalbitz wandte sich sichtlich schockiert per Videobotschaft an seine Anhänger und bat sie „herzlich“, nicht aus der Partei auszutreten.

Würde Kalbitz’ Ausschluss rückgängig gemacht, dürfte der AfD eine bündnisorientierte Zusammenarbeit in einer Sammlungspartei schwerer denn je fallen. Sollte der Ausschluss Bestand haben, gibt es für die Völkischen drei Optionen: Kalbitz könnte erstens versuchen, wieder in die Partei einzutreten. Ob das überhaupt möglich ist, dürfte wiederum zu einer längeren juristischen Angelegenheit werden. Zweitens könnten sich die Höcke- und Kalbitz-nahen Mitglieder abspalten und eine Art Lega Ost gründen – diesen Gedanken hatte der für Neoliberale und Nationalkonservative sprechende Bundesvorstandschef Jörg Meuthen Anfang April selbst formuliert und dafür heftige Kritik einstecken müssen. Für die Flügel-Strategen ist diese Option aber eine schlechte, denn sie wissen, dass sie die Neoliberalen und Nationalkonservativen brauchen, um als führende Kraft innerhalb des rechten Sammlungsprojekts über einen größeren Resonanzraum zu verfügen. Als Lega Ost wäre eine reine Flügel-AfD wohl kaum mehr als eine Regionalpartei. So liefe es auf die dritte Option hinaus: ohne Kalbitz in einer mehr denn je spannungsgeladenen Partei zu bleiben.

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