Original

Lindksbündig In Sachsenhausen wird das Gedenkkonzept der DDR ausrangiert

Schluss mit Debattieren, jetzt wird gebaut. Zehn Millionen Euro gibt die Bundesregierung für eine Umgestaltung der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen in Oranienburg aus. Seit Jahren plädiert der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, dafür, die "überformende und interpretierende" Gestaltung der DDR-Gedenkstätte aus dem Jahr 1961 durch einen Mahn- und Lernort zu ersetzen, der sich stärker an historischen Originalzuständen orientiert. Deshalb soll man das Lagergelände zukünftig wieder über das ehemalige Haupttor betreten. Auch soll die halbrunde, den einstigen Appellplatz umfassende Mauer entfernt werden, um jene berüchtigten, strahlenförmigen Sichtschneisen wieder freizulegen, entlang derer es möglich war, mit einem einzigen Maschinengewehr vom Eingangsturm aus das gesamte Lagergelände in Schach zu halten. Und es soll die von der DDR-Planung in das Lagergelände einbezogene "Station Z", der Hinrichtungsbunker samt Krematorium, wieder deutlich nach außerhalb der Lagergrenze verwiesen werden - hätten doch, so Günter Morsch, die Häftlinge einst von diesem Ort schlimmsten Schreckens auch nichts als die Rauchfahne wahrnehmen können. Das die Bunkerreste wie ein Baldachin überdeckende hohe Dach, seit Jahren zentrale Feierstätte der internationalen Häftlingsgemeinde, soll wegen Baufälligkeit abgerissen und die alten Fundamente durch einen düster-kargen Hallenbau aus Sichtbeton eingehaust werden, düster wie die Schlackeflächen mit eingesenkten Barackenumrissen, die den bisherigen Trockenrasen mit Rosenbüschen im weiten Lagerareal ersetzen sollen. Nur der eigentümlich modernistische Obelisk, Symbolbild der DDR-Gedenkstätte, sowie das ebenfalls aus den Sechzigerjahren stammende Lagermuseum bleiben erhalten.

In dieser Düsternis, mit der das neue sich vom alten Gestaltungskonzept unterscheidet, liegt vielleicht ein Schlüssel für den weiter schwelenden Konflikt.

Noch bei einer letzten Diskussion in der Berliner Akademie der Künste Anfang September hatte Morsch ausgerechnet den Gartenarchitekten Reinhold Lingner als Protagonisten jener "antithetischen", das heißt die reale Lagersituation überspielenden Entwurfshaltung ausgemacht und attackiert: Dessen Idee eines "Gedenkparks" wirke an diesem schrecklichen Ort auf unziemliche Weise "harmonisierend". Warum gibt der Historiker nicht zu, dass zwischen "offenem Lernort" und "emotionaler Inszenierung" die Konkurrenz zweier Geschichtsbilder ausgefochten wird? Deren Differenz verdankt sich zwei Gesellschaftssystemen, die auf unterschiedliche Weise mit der NS-Zeit umgegangen sind. Im westdeutschen Verständnis endet "Nationalsozialismus" abrupt mit dem Jahr 1945, während die DDR mit ihrer Perspektive einer Überwindung des Faschismus durch organisierten Widerstand und alliierte Befreiung gewissermaßen eine Fortschreibung der Geschichte - natürlich unter entgegengesetzten Vorzeichen - betrieb. Aus dieser Verlängerung des Faschismus-Themas um ein "Kapitel des Sieges" bezogen die Gedenkstättenplanungen der DDR ihren entscheidenden Impuls. In den ideologischen Implikationen vielleicht heikel, war solche Sichtweise gerade in jenen frühen Entstehungsjahren schlechthin unangreifbar, da hinter den Projekten maßgeblich die internationalen Häftlingsorganisationen standen, die um Tote würdig trauern, aber zugleich auch den "Sieg historischer Gerechtigkeit" feiern wollten. Obendrein waren NS-Verfolgte in der DDR bis in die Führungsspitzen von Staat und Partei so zahlreich vertreten, dass eine "Instrumentalisierung des Gedenkens", wie im deutsch-deutschen Memorialstreit immer wieder formuliert, nur böswillig zu unterstellen ist: Wer wollte unmittelbar Überlebenden das Recht auf ihre Deutung absprechen?

Gerade weil in der DDR mit ihrem "Antifaschismus als Staatsraison" KZ-Gedenkstätten aus der Perspektive unmittelbar Betroffener (und nicht späterer, zum Lernen aufgeforderter Generationen) geplant worden waren, stellen ostdeutsche Mahnorte heute eine Besonderheit dar: Sie halten die Erinnerung nicht nur an ein abgeschlossenes Kapitel politischen Terrors wach, sondern thematisieren obendrein einen Fortgang der Geschichte, in welchem auch Opfer nicht davor gefeit sind, unter Umständen irgendwann selbst Täter zu werden. Eine unbequeme Einsicht, der nun mit kulturkämpferischer Attitüde wichtige materielle Zeugnisse entzogen werden.

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