Original Alter!

Ich gebe es zu, manchmal sitze ich in meiner Küche und höre gern Radio, man hat das Gefühl, jemand wäre außer mir noch da, schwatzt ein bisschen oder ...

Ich gebe es zu, manchmal sitze ich in meiner Küche und höre gern Radio, man hat das Gefühl, jemand wäre außer mir noch da, schwatzt ein bisschen oder singt ein Lied. Ich höre eine Stimme sprechen, ein bisschen kratzig, ein bisschen sächsisch, ein bisschen alt, ein bisschen verlegen, denn derjenige weiß, dass er nun öffentlich zu hören ist. Ich wünsche mir was Ausgefallenes von Deep Purple: Hey Joe!

Sofort bin ich im Saal, neben der Bühne ist gerade der Toilettenmann mit weißem Kittel rausgehinkt und überschaut die Szene, noch wird nicht geprügelt. Die Tische stehen in langen Reihen quer zur Bühne. Die Tischdecken sind schon dunkel vom Bierschaum und der Asche. Die Stühle sind wenig besetzt, nur ein paar, mit den Köpfen schon niedergesunken, auf dem Tisch, mitten in der Lache. Die meisten stehen hinter der Tanzfläche, schauen durch die Tanzenden nach vorn. Die Männer haben ihr Glas meist in der Hand. Der Daumen zeigt von oben rein ins Glas, der Griff ist um den Handrücken, die Finger lassen sich theoretisch auch mal gerade machen, wenn sie sich vom langen Halten verkrampfen. Der Schaum ist schon lange weg, aber es gibt einen Trick, den sich nur Verwegene trauen, sie nehmen einen Schluck in den Mund und spucken ihn sofort zurück, das nennt man Frisch-Machen. Jetzt aber konzentrieren sich alle Blicke auf die Bühne. Das spanische Vorspiel ertönt. Es hat etwas Königliches, Würdevolles, ja alle im Saal, nicht nur die Musiker, scheinen ihre Köpfe zu heben. Über allen schwebt der zarte Orgelspieler, der das Solo drüber zelebriert. Er allein hat die Augen dicht bei den Tasten, denn das Stück ist schwer und er weiß, dass er in der Probe immer wieder gepatzt hat.

Aber Wunder über Wunder, diesmal kommt er auch über die schwierigste Stelle, so dass man sich im Saal zurufen wird: Original, Alter! Der Sänger, der sich immer über dieses Lied geärgert hat, weil er ewig auf seinen Einsatz warten muss, dreht an den Knöpfen eines Geräts, er wird deshalb "Echoschmidt" genannt. Erst viel später wird er endlich die Zeile Hey Joe singen, dann aber wird man ihn kaum verstehen, weil nur noch das Echo durch die Boxen dringen wird. Es ist eine Eminentanlage, die auf Stativen steht, 17.000,- murmelt man sich im Saal zu, West! Die Verstärkerbox des Gitarristen hat ein original Marshall Schild dran, nur das Schlagzeug ist von Trowa, einer Firma aus dem Osten. Man weiß nicht, ob das Lob, Original, Alter! sich auf das korrekte Nachspielen von Deep Purple oder auf die Ansicht der Verstärker bezieht. Aber schon bald kann aus den Klängen, zu denen die langen Haare voreinander geschüttelt werden ein hässlicher Misston werden, wenn die ersten Gläser fliegen, ein Gescharre auf der Tanzfläche, die Mädchen kreischen, gleich wird Echoschmidt die Band unterbrechen, denn ein Glas kam gefährlich in seine Nähe. "Jokodev" unterbricht jetzt und ich bin wieder in meiner Küche am Radio.

Aber, wie ich hörte, kann man immer noch nach Berlin-Weißensee fahren, dort spielte sich die Szene vor über dreißig Jahren ab. Das Kulturhaus existiert noch, nun mit dem Namen "Peter Edel". Die Gruppe heißt anders, und alle im Saal haben inzwischen Deep Purple gesehen, im Original, Alter! Aber trotzdem, wenn du die Augen zumachst, ist es ein bisschen wie früher.

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