Original mit Untertiteln

Wiederaufnahme oder Es gibt für alles einen Grund Stephan Kimmig stellte Aki Kaurismäkis Film "Wolken ziehen vorüber" auf die Bretter des Deutschen Theaters in Berlin

Noch vor Beginn der neuen Spielzeit wartete das Deutsche Theater in Berlin mit zwei Paukenschlägen auf: Den schwelenden Konflikt um seine Vertragsverlängerung erstickte der Intendant Bernd Wilms im Keim, indem er ankündigte, das Haus im Sommer 2006 zu verlassen. Was dieses Machtvakuum für das größte hauptstädtische Staatstheater bedeutet, muss sich noch erweisen - und da die erste Saisonpremiere auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, zunächst am Repertoire. Dazu zählt mit Wolken ziehen vorüber auch eine Uraufführung: Der gleichnamige Film von Aki Kaurismäki ist zwar fast ein Jahrzehnt alt - als Theaterstück wurde das Drehbuch aber erst jetzt entdeckt.

Dass Filmstoffe auf der Bühne landen, ist weder neu noch an die junge Regisseursgeneration gebunden, deren Bildervorrat sich maßgeblich aus dem Kino und dem Fernseher speist. Eine solche Anleihe bei der "Schwesterkunst" ist so legitim wie das umgekehrte und wesentlich ältere Verfahren, das dramatischen Vorlagen den Weg auf die Leinwand ebnet: Weder Theater noch Kino erschöpfen sich im Stofflichen, so dass Adaptionen hier wie dort vor allem ein Formproblem sind.

Schon die Bühne von Claudia Rohner belegt, dass Stephan Kimmigs Inszenierung an diesem Problem scheitert. Die Schauplätze, zu denen der Film seine Hauptfiguren durch Schnitte transportiert, sind im Theater in der Tiefe gestaffelt: Der Wohnung von Ilona (Katharina Schmalenberg) und Lauri (Ingo Hülsmann) auf der Vorbühne schließt sich ein Container an, der bis zu ihrer Entlassung als Ilonas Arbeitsplatz, dann als Stellenvermittlung, Snack-Bar, Bank und schließlich als jenes Restaurant namens "Arbeit" dient, in und mit dem die Figuren der Trostlosigkeit ihres Lebens entkommen.

Um diesem Gang der Dinge folgen zu können, sind vor allem die Zuschauer auf den Seitenrängen aufs Gehör angewiesen, denn um die Schnitte des Films szenisch nachzuvollziehen, drängt die Inszenierung das Geschehen allzu oft an die Ränder der Bühne. Akustische Probleme sind dem zweistündigen Abend hingegen fremd, weil die Schauspieler mit einem Mikroport ausgestattet sind. Eine dramaturgische Notwendigkeit ist nicht erkennbar, doch immerhin können sie so gegen die Musik von Michael Verhovec bestehen, die auch dann vom Band kommt, wenn ein leibhaftiges Orchester aufmarschiert.

Wo das Bemühen um die richtige "Stimmung" nicht nur der Tonspur übertragen wird, geraten tragikomische Elemente des Films im Theater leicht zu Slapstick. Zur Peinlichkeit werden sie, wenn ein Glücksspielautomat sich standhaft weigert, Ilonas Hartgeld anzunehmen. Und in einer Inszenierung, die ihre Figuren aus leeren Flaschen trinken lässt, muss der Quartalssäufer und Koch Lajunen (Michael Gerber) auch keinen Entzug hinter sich bringen, um nicht nur sein eigenes Glück in der "Arbeit" zu finden: Der Vorsatz, mit Türsteher, Damast-Tischdecken und Kalbsbries ein "gemischtes" Publikum anzusprechen, macht das Lokal ebenso anachronistisch wie der Zusammenhalt seiner Betreiber, dem es seine Eröffnung und seinen Erfolg verdankt.

Den Erfolg begehen jene, die so die dunkelsten Wolken über sich vertrieben haben, mit einem Bühnen-Schluss, der kaum mehr Zitat zu nennen ist und darin die Ungereimtheiten des Abends auf einen Nenner bringt. An der Rampe, wo sich eben noch die eheliche Wohnung befand, entrollen sie zur originalen Filmmusik ein Spruchband mit dem deutschen Text des titelgebenden finnischen Tangos, der im Film als Untertitel eingeblendet wird. "Es gibt für alles einen Grund", heißt es darin, und das gilt auch für die Inszenierung von Stephan Kimmig: Sie scheitert nicht an der Vorlage des Filmstoffs, sondern an dem filmischen Vor-Bild, von dem sie sich nicht lösen will und kann.


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