Ortegas offenes Büffet

Wahlen in Nicaragua Selbst ein Pakt mit dem Teufel ist willkommen

Die Angebote der Mathematik und der Ausverkauf der Ideologien beherrschen diese Wahlen am 5. November, gibt es doch eine magische Zahl: 35 Prozent sind notwendig, um schon in der ersten Runde Präsident zu werden. Diese Zahl ist das Ergebnis eines Pakts, zu dem sich Daniel Ortega und der unter Hausarrest stehende Ex-Präsident Arnaldo Alemán (er wurde 2003 wegen Unterschlagung und Geldwäsche zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt) schon vor einiger Zeit durchgerungen haben. 35 Prozent sollen reichen, um bis in alle Ewigkeit diese bizarre Allianz zwischen der Liberal-Konstitutionellen Partei (PLC), früher die Filiale des einstigen Diktators Somoza, und dessen Totengräbern von der Frente Sandinista (FSLN) festzuschreiben.

Bei drei Präsidentenvoten der Jahre 1990, 1996 und 2001 ist der FSLN-Bewerber Daniel Ortega immer wieder gescheitert - nun hat er wohl seine letzte Chance. Um sie zu nutzen, greift der Ex-Comandante gar nach der Hand des Teufels und schickt als seinen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten den früheren Unterhändler der Contra-Guerilla ins Rennen: Kein Geringerer als Jaime Morales Carazo, den ob seiner Machtfülle auch der Spitzname "Gott-Vater" schmückt. Wenn dieser obskuren Liäson, der Ortegas ehemaliger Erzfeind, Managuas Erzbischof Miguel Obando y Bravo, gern seinen Segen gab, am 5. November die 35 Prozent schuldig bleibt, dürfte für die FSLN mehr als eine Wahl verloren sein.

Wie konnte es überhaupt zu dieser paradoxen Situation kommen? Erinnern wir uns, riesige Erwartungen begleiteten jenen legendären 19. Juli 1979, da die Sandinisten als Sieger über Somoza in Managua einzogen: die Blinden würden sehen, die Armen speisen, die Toten auferstehen, glaubten viele. Reichlich zehn Jahre später, nach einem furchtbaren und zermürbenden Krieg gegen die von den Amerikanern finanzierte Contra (mit 12.000 Soldaten die größte irreguläre Armee in der Geschichte Mittelamerikas), hatten die Sandinisten die Macht wieder verloren: Violeta de Chamorro gewann für die vereinte bürgerliche Opposition die Wahlen im Februar 1990. Die letzten Wochen vor der Übergabe der Amtgeschäfte nutzte ein Teil der FSLN-Führung, um Pfründe - darunter auch staatliche Latifundien - untereinander aufzuteilen. Diese in Nicaragua als "la piñata" firmierende Aktion machte Daniel Ortega zu einem der reichsten Männer des Landes. Fortan blieb er der sandinistischen Idee manches schuldig - und ist inzwischen ein geläuterter Christenmensch, dem die revolutionäre Verführung nur noch wenig anhaben kann (oder will). Im Sog des Paktes mit Arnoldo Alemán wurde das zu Zeiten der sandinistischen Regierung (1979 bis 1990) stets äußerst gespannte Verhältnis zum Episkopat geglättet. Daniel Ortega entschuldigte sich öffentlich bei Kardinal Obando y Bravo für die Politik der FSLN gegenüber der katholischen Kirche und ließ sich als reuiger Sünder in der Kathedrale Managuas trauen. Auch einem gesetzlich verordnetes Abtreibungsverbot, das dem hohen Klerus sehr am Herzen lag und vom Parlament mit großer Mehrheit beschlossen wurde, wollte sich der Erbe des Nationalhelden Sandino nicht länger verweigern. Eine weitere 180-Grad-Wende, immerhin hatte sich die FSLN Anfang der achtziger Jahre für ein Recht auf Abtreibung eingesetzt.

Ortega irrlichtert herum und offenbart eine politische Haltung, die einer Einladung zum offenen Büffet für alle gleicht. Sein Wahlslogan lautet: "Beilegung der Zwistigkeiten, Frieden, Arbeit und Wohlstand schaffen". Er stilisiert sich als Gegner der neoliberalen Wirtschaftspolitik sämtlicher Präsidenten seit 1990 und verspricht den Nicaraguanern rosige Zeiten, weil es mit dem "wilden Kapitalismus" bald vorbei sein werde. Paradoxerweise sitzt er mit genau den Leuten am Tisch, die sich einem "wilden Kapitalismus" verschrieben haben. Das große Rätsel bleibt, welchen Kuchen er nach einem möglichen Triumph anschneidet, um ihn zu verteilen. Die Lage Nicaraguas ist wieder einmal - aber wann war sie das nicht? - prekär: Die Arbeitslosenzahlen liegen offiziell bei 17, inoffiziell bei knapp 30 Prozent. Seit 1990 sind mehr als eine halbe Million Nicaraguaner (vor allem aus den armen Schichten) nach El Salvador, Costa Rica und in die USA emigriert. Das lange gehegte, doch vage Projekt, durch Nicaragua einen neuen Kanal zwischen Atlantik und Pazifik für große Containerschiffe zu bauen, wurde gerade ein weiteres Mal durchkreuzt: Das Referendum in Panama ergab, eine große Mehrheit dort will den bestehenden Kanal erweitern.


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