Ortsumgehungen

Prägungen Erste Bücher, ein Metal-Konzert und Mutters Bibliothek. Niemand erinnert sich so schön proustisch wie der Schriftsteller Andreas Maier
Ausgabe 34/2016
„Der Kreis“ ist das fünfte Buch aus Andreas Maiers Romanreihe
„Der Kreis“ ist das fünfte Buch aus Andreas Maiers Romanreihe

Foto: Hoffmann/Imago

Rufen wir uns Wäldchestag in Erinnerung, Andreas Maiers furioses Debüt aus dem Jahr 2000. Das war eine Provinzposse aus dem Ort Wetterau, geschrieben im Duktus von Thomas Bernhard. Das Gerede der Provinz, die Gerüchte, Raunen, das Über-jemanden-Sprechen wurden darin zu Kunst verdichtet.

Das Kleinstädtische und Ländliche, die Wetterau, ist bis heute der bevorzugte Topos des 1967 in Bad Nauheim geborenen, inzwischen in Hamburg lebendenden Autors geblieben. „Ich bin nur ein Mensch auf der Suche nach Worten, die längst schon gefunden sind“, hat er einmal gesagt. Andreas Maier betreibt diese Suche als monumentales Langzeitprojekt. In seiner Romanreihe Ortsumgehung sind bisher die Bände Das Zimmer (2011), Das Haus (2013), Die Straße (2015) und Der Ort (2016) erschienen – nun liegt Der Kreis vor. Elf Bände soll die Reihe irgendwann umfassen.

Das Haus war eine – autobiografisch anmutende – Beschreibung einer Kindheit, die in ihrer „Einfachheit und Einheitlichkeit der damaligen Welt“ als Ort der Sehnsucht und als Ort des Schreckens, als ein gefühlter Urzustand bis heute nachhallt. Diese Rückschau verband Maier mit den Veränderungen, welche die Gegenwart mit sich bringt: der „Wegplanierung“, der seine Heimat im Laufe der Zeit ausgesetzt war.

Auch das neue Buch ist ein Heimatroman, aber Trauer über den Verlust des Gewesenen treibt es nun weniger voran als mehr eine sehnsuchtsvolle Suche. Vom Zimmer zum Haus, zur Straße, zum Ort, zum Kreis – inzwischen hat der Protagonist ein Alter erreicht, wo es ihn auch einmal nach Frankfurt treibt. 1981 besuchte er ein Konzert einer Rockband in der Frankfurter Festhalle, das er, damals von Lautstärke, Lärm und Scheinwerfern berauscht und erstaunt, heute in Worte fasst. In der Beschreibung dieser Erfahrung liegt der Schlüssel zum Verständnis des für Maier typisch schmalen Roman-Bandes. Wie der Jugendliche, der hier sein vielleicht erstes Konzert besucht, dieses wahrnimmt, das weist ihn, schon jetzt, als werdenden Künstler aus. Maiers Erinnerungen, seinem – wie er selbst sagt – zusammenkonstruierten Ich zu folgen, bleibt weiter ungemein spannend. Etwa jene Seiten, auf denen er im geheimnisvollen, stillen Bibliothekszimmer seiner belesenen Mutter fündig wird, die Literatur entdeckt, Kant liest, sich für Kunst begeistert. Überhaupt, die Kunst: In diesem Band zeichnet sich ab, dass der junge Andreas bald als Künstlerpersönlichkeit in Erscheinung treten wird. Bewundernd verfolgt der Schüler eine Theateraufführung des damals noch unbekannten hessischen Dramaturgen René Pollesch – eine weitere Initialzündung.

Er ist es nicht, wirklich nicht

„Der Kreis hat keinen Anfang und kein Ende, kein Vorne und kein Hinten …“, schreibt Maier gleich am Anfang dieses aus vielen Erinnerungsskizzen komponierten Buchs. Hier wie in der ganzen Romanreihe ist es ein so intensives Kreisen um das literarische Ich, dass andere Figuren – wie etwa die der Mutter – ein wenig aus dem Blick geraten. Doch darum geht es ihm ja auch, um die große Frage: Was ist ein Ich? Auf der Suche nach künstlerischer Identität ist die eigene Welt einem stets am nächsten.

Der nächste Schritt, der nächste Kosmos, selbst Künstler sein, „es tun“ – so weit ist er in diesem Buch noch nicht. Noch geht es dem jungen Mann darum, die Frage zu beantworten, was Kunst eigentlich ist und wie man sich ihr nähern kann. Wie man Kunst tatsächlich macht, davon wird uns Maier in seinem Lebenswerk bald berichten, so kann man jetzt schon erahnen.

Offen bleibt weiter die Frage, warum Maiers Literatur hartnäckig als autobiografische Schilderung wahrgenommen wird. In Interviews betont der Autor immer wieder, dass seine Ich-Figur keinesfalls mit ihm selbst zu verwechseln sei. Doch niemand will das hören: Die einhellige Begeisterung über Maiers authentisches Schreiben ist einfach zu groß.

Info

Der Kreis Andreas Maier Suhrkamp 2016, 149 S., 20 €

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Geschrieben von

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