Orwell in grün

Brückenschlag Von der Terror-Abwehr zur Öko-Diktatur?

Es ist noch nicht lange her, dass der ökologische Umbau der Industriegesellschaft als Anliegen von "Gutmenschen" verblasste. Die vermeintliche Revolution eines sozialen Internet erschien aufregender, der "Krieg gegen den Terror" dringlicher, als sich den Kopf über Ressourceneffizienz oder biologische Landwirtschaft zu zerbrechen. Das ist vorbei: Das Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit hat - 15 Jahre nach der Konferenz von Rio - wieder den politischen Mainstream erreicht. Eigentlich erfreulich.

Auf den zweiten Blick lässt sich jedoch eine denkbare Entwicklung erkennen, die wenig beruhigend ist: ein sich ausweitender Kontrollzwang, in dem sich Computernetzwerke und ökologische Korrektheit mit den Überwachungsphantasien eines Wolfgang Schäuble kreuzen. Die Rettung der Welt wird vor allem als ein Problem der Datenerfassung begriffen. Klimaforscher etwa weisen immer wieder darauf hin, das Datenmaterial, mit dem sie ihre Computermodelle füttern, sei noch viel zu lückenhaft. Zwar könnten sie dank mehrerer Erdbeobachtungssatelliten seit Anfang der neunziger Jahre den Anstieg des Meeresspiegels und die Veränderung der polaren Eisschilde genau nachvollziehen. Aber das Ozean-Messnetz auf der südlichen Halbkugel müsse dringend ausgebaut werden, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltmeere besser zu verstehen.

Auch die Energieeffizienz wird zunehmend unter dieser Perspektive wahrgenommen. Im Wissenschaftsmagazin Nature wurden kürzlich "Intelligente Stromleser" (smart meters) als technische Lösung für effizientere Stromnetze angepriesen. Diese schrankgroßen Kästen, die unter anderem von der US-Firma Gridpoint gebaut werden, sollen den Energieerzeugern melden, wie viel Energie ein Endverbraucher zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich benötigt. Damit soll die "letzte Meile" der Energieversorgung in eine exakte Bedarfsplanung der Erzeuger einbezogen werden. Nur ein Beispiel für die Hoffnungen, die Ingenieure und Wissenschaftler in den konsequenten Ausbau von Sensornetzwerken stecken, um mehr über Energieverbrauch und Schadstoffbelastung zu erfahren.

Hier trifft sich die aktuelle Umweltdebatte mit der seit Jahren in der Computerindustrie beschworenen Vision des "Ubiquitous Computing". "Ein Planet voller verlinkter Chips sendet einen unaufhörlichen Strom kleiner Nachrichten aus, die sich zu einer Kaskade höchster Sensibilität verdichten", beschrieb der kalifornische IT-Guru Kevin Kelly das Konzept bereits 1997. Das konnte man damals noch als Geschwafel der überdrehten "New Economy" abtun. Doch der Aufbau eines planetaren Sensornetzes, dem nichts entgeht, das bis in die letzte private Nische vordringt, inspiriert längst auch die Sicherheitsorgane des Westens.

Den expliziten Brückenschlag zwischen Terrorüberwachung und Ökologie lieferte gerade eine Studie von US-Militärs. Ihr Titel: Die nationale Sicherheit und die Bedrohung durch den Klimawandel. Der könnte "Bedingungen schaffen, die den Krieg gegen den Terrorismus verlängern", heißt es darin.

Diese Wendung hat es in sich, denn hier kommen zwei Themen zusammen, die zuerst von einem latenten Gefühl der Bedrohung geprägt sind. Die beide das Zeug haben, Denunziation und Überwachung zu fördern, weil sie einem ähnlichen Denkmuster folgen: Lückenlose Aufklärung im Kampf gegen einen diffusen Feind.

Bei aller Sympathie für ökologisches Umdenken: Das Anprangern von "Umweltsäuen", gepaart mit einer langsam einsetzenden Selbstkontrolle, greift längst um sich. Es ist nicht abwegig, dass sich hier schleichend die Akzeptanz drastischer Überwachungsmaßnahmen von einer Seite ausweitet, die Bürgerrechtler bislang nicht im Blick hatten.

Die Video-Überwachung des öffentlichen Raums wird inzwischen achselzuckend hingenommen. Sie dient ja nur der Erhöhung unser aller Sicherheit. Eine Überwachung im Namen der Umwelt wird auf noch weniger Widerstand treffen. Sie dient ja nicht weniger als der Rettung der Erde. Dann können endlich die großen, aber auch die kleinen Umweltsünder sofort erkannt werden.

Dass in der Umweltbewegung auch ein potenziell totalitäres Element angelegt ist, darauf wurde schon in ihren Anfangstagen hingewiesen. Damals spukte die Idee einer wohlwollenden Öko-Diktatur durch wirre Köpfe. In der Gemengelage, die durch die UN-Reports über den Klimawandel und 9/11 entstanden ist, gewinnt die Vorstellung plötzlich wieder an Brisanz. Wer in der Terrorismus-Debatte den Humanismus hochhält, sollte bei den Rettungsplänen für die Umwelt künftig ebenso genau hinschauen.


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