Man muss nicht viel Norwegisch können, um den Rechtschreibfehler zu erkennen
Foto: Cornelius Poppe/AFP/Getty Images
Mitte März erhebt der norwegische Inlandsnachrichtendienst PST Anklage gegen die langjährige Lebensgefährtin des Justizministers Tor Mikkel Wara. Laila Anita Bertheussen steht unter Verdacht, einen Brandanschlag auf das gemeinsame Auto verübt zu haben. Was wie eine Meldung aus der Sparte Panorama klingt, ist der vorläufige Höhepunkt eines Theaterskandals, der Norwegen seit Monaten umtreibt. Es geht dabei um die Grenzen der Meinungsfreiheit und mögliche Verletzungen der Privatsphäre. Was den Fall so brisant macht, ist die Tatsache, dass über Monate diskutiert wurde, ob eine Theaterinszenierung Leib und Leben von Politikern gefährden kann – bis sich abzeichnet, wer in dieser Affäre wirklich Regie geführt hat.
Sie beginnt Ende N
nnt Ende November 2018 mit der Premiere der Inszenierung Ways of Seeing der Regisseurin Pia Maria Roll und der Schauspieler Hanan Benammar, Sara Baban und Marius von der Fehr am Black Box Theater in Oslo. Im Stück werden Filmaufnahmen von den Fassaden der Wohnhäuser prominenter Politikern in Oslo gezeigt. Darunter die des Justizministers Tor Mikkel Wara, seines Parteikollege Christian Tybring-Gjedde von der rechtsgerichteten und einwanderungskritischen Fortschrittspartei (FrP) und des Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sowie das Haus von Helge Lurås, Redakteur der rechtspopulistischen Onlineplattform Resett.no. Sie ist neben Document.no und Rights.no eine von mehreren so genannten alternativen Medien, die sich in Norwegen in den vergangenen Jahren etabliert haben. Gegründet wurde Resett 2017, unter anderem von den norwegischen Milliardären Jan Haudemann-Andersen und Øystein Stray Spetalen. In ihren Kommentarspalten wird gegen Muslime gehetzt, Schwerpunkt der Meinungsstücke ist der unausweichliche Kulturkampf, in dem Europa sich mit dem Islam befinde. Wes Geistes die Plattform ist, zeigte sich kürzlich als die Redaktion der Satiresendung Satiriks des staatlichen Rundfunksenders NRK einen Avatar namens Jan Atlas Johansen erfand, in dessen Namen sie auf Resett.no 39 Kommentare veröffentlichten. Es handelte sich dabei um direkte Abschriften aus Anders Breiviks Manifest – leicht verfremdet, da sie in die zweite norwegische Standardsprache Nynorsk übersetzt worden waren. Die Moderatoren der Seite, sahen keinen Anlass, die Beiträge zu löschen.Kommentar im BoulevardLaut der Regisseurin Pia Maria Roll beleuchtet das Stück Ways of Seeing den Überwachungsstaat und die Überwachungsmechanismen politischer Akteuere. Rassismus und postkoloniale Problemstellungen werden ebenso thematisiert wie die rechtsgerichteten Internetplattformen und die Organisationen und Investoren, die hinter diesen Netzwerken stehen.Drei Tage nach der Premiere besucht Tor Mikkel Waras Lebensgefährtin Laila Bertheussen die Theateraufführung und filmt die Vorstellung mit ihrem Handy. Theatermitarbeiter machen sie auf ihre Urheberrechte aufmerksam und fordern Bertheussen dazu auf, ihre Aufnahmen zu löschen. Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung. Sie verlässt daraufhin das Theater. Am 1. Dezember erscheint in der norwegischen Boulevardzeitung Verdens Gang (VG) ein Gastkommentar von Bertheussen, in dem sie die Aufführung scharf kritisiert. „Sie nennen es Kunst, ich nenne es einen groben Eingriff in meine Privatsphäre“, schreibt sie.In Deutschland wurde die Freiheit der Kunst zuletzt immer wieder von Politikern rechter Parteien in Frage gestellt, wenn sie zum Gegenstand von Inszenierungen oder künstlerischen Aktionen wurden. 2015 klagte Beatrix von Storch gegen Falk Richters AfD-kritische Inszenierung Fear an der Berliner Schaubühne, weil sie ihre Persönlichkeitsrechte und ihre Menschenwürde verletzt sah. Das Berliner Kammergericht lehnte die Klage damals mit Verweis auf die Freiheit der Kunst ab. Als die Aktionskünstler des Zentrums für Politische Schönheit einen Nachbau des Holocaust-Mahnmals auf dem Nachbargrundstück von Björn Höcke aufbauten, reichte Höcke Klage ein, um zu untersagen, dass Bilder, die sein Anwesen zeigen, im Internet zu sehen sind. Das Kölner Landgericht wies die Klage mit Verweis auf die Kunstfreiheit und die Meinungsfreiheit zurück. Allerdings untersagte es den Künstlern, Bilder zu zeigen, auf denen Höcke in den Fenstern des Hauses zu sehen ist.Die Kontroverse um die Inszenierung des Black Box Theaters in Oslo nimmt eine ganz andere Dynamik an, als in der Nacht zum 6. Dezember das Wohnhaus und das Auto von Justizminister Wara Ziele eines Anschlags werden. Die Hauswand und die Motorhaube werden mit dem Schimpfwort „Rassist“ – kurioser Weise falsch geschrieben – und einem Hakenkreuz beschmiert. Der Tankdeckel ist aufgebrochen und jemand hat versucht, eine Schnur, die an der Tanköffnung angebracht wurde, anzuzünden. In der Tageszeitung Dagsavisen stellt der Abgeordnete Christian Tybring-Gjedde am folgenden Tag einen klaren Zusammenhang zwischen der Vorstellung im Black Box Theater und dem Anschlag her. Das Stück könne Leute zu Vandalismus anstacheln. Die Fortschrittspartei (FrP) bringt einen Antrag auf Entzug der finanziellen Unterstützung für das Black Box Theater im Osloer Stadtparlament ein. Der Antrag wird abgewiesen.Plötzlich die jähe WendeDie Intendantin des Black Box Theaters, Anne-Cecilie Sibué-Birkeland veröffentlicht eine Stellungnahme auf der Webseite des Theaters, in der sie betont, dass die im Stück gezeigten Videosequenzen nicht rechtswidrig seien, es ihnen aber sehr wohl darum ginge, ethische Fragen und Probleme, die damit einhergehen, zu thematisieren und unbequeme Kunst zu fördern. Den Vorwurf, das Black Box Theater verfolge eine politische Agenda, weist sie entschieden zurück. Birkeland äußert sich außerdem entsetzt über anonyme Drohungen und Hetze gegen die Regisseurin und die Schauspieler, und schreibt, sie hätten Anzeige erstattet.Laila Bertheussen stellt ihrerseits Strafanzeige gegen die Inszenierung und das Black Box Theater, unter anderem wegen Verletzung der Privatsphäre und dem unbefugtem Gebrauch von Privateigentum.In den folgenden Monaten kommt es zu einer ganzen Serie von Anschlägen auf das Haus von Tor Mikkel Wara: Am 17. Januar wird die Mülltone angezündet, am 11. Februar rückt die Polizei erneut aus, um mehrere Plastikflaschen zu untersuchen, die mit leicht entflammbarer Flüssigkeit gefüllt am Auto der Familie angebracht wurden. Am 2. März erhält die Familie einen Drohbrief, der mit weissem Pulver gefüllt ist. Wieder rückt die Polizei aus, das Pulver erweist sich als ungefährlich. Acht Tage später wird das Auto der Familie angezündet und muss gelöscht werden. Laila Bertheussen prangert jetzt auf Facebook das Theater direkt an. Am 7. Februar schreibt sie: „Hat die Polizei jemals darüber nachgedacht, inwieweit die Geschehnisse, von denen wir betroffen sind, eine direkte Konsequenz der Theatervorstellung und den darin vorkommenden konspirativen Theorien sind, die meinen Lebenspartner seit 25 Jahren, Justizminister Tor Mikkel Wara, als Rassisten anklagen?“ Sie und Wara üben zunehmend Druck auf die Polizei aus, die die Ermittlungen gegen das Theater zwischenzeitlich eingestellt hat. Bertheussen erhebt dagegen Einspruch bei der Staatsanwaltschaft und ihrer Klage wird Folge geleistet.Am 13. März wird die Angelegenheit endgültig zur Staatsaffäre. Premierministerin Erna Solberg kritisiert im Rahmen einer Pressekonferenz die Inszenierung und die Künstler. Sie hätten dazu beigetragen, dass es für Politiker zunehmend schwieriger werde, ihr Amt auszuüben.Einen Tag später erfolgt die jähe Wende: Am 14. März erhebt der Inlandsgeheimdienst PST Anklage gegen Laila Anita Bertheussen. Diese bestreitet die Vorwürfe vehement, Tor Mikkel Wara wird noch am gleichen Tag beurlaubt. Am 28. März verkündet Wara auf einer Pressekonferenz mit Premierministerin Solberg seinen Rücktritt. Er sagt, er müsse sich jetzt ausschließlich um seine Familie kümmern. Kurz zuvor vermeldeten mehrere Medien, dass Laila Bertheussen nunmehr unter Verdacht steht, hinter insgesamt sieben Anschlägen auf ihr eigenes Wohnhaus zu stehen.Die norwegische Theaterszene erwartet eine öffentliche Entschuldigung von Premierministerin Solberg für ihren Angriff auf die Freiheit der Kunst und die Meinungsfreiheit. Diese bleibt aus. Solberg sagte stattdessen, dass es im Sinne der allgemeinen Meinungsfreiheit auch ihr gutes Recht sei, ihrerseits Künstler zu kritisieren.Placeholder authorbio-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.