Die in Ostdeutschland streikenden Metaller sind nicht zu beneiden. Gleiche Arbeitszeit in Ost und West? Die Forderung sei "für Ostdeutschland schädlich", sagen die Arbeitgeber, sie "könnte der Anfang vom Ende des Aufbauprozesses sein", behauptet Sachsens Ministerpräsident Milbrandt, "das wird Arbeitsplätze kosten", ergänzt Bundeswirtschaftsminister Clement. Als ob er nicht rechnen könnte: Weniger Arbeitszeit führt doch bei gleich bleibender Arbeitsmenge zur Verteilung der Arbeit auf mehr Schultern. Aber es geht nicht um Volkswirtschafts-Mathematik, sondern um den Egoismus der herrschenden Klasse. Die entfaltet jetzt ihre Macht. Arbeitgeberpräsident Hundt will das gewerkschaftliche Streikrecht einkassieren lassen. Wer weiß, ob die Metaller nicht schon eingeknickt sind, wenn diese Zeitung erscheint.
Am Anfang der vierten Streikwoche kommt es zu Engpässen beim bayerischen Automobilhersteller BMW, 4.000 Autos fallen aus. Bald muss VW in Wolfsburg die Produktion des Golf unterbrechen. Das demonstriert die Verlogenheit der Arbeitgeber. Haben sie nicht getönt, der Produktivitätsrückstand in Ostdeutschland mache eine Senkung der Arbeitszeit auf Westniveau unmöglich? Die Realität, die nun zum Vorschein kommt, sieht anders aus. Denn was den Automobilbau angeht, bilden Ost und West einen einzigen Produktionskreislauf. Er ist besonders in Ostdeutschland präsent: 700 Zulieferwerke, sieben Produktionsstandorte auf höchstem technischen Niveau. Welchen Sinn soll es dann haben, dass Ostarbeiter länger arbeiten, das heißt geringer entlohnt werden? Es wird still um das Produktivitäts-"Argument".
Stattdessen hebt man jetzt den "Standortvorteil" der ostdeutschen Zustände hervor. Ihn hat Clement im Auge, wenn er die IG Metall beschuldigt, den Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf zu nehmen. Für den Fall, dass die ostdeutschen Metaller Lohngerechtigkeit durchsetzen, sei der Umzug der Arbeitgeber nach Tschechien zu befürchten. Es ist also von dem "Vorteil" die Rede, dass man Ossis billiger abspeisen kann. Den Hinweis kennen wir, aber dass er nun zu einer Art Staatsregel erhoben wird, ist neu und ein noch wenig bemerkter Skandal. Denn das ist ein "Argument" ohne Verfallsdatum. Ein Produktivitätsrückstand könnte ja noch aufgeholt werden. Der "Vorteil" hingegen, dass man Ossis zu Schleuderpreisen bekommt, wenn sie sich nicht wehren, gilt ewig. Ostdeutschland als naturgegebenes Billiglohnland, wer hätte das gedacht. Nur die Streikenden stören. Anfang der Woche hatten sich sieben sächsische Metallunternehmen mit der IG Metall geeinigt. Vielleicht werden es mehr. "Wenn es 100 oder 200 wären, würde ich mir Sorgen machen", sagt Andreas Winkler, der Geschäftsführer des Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie.
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