Aufbau Ost Manfred Stolpe, Vorsitzender des Forums Ostdeutschland der SPD, zur gestärkten SPD-Ost und den Ansprüchen und Erwartungen, die daraus erwachsen
FREITAG: Die SPD hat die Wahl im Osten gewonnen. Sehen Sie die SPD-Ost vor einer historischen Wegmarke, etwa die PDS als Mehrheitspartei im Osten abzulösen? MANFRED STOLPE: Nein, man soll sich nicht selbst betrügen. Die Sozialdemokraten im Osten haben geholfen, die Wahl zu gewinnen. Das ist einerseits ein erfreuliches Ergebnis, auf der anderen Seite aber auch ein Auftrag. Die Leute wollen sehen, ob Versprechen auch eingehalten werden. Das Verhalten von Menschen, die bei der letzten Bundestagswahl PDS und nun SPD oder gar nicht gewählt haben, hat verschiedene Gründe, einer davon ist sicher: man wollte Stoiber verhindern. So gesehen ergibt sich daraus überhaupt nicht der logische Schluss, dass die PDS am Ende ist.
Denken Sie, es wird der SPD gelingen, die wechsellauni
SPD gelingen, die wechsellaunigen Wähler im Osten dauerhafter an sich zu binden? Nur durch Taten kann überzeugt werden. Ankündigungen hat es genug gegeben. Wichtig sind die Beschlüsse des Ost-Parteitags vom März diesen Jahres und deren Bekräftigung in den letzten Wochen und Monaten. Die müssen jetzt möglichst bald in konkrete Schritte umgesetzt werden. Das hat viel zu tun mit den Chancen für junge Leute hier im Osten, aber auch damit, mehr Gerechtigkeit gegenüber älteren Langzeitarbeitslosen zu schaffen und es heißt insbesondere, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Wirtschaft im Osten voranzubringen.Es scheint offensichtlich, dass die SPD im Osten nicht etwa durch eine gute Politik für Ostdeutschland gewonnen hat, sondern wegen des Engagements des Kanzlers bei der Flut und der drohenden Kriegsgefahr. Wäre es nach dem Wahlerfolg der SPD im Osten nicht Zeit, auf einen völligen Politikwechsel zu drängen, nachdem der Umbau Ost nach dem Modell Nachbau West gescheitert ist? Ich denke, viele Wählerinnen und Wähler im Osten sind sich darüber im Klaren, dass der Aufbau Ost oder die Angleichung der Lebensbedingungen im Osten ein mühsamer Weg sind. Ich habe jedenfalls erlebt, dass Viele mehr Interesse haben an nüchternen Analysen und ehrlichen Auskünften über die Schwierigkeit des Prozesses als an schnellen Versprechungen. Ob wir einen totalen Strategiewechsel brauchen, weiß ich noch nicht. Allerhöchstens insofern, als man nicht so tun muss, als ob das alles immer nur ein Anpassungsprozess sein muss, also eins zu eins die Verhältnisse des Westens zu übernehmen. Wir müssen Entwicklungshebel für den Osten nutzen: Da spielt natürlich die Infrastruktur eine Rolle, genauso wie Ansiedlungspolitik und Unterstützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen und Wissenschaft und Forschung. Darüber hinaus wird es sicher verstärkt darum gehen, welche bewährten Erkenntnisse und Institutionen man aus DDR-Zeiten mitgebracht hat in das gemeinsame Deutschland. Das sind ja nicht nur die Polikliniken, sondern auch andere Bereiche, beginnend bei den Kindergärten bis zum Bildungsbereich, die man festhalten und weiterentwickeln sollte.Es gab den Vorschlag eines Infrastrukturministeriums, das mit einem Ostdeutschen besetzt werden soll. Für mich ist jetzt das Wichtigste der Koalitionsvertrag. Da müssen die Punkte drin sein, die für die Entwicklung von Ostdeutschland bedeutsam sind, unbeschadet der Sparmaßnahmen, die der Bundesfinanzminister durchführt. Das zweite ist dann, welche Ressorts gebildet werden und wie die Regierung zusammengesetzt wird. Es muss diskutiert werden, wie die Ressorts am besten zugeschnitten sein sollen. Das Dritte ist dann, welche Leute das wahrnehmen. Da wäre es für die Durchführung der Arbeit nach meiner Überzeugung gar nicht in aller erster Linie wichtig, welchen Geburtsort die Kandidaten mitbringen. Es gibt allerdings einen Faktor, den würde ich doch sehr ernst nehmen: Die Menschen hier im Osten, gerade auch die, die SPD gewählt haben, werden einerseits prüfen, was machen sie jetzt konkret. Und sie werden andererseits auch gucken, sitzen da im Kabinett unsere Gewährsleute. Leute, die das in allen Einzelheiten einschätzen können, was der Osten braucht.Ist angedacht, für ein Infrastrukturministerium mit besonderer Ostverpflichtung den klassischen Aufgabenbereich Bau und Verkehr zu erweitern? Ich würde davon abraten. Es ist keine Erfindung von mir. Ich hatte nur bei einer Gelegenheit versucht zu erläutern, dass ich es für ganz gut hielte, wenn ein Ost-Gesicht rausguckte aus dem Kabinett. Das sollte dann allerdings auch ein Ressort vertreten, das relevant ist, also entscheidenden Einfluss hat auf die Gestaltung im Osten. Ich bin nicht für ein "Aufbau Ost-Ministerium", dessen Kompetenz weit in andere Ressorts hinein gehen. Das wird nicht gut gehen.Allzu häufig kommt man heute offenbar noch nicht auf den Gedanken, ein ostdeutscher Minister könnte bundesdeutsche Interessen vertreten. Warum verlangt die SPD-Ost nicht, dass künftig drei oder vier ostdeutsche Minister an Schröders Kabinettstisch sitzen? Es ist keine Enthaltsamkeit. Es gibt verschiedene Ideen in verschiedenen Bereichen, die interessant sein könnten: Das sind zum Beispiel Schlüsselministerien, wie das was für Arbeit oder Wirtschaft und Bau und Verkehr. Aber man muss natürlich realistisch sein. Man will ja keine Kabinett-Vergrößerung ins Unendliche. Wo wir gute Leute haben, da wird man darauf achten müssen, dass sie Aufgaben übernehmen, die dann nicht und unter gar keinen Umständen nur speziell Ost-Aufgaben sein werden. Christine Bergmann hat als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend immer an die Situation in ganz Deutschland gedacht und hatte dabei den zusätzlichen Vorteil, dass sie die Besonderheiten im Osten ganz genau kannte. Insofern könnten theoretisch alle Ministerien von Leuten aus dem Osten besetzt werden, aber natürlich wollen andere Leute sich mit Recht auch wiederfinden. Wir haben inzwischen genug kompetente Leute, die auch in der Lage wären, Ministerien des Bundes gesamtdeutsch zu führen.Sehen Sie für sich selbst in diesem Kontext eine neue politische Funktion in Form eines Amtes? Ich bin ja als Vorsitzender des Forums Ostdeutschland so eine Art Ober-Lobbyist für den Osten. Diese Koordinierungsaufgabe könnte ich überhaupt nicht wahrnehmen, wenn ich eingebunden wäre in eine ganz konkrete Verantwortung.Das Gespräch führte Connie Uschtrin
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