Die Debatte über die Reaktionen innerhalb der EU auf die Regierungsbildung in Österreich wird nicht nur in Westeuropa, sondern auch in den Transformationsstaaten Mitteleuropas und in Russland geführt. Vor allem die erste Garnitur der EU-Beitrittskandidaten wie Polen, Tschechien, Ungarn, Estland und Slowenien sieht sich durch Haiders Äußerung herausgefordert, die Osterweiterung der Union sei eine "Kriegserklärung an Österreich". In diesem Zusammenhang veröffentlichte die russische Tageszeitung Njesawisimaja Gasjeta am 11. Februar einen Aufsatz des Politikers Gawriil Popow - in der ersten Hälfte der neunziger Jahre Oberbürgermeister Moskaus und in dieser Funktion Vorgänger des jetzigen Amtsinhabers Jurij Lushkow. Popows Sicht ist insofer
cht ist insofern aufschlussreich, als sie aus der Feder eines erklärten Reformpolitikers stammt, der aus seiner prowestlichen, proeuropäischen Position nie ein Hehl gemacht hat. Heute bezeichnet sich Popow selbst als "sozialdemokratischen Zentristen", der radikalreformerischen Ansichten mit Abstand begegnet, aber stets die europäischen Bindungen Russlands betont. Wir dokumentieren Popows Essay in Auszügen.Dreh- und Angelpunkt im Programm der FPÖ ist das Ziel, den österreichischen Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitnehmer abzuschotten - für Emigranten oder Einwanderer aus Afrika und Asien, vor allem aber für Arbeitssuchende aus Osteuropa. In Österreich stellt sich das Problem der Erwerbslosigkeit in aller Schärfe besonders für jene Kategorie von Arbeitnehmern, die auf niedrig entlohnte sowie "durchschnittlich" qualifizierte Beschäftigungen angewiesen sind. In diesem Segment des Arbeitsmarktes macht sie die Konkurrenz mit Arbeitskräften aus dem Ausland nachhaltig bemerkbar. Den hier seit langem schwelenden Konflikt hatten bereits die Sozialdemokraten Viktor Klimas erkannt, als sie noch an der Macht waren, es jedoch nicht vermocht, ihm wirksam zu begegnen.Jetzt tritt in Österreich eine Regierung an, deren praktische Politik (so lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest vermuten) auf ein Abschotten der Grenzen hinauslaufen könnte. Allerdings ist Österreich als EU-Mitgliedstaat unmittelbar am Prozess der europäischen Integration beteiligt. Und jene Länder, für deren Bürger sich der österreichische Arbeitsmarkt schließen würde, sind genau jene, die vom Westen gerade in die NATO aufgenommen wurden oder als EU-Beitrittsaspiranten in der Warteschleife kreisen.Dabei steht Österreich nicht allein. In mehreren EU-Ländern gibt es Parteien, die mit Haiders Positionen sympathisieren. Erinnert sei nur an Jean-Marie Le Pens Front National in Frankreich. Der Fall Österreich wird zweifelsfrei dazu beitragen, die Wahlchancen dieser Parteien zu erhöhen. Wenn auch kaum mit einer epidemischen Ausbreitung von Gruppierungen dieses Kalibers zu rechnen ist, so wird sich doch der Druck auf die jeweiligen Regierungen erhöhen, den nationalen Arbeitsmarkt ebenfalls stärker abzuschotten.Das würde einen Eckpfeiler der europäischen Integration unterminieren und wäre darüber hinaus ein Schlag gegen eine fortgesetzte Osterweiterung der westlichen Allianz. Bereits heute ist in den Kandidatenländern wachsende Skepsis nicht zuübersehen. Sollte eine Situation eintreten, da den Menschen erklärt wird: In der NATO-Armee müsst ihr dienen, aber die Arbeitsmärkte der NATO-Staaten bleiben für euch verriegelt, dann könnte das die Stimmung weiter trüben. Mit einem Wort: das gesamte Programm der europäischen Integration wäre gefährdet. Eine Strategie, die unter maßgeblichem Einfluss der USA als Teil eines weitergehenden Konzepts zur Begründung einer Neuen Weltordnung entwickelt wurde: des Konzepts der Globalisierung. Sein entscheidendes Motiv besteht bekanntlich darin, die Rolle der USA als Spitze einer Weltpyramide zu sichern - weniger durch nukleare Erpressung als vielmehr durch wissenschaftlich-technische Leistungskraft. Ein liberalisierter Arbeitsmarkt entscheidet über die Glaubwürdigkeit dieser Philosophie.Die Globalisierung strebt schließlich eine Situation an, in der nicht nur jeder talentierte Physiker, Biologe oder Mathematiker, sondern auch jeder Philologe und Kunstwissenschaftler vor die Alternative gestellt wird: Entweder Ausreise und Jobsuche in den USA (oder anderswo) oder Abschied vom Beruf. Es liegt auf der Hand, dass Bestrebungen eines Staates wie Österreich, den "freien Arbeitsmarkt" in Frage zu stellen, der gesamten Globalisierung à la Clinton förmlich ins Gesicht schlagen.Bekanntermaßen provozierte das Globalisierungskonzept der USA sowohl beim Millenniums-Gipfel der WTO in Seattle als auch unlängst beim Weltwirtschaftsforum in Davos massive Proteste. Allerdings: Proteste durch profilierte Gewerkschafter oder Menschenrechtler sind das eine, ganz anderes jedoch verhält es sich, wenn ein ganzes Land opponiert, das Mitglied der EU ist.Womit wir es also zu tun haben, das ist weniger ein Kampf gegen die Gefahr eines neuen Faschismus, sondern vielmehr eine eskalierende Konfrontation mit den Gegnern der gegenwärtigen Spielart europäischer Integration und bedingungsloser Globalisierung à la Clinton. Von daher ist die Suche nach demokratischen Alternative zu den derzeit dominierenden Integrations- und Globalisierungsmodellen unverzichtbar, soll nicht die Kritik an jenen Projekten diversen Strömungen des heutigen Rechtsextremismus, des Anarchismus oder Kommunismus sowie eines religiös-sektiererischen Fundamentalismus Vorschub leisten.Übersetzung: Katharina Stephan