Die Kroaten haben sich mit einer Zweidrittel-Mehrheit am 01.12.2013 gegen gleichgeschlechtliche Ehen ausgesprochen. Das Referendum erlaubt einen tiefen Blick in die kroatische – und die osteuropäische – Volkspsychologie zumindest großer Teile der Bevölkerung. Ein Mann wie der Literat und Medizinprofessor Matko Marušić meint es ernst, wenn er sagt, Kroatien sei „das letzte Land geblieben, das die Welt retten kann“. Dort eifern viele dem Westen nach und verachten ihn gleichzeitig für seine vorgebliche Verweichlichung. „Im Namen der Familie“ nennt sich die kroatische Bewegung, die sich dem Kampf gegen jene verschrieben hat, die sie nur die „Perversen“ nennt.
Bei liberalen Kroaten sorgt es für Erheiterung, als jemand die Elogen ausgegraben hat, die der Ultra Marušić seinerzeit auf den ersten kroatischen Präsidenten Tuđman gehalten hat. Einen „schönen Mann“ nannte er den Präsidenten, der „die richtige Größe“, ein „markantes Gesicht“ und dazu „wunderschönes, welliges Haar“ habe.
Matko Marušić kämpft gegen sich selbst. Und mit ihm tun das große Teile des Landes. Wie seine Nachbarländer auch hat Kroatien sich in den vergangenen Jahren rapide modernisiert und dabei ignoriert, dass viele Menschen von dieser Transformation offensichtlich überfordert sind. Im Gegenteil, man redete sich selbst ein, immer schon durch und durch westlich und nur aufgrund eines dummen Zufalls auf der falschen Seite der Adria gelandet zu sein. Das Östliche – das Balkanische an Kroatien – waren die Serben. Kaum hatte man sich 1995 von ihnen gelöst, war die Läuterung vorbei, die Modernisierung auf der Oberfläche abgeschlossen. Das stimmte natürlich nicht.
In der Not half eine Denkfigur, die schon früher ihren Dienst getan hatte: Kroatien war nicht nur ganz und gar westlich, sondern westlicher als der Westen. Bewahrt wurden die westlichen Werte nur hier; in Paris, in London, in Berlin hatte man sie längst vergessen. Das Muster durchzieht bis heute das national geprägte kroatische Geschichtsbild.
Darin heißt es: Als im 16. Jahrhundert „die Türken“ kamen, zog sich der Westen feige hinter Festungsmauern zurück, während die Kroaten sich allein der Bedrohung des Abendlands erwehrten.
In den neunziger Jahren erfuhr das Bild teilweise eine Aktualisierung: Kroatien focht ganz allein gegen Asiaten und den Islam, wieder ließ der Westen den treuen Verteidiger seiner Werte im Stich. Ironischerweise pflegen auch orthodox Geprägte weiter östlich, gegen die man sich in Kroatien gerade absetzen wollte, das gleiche Selbstbild: Wir, hieß es unter Slobodan Milošević in Serbien, kämpfen ganz allein gegen den Islam.
Wahrscheinlich steckt eine böse Dialektik darin: In jenen Teilen der osteuropäischen Bevölkerung, in denen die Homophobie in den vergangenen Jahren besorgniserregend zugenommen hat, bekämpft man mit der angeblichen Dekadenz wohl den verdrängten Osten in sich selbst.
Man muss sich darum über die Koalitionen nicht wundern, die sich zum Kampf gegen die „schwule Bedrohung“ zusammentun: konservative Serben, bosnische Muslime, Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko aus Weißrussland auch. Nur Papst Franziskus macht nicht richtig mit.
Kommentare 4
die "machos" aus dem osten ...
wie die cowboys auf dem pferd ... wie die deutschen mit ihrem putz+bürokratiefimmel
bei den nichtraucher-aktionen wächst der konsens scheinbar "nationenübergreifend" ... ein feindbild muss ja her ... möglichst ein "biologisches", da selbst die religösen nicht mehr so recht tragen ... schwule eignen sich prima dafür, da sie eine "konstante" minderheit darstellen, der man sich ganz "natürlich" überlegen fühlen kann
man braucht gar nicht so weit zu gehen - selbst im deutschen fussball zeigen sich die "emotionen der massen" - solange denen nix entgegengesetzt wird - wird das schwulenbashing auch von "uns" mitgetragen und der fingerzeig nach osten ist ein beliebtes ablenkungsmanöver
Interessante Rechercheergebnisse für die EU Erweiterung. Da müssen noch einige Sprachregeln geklärt werden. Oder erstmal gute Feiertage wünschen.?!
sehr interessant und informativ. nur verstehe ich den letzten satz nicht. der, sonst sympathischer papst, hält ganz fest an der homophobische haltung der katholischen kirche.
Ich verfolge die Beiträge von Nobert Mappes-Niediek seit rund 20 Jahren hier und in anderen Medien. Grundsätzlich finde ich seine Beiträge auch sehr interessant und erhellend, hier ist er aber etwas ungenau. Genaugenommen haben am 1. Dezember nicht "die Kroaten sich mit einer Zweidrittel-Mehrheit gegen gleichgeschlechtliche Ehen ausgesprochen", sondern nur rund 25 % der stimmberechtigten Kroaten. Die Beteiligung an der Abstimmung war nämlich mit 38 % die niedrigste seit Bestehen der Unabhängigkeit. Man könnte die Ergebnisse also auch etwas anders lesen: Den meisten Einwohnern Kroatiens ging das Thema am A... vorbei, oder beser formuliert, es interessierte sie nicht. Möglicherweise ist also die Toleranz gegenüber Homosexuellen inzwischen doch größer als es im Beitrag zum Ausdruck kommt, nur dass es am klaren Bekenntnis zu dieser Toleranz mangelt. Hier wären also weitergehende Informationen vonnöten als nur die reine Wiedergabe eines Abstimmungsergebissses.