Osteuropa und die Schwulen

Kroatien Einige osteuropäische Länder haben sich in den vergangen Jahren rapide modernisiert - und dabei ignoriert, dass viele Menschen von dieser Transformation überfordert sind
Ausgabe 49/2013
Ein Demonstrant hält ein Schild, auf dem steht: "Homosexualität ist keine Entscheidung, Hass schon"
Ein Demonstrant hält ein Schild, auf dem steht: "Homosexualität ist keine Entscheidung, Hass schon"

Foto: STR/ AFP/ Getty Images

Die Kroaten haben sich mit einer Zweidrittel-Mehrheit am 01.12.2013 gegen gleichgeschlechtliche Ehen ausgesprochen. Das Referendum erlaubt einen tiefen Blick in die kroatische – und die osteuropäische – Volkspsychologie zumindest großer Teile der Bevölkerung. Ein Mann wie der Literat und Medizinprofessor Matko Marušić meint es ernst, wenn er sagt, Kroatien sei „das letzte Land geblieben, das die Welt retten kann“. Dort eifern viele dem Westen nach und verachten ihn gleichzeitig für seine vorgebliche Verweichlichung. „Im Namen der Familie“ nennt sich die kroatische Bewegung, die sich dem Kampf gegen jene verschrieben hat, die sie nur die „Perversen“ nennt.

Bei liberalen Kroaten sorgt es für Erheiterung, als jemand die Elogen ausgegraben hat, die der Ultra Marušić seinerzeit auf den ersten kroatischen Präsidenten Tuđman gehalten hat. Einen „schönen Mann“ nannte er den Präsidenten, der „die richtige Größe“, ein „markantes Gesicht“ und dazu „wunderschönes, welliges Haar“ habe.

Matko Marušić kämpft gegen sich selbst. Und mit ihm tun das große Teile des Landes. Wie seine Nachbarländer auch hat Kroatien sich in den vergangenen Jahren rapide modernisiert und dabei ignoriert, dass viele Menschen von dieser Transformation offensichtlich überfordert sind. Im Gegenteil, man redete sich selbst ein, immer schon durch und durch westlich und nur aufgrund eines dummen Zufalls auf der falschen Seite der Adria gelandet zu sein. Das Östliche – das Balkanische an Kroatien – waren die Serben. Kaum hatte man sich 1995 von ihnen gelöst, war die Läuterung vorbei, die Modernisierung auf der Oberfläche abgeschlossen. Das stimmte natürlich nicht.

In der Not half eine Denkfigur, die schon früher ihren Dienst getan hatte: Kroatien war nicht nur ganz und gar westlich, sondern westlicher als der Westen. Bewahrt wurden die westlichen Werte nur hier; in Paris, in London, in Berlin hatte man sie längst vergessen. Das Muster durchzieht bis heute das national geprägte kroatische Geschichtsbild.

Darin heißt es: Als im 16. Jahrhundert „die Türken“ kamen, zog sich der Westen feige hinter Festungsmauern zurück, während die Kroaten sich allein der Bedrohung des Abendlands erwehrten.

In den neunziger Jahren erfuhr das Bild teilweise eine Aktualisierung: Kroatien focht ganz allein gegen Asiaten und den Islam, wieder ließ der Westen den treuen Verteidiger seiner Werte im Stich. Ironischerweise pflegen auch orthodox Geprägte weiter östlich, gegen die man sich in Kroatien gerade absetzen wollte, das gleiche Selbstbild: Wir, hieß es unter Slobodan Milošević in Serbien, kämpfen ganz allein gegen den Islam.

Wahrscheinlich steckt eine böse Dialektik darin: In jenen Teilen der osteuropäischen Bevölkerung, in denen die Homophobie in den vergangenen Jahren besorgniserregend zugenommen hat, bekämpft man mit der angeblichen Dekadenz wohl den verdrängten Osten in sich selbst.

Man muss sich darum über die Koalitionen nicht wundern, die sich zum Kampf gegen die „schwule Bedrohung“ zusammentun: konservative Serben, bosnische Muslime, Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko aus Weißrussland auch. Nur Papst Franziskus macht nicht richtig mit.

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