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LINKSBÜNDIG Was wichtig ist, wird auch gebraucht - Eine Woche ohne "Woche"

Zum Standardprogramm von Schüler- und Laientheatern gehört dieser alte, immer wieder gern aufgeführte Sketch über den Aktualitätsdruck der Zeitungen: Ein selbstzufriedener Redakteur lehnt eine Geschichte nach der anderen ab, egal ob sie vor einer Woche, einem Tag oder vor zehn Minuten geschehen ist, mit der stereotypen Begründung: nicht aktuell genug. Schließlich betritt der entnervte Reporter ein letztes Mal das Büro und bietet eine Story über einen Mord an; Zeitpunkt des Geschehens - er zieht die Pistole und zielt auf den Redakteur -: jetzt. Dieses treffliche kurze Bühnenstück wird bevorzugt mit Accessoires ausgeschmückt, die man mit der Hochzeit des Zeitungswesens, den zwanziger Jahren, beziehungsweise deren Darstellung in den amerikanischen Filmen der vierziger und fünfziger Jahre in Verbindung bringt - der Redakteur raucht Zigarre und der Reporter trägt Schiebermütze. Aber weder diese altmodischen Verkleidungen noch die zeitlose Entrücktheit des Laientheaters können verdecken, dass das beschriebene Dilemma seinen Aktualitätswert behalten halt. Die Erfüllung des eigenen Ideals kommt oft der Selbstabschaffung gleich. Das Ideal einer Zeitung ist die absolute Durchlässigkeit mit dem Ziel, immer neu und immer anders zu sein - ein Rennen, das man kaum gewinnen kann, es sei denn um den Preis der Selbstaufgabe. Denn oft erscheint auf dem Weg dahin gerade das als größtes Hindernis, was doch eigentlich eine Zeitung ausmacht: der Text, der immer erst noch geschrieben sein will und so die Gegenwart ins Präteritum befördert.
Die Einstellung der Wochenzeitung Die Woche ist längst keine aktuelle Meldung mehr. Obwohl ihr Fehlen erst diesen Donnerstag, dem ersten seit etwas über neun Jahren, an dem sie nicht erscheint, bemerkt werden kann, ist die Zeit der Trauer bereits vorüber, sind die Nachrufe versendet. Medien hinterlassen nun mal keine sichtbaren Lücken - an den Stellen, wo es Die Woche gab, wird nun einfach ein anderes Blatt liegen. Medien sind eben das: Mittler, Vermittler von Nachrichten, Meinungen, Reflexionen. Und so sehr sich Die Woche auch im Bemühen hervorgetan hat, ihrem Ensemble von Artikeln ein besonderes Gesicht zu geben - immerhin "Europe´s best designed newspaper"! -, so wenig ist es diese Verpackung, die Spuren hinterlassen hat. Das "journalistische Projekt" als solches dagegen schon.
Das Ende kam plötzlich, aber nicht unerwartet, heißt es. Der Satz ist eine der vielen paradoxen Formulierungen, die zum Thema Die Woche letzte Woche zu lesen waren. Sie sei eine Zeitung gewesen, die "wenige kauften, aber viele kannten", "besser als ihr Ruf", eine "aussichtslose Neugründung", die mit der Kombination aus "extremer Leserfreundlichkeit" und anspruchsvollem Journalismus die "Quadratur des Kreises" probiert hätte und damit nun leider "nicht am Ziel, sondern am Ende" sei. Das vertrackteste all dieser wohl formulierten Bonmots war allerdings ein viel zitiertes Kollegen-Urteil: Die Woche sei wichtig, aber man bräuchte sie nicht.
In dieser hübsch zugespitzten Paradoxie liegt viel Häme versteckt - kann es ein vernichtenderes Urteil für eine Zeitung geben als sie für überflüssig zu erklären? In Kombination mit "nicht gebraucht werden" nämlich wird aus der "Wichtigkeit" ihr glattes Gegenteil: eine eitle Behauptung und hohle Geste. In der feinen Unterscheidung von einerseits "wichtig" und andererseits "gebraucht werden" lässt sich allerdings auch so etwas wie eine Zeitenwende ablesen, an der vielleicht tatsächlich die Ursache des Scheiterns des Projekts der Woche zu suchen wäre. Ganz allgemein nämlich verlieren die Zeitungen an "Wichtigkeit"; jenen Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik, der zum Beispiel noch in den Nachrufen auf die Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff so deutlich wird, haben die Printmedien längst verloren. Die Politiker drängt es heute in die "durchlässigeren" Medien, dorthin, wo sie sich gar nicht erst mühsam über Texte vermitteln müssen, sondern mit Präsenz agieren können.
Wie aber sieht es dann mit dem Gebrauchtwerden aus? Gebraucht werden Zeitungen heutzutage erst ab einer bestimmten Auflage - allerdings weniger in den Augen der Leserschaft als vielmehr im Hinblick aufs Anzeigengeschäft. Weshalb der freie Markt eben gar nicht so zwangsläufig wie meist behauptet für Meinungsvielfalt sorgt. Das Nachsehen haben die Leser "kleiner" Zeitungen. Schade um die Woche.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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