Obwohl dies im Ernst niemand will, glauben inzwischen immer mehr Euro-Krisenmanager an einen Kollaps der Gemeinschaftswährung. Auch der finnische Außenminister Erkki Tuomioja. Der versichert im Interview mit dem Daily Telegraph, seine Regierung habe Vorkehrungen getroffen für den Tag X. Finnland zählt bisher zu den verlässlichen Partnern des Euro-Krisenmanagements, hat aber bei Bürgschaften für den Rettungsfonds stets Sonderkonditionen durchgesetzt. Bei Hochschuldnern wie Griechenland oder Spanien bestehen sie in einem Pfand als Gegenleistung für verbürgte Kredite. Leistet sich Helsinki seinen verhaltenen Pessimismus, weil sich die Anzeichen mehren, dass mit Griechenland bald der erste Dominostein fällt, weil Premier Samaras in dieser Woche
dieser Woche auf Bittgang durch etliche EU-Hauptstäde kaum auf offene Ohren stieß? Die Konsequenzen wären dramatisch, auch für Deutschland.Absurde GeschichteWährend die Bundesregierung das Unvermeidliche offenbar nicht aufhalten will, sollte man von der Opposition zumindest klare Worte erwarten dürfen. Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD, alarmiert stattdessen mit tollkühnen Thesen. Deutschland hafte inzwischen mit einer guten Billion. Eine Fantasiezahl, an der nichts stimmt. Der bewirkte Effekt, die Bundesbürger mit Worst-Case-Szenarien an den Ernst der Stunde zu erinnern, mündet allzu schnell in Angstmache. Nur warum? Bis jetzt kostete die Euro-Krise deutsche Steuerzahler noch keinen Cent. Nur für faule Kredite, die in den Bad-Bank-Bilanzen der maroden Hypo Real Estate stecken (etwa Griechenland-Anleihen für neun Milliarden Euro), haftet er voll.Aber in Europa? Schlimmstenfalls würde der Rettungsschirm EFSF bis an die Grenze seiner Kapazitäten von jetzt 780 Milliarden Euro gehen. Fielen alle Kredite vollständig aus, müsste die Bundesrepublik für gut 29 Prozent dieser Summe haften. Aktuell sind aber nur 188 Milliarden Euro aus diesem Kapitalstock vergeben. Das heißt, die Bundesrepublik hätte bei einem Totalverlust Ausfälle von rund 55 Milliarden zu tragen. Bliebe noch das erste Rettungspaket für Griechenland mit 73 Milliarden Euro, finanziert durch EU und IWF. Sollte davon alles verloren sein, kämen nach geltendem Verteilungsschlüssel Einbußen von 16 Milliarden in Betracht. Summiert mit möglichen EFSF-Verlusten, ergäbe das 70 Milliarden.Um auf eine Billion zu kommen, braucht Schneider einen weiteren Mega-Kredit, den die Bundesrepublik vergeben haben soll, und findet ihn im sogenannten TARGET2-Saldo der Bundesbank von aktuell 727 Milliarden Euro. Erfunden hat diese Legende Hans-Werner Sinn, einer der omnipräsentesten Talkshow-Ökonomen der Republik. Geglaubt wird sie gern, da wenige verstehen, was sich hinter TARGET2 verbirgt. Bekanntlich sollen Banken den Zahlungsverkehr erleichtern und beschleunigen, im Inland wie mit ausländischen Klienten. In diesem Kontext ist TARGET2 nichts anderes als ein System der Zahlungsvermittlung, das grenzüberschreitende Geldtransfers – als Bewegungen von Konto zu Konto in der EU – befördert. Zu diesem Zweck verbindet es die Notenbanken aller EU-Länder miteinander. Da es sich bei der EZB um die Zentralbank dieser Notenbanken handelt, laufen bei ihr derartige Zahlungen zwischen den Notenbanken zusammen. TARGET2 heißt dieses System, weil es 2007/08 modernisiert wurde. Eine rein technische Operation, von der jeder EU-Bürger profitiert, der innerhalb des europäischen Bankensystems Geld gebraucht. Da Herrn Sinn offenbar der Unterschied zwischen einem Kredit und einem Verrechnungssaldo nicht geläufig ist (zumindest tut er so), macht er aus einer saldenmechanischen Selbstverständlichkeit eine Horrorgeschichte. Dass momentan TARGET2-Salden rasant steigen, ist kaum verwunderlich. Dieser Anstieg resultiert aus den massiven Geldspritzen der EZB, die seit Dezember 2011 gesetzt wurden, und der nicht minder massiven Kapitalflucht aus südeuropäischen Krisenländern in sichere Geldhäfen des Nordens.Deutsche GemütslageDiese Geschichte offenbart – noch ist die reale Krise nur in Maßen angekommen, aber die gefühlte Panik treibt schon jetzt wundersame Blüten. Wenn EZB-Präsident Mario Draghi ankündigt, seine Bank werde die Gemeinschaftswährung unbedingt verteidigen und notfalls wieder Staatspapiere aufkaufen, legt die Bundesbank Protest ein. Aus welchem Grund? Wenn in akuter Bedrängnis eine funktionsfähige Institution der EU Courage zeigt und per Geldpolitik gegen die gemeingefährlichen Konfusionen der „Märkte“ angehen will, sollte das Grund zur Genugtuung sein. Weshalb nicht für eine Weile neo-monetaristische Dogmen vergessen und tun, was getan werden muss? So wie es sich für eine gutbürgerliche, konservative Krisenpolitik gehört.Weil das nicht zur deutschen Gemütslage passt, gerät nun die EZB als solche unter Beschuss. Prompt erschallt aus Deutschland der Ruf nach einer Radikalreform des Instituts, die dem größten Anteilseigner auch den ihm zustehenden Einfluss verschafft. Die EZB ist – wie die Bundesbank – als Zentralbank der Zentralbanken in einem föderalen System konzipiert. Das bedeutet, im EZB-Rat entscheiden die sechs Mitglieder des Direktoriums und 17 Präsidenten der nationalen Notenbanken aus den Euroländern mit einfacher Mehrheit. Ein Veto ist nicht vorgesehen, auch nicht für die Bundesbank. Eine bemerkenswerte Konstellation: Im Prinzip ist Deutschland für den Föderalismus in Europa und folgt dem Prinzip „Ein Land eine Stimme“, geht es aber ums Geld, sollen doch besser die Vorrechte der Reicheren gegenüber den Ärmeren gewahrt sein.Derlei Umbauten, um die EZB auf Linie zu kriegen, kommen auf jeden Fall zu spät. Ohnehin liegt das Problem ganz woanders. Im günstigsten Fall können die Vorhaben in Sachen Anleihekauf den Zinsdruck für die Krisenländer zeitweise mindern – sie können aber weder die Doppelrezession in Europa noch die Weltdepression aufhalten und keine Wende der von Merkel & Co. betriebenen, ökonomisch widersinnigen Krisenpolitik bewirken. Diese Wende ist Sache der Bürger, nicht der Zentralbanker.