Papierlos, rechtlos

Gewerkschaft Menschen ohne Arbeitserlaubnis können bei Verdi nicht mehr Mitglied werden. Damit schießt sich der Gewerkschaftsvorstand ins eigene Knie
Ausgabe 24/2014
Papierlos, rechtlos

Bild: Dave Einsel / Getty

Gemeinsam kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen: So präsentieren sich die deutschen Gewerkschaften gerne nach außen. Doch wenn es um Flüchtlinge geht, hört die Solidarität schnell auf – zumindest beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Vorstandsetage ist nämlich der Auffassung, dass Ausländer ohne Arbeitserlaubnis nicht Verdi-Mitglied werden dürfen.

Begonnen hat es im vergangenen Sommer, als rund 300 Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in die Gewerkschaft aufgenommen wurden – vom Hamburger Fachbereich „Besondere Dienstleistungen“. Die Asylbewerber schrieben: „In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden, die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt.“ Seitdem sah man bei Flüchtlingsdemos häufig Verdi-Fahnen. Doch dann bekam der Hamburger Gewerkschaftssekretär Peter Bremme eine Abmahnung vom Bundesvorstand. Er habe mit der Aufnahme der Flüchtlinge gegen die Satzung verstoßen.

Sollen sie alle paar Wochen die Gewerkschaft wechseln?

Begründet wurde das mit einer Stellungnahme der Verdi-Verwaltung, die formaljuristisch in Ordnung sein mag, mit der Wirklichkeit und den Herausforderungen einer Gewerkschaft jedoch herzlich wenig zu tun hat. Zum einen wird bemängelt, dass einige Lampedusa-Flüchtlinge als Bauarbeiter oder Automechaniker arbeiteten, also bei einer Dienstleistungsgewerkschaft falsch seien. Dies verkennt jedoch die Lebensrealität der meisten Migranten, die sich mit kurzfristigen Arbeitsverhältnissen herumschlagen müssen. Sollen sie alle paar Wochen die Gewerkschaft wechseln?

Zum anderen argumentieren die Bürokraten von Verdi, dass diejenigen Flüchtlinge, die keine Arbeitserlaubnis haben, weder lohnabhängig noch erwerbslos seien. Dabei gelingt der Gewerkschaftsverwaltung ein Kunstgriff, indem sie sich „weniger auf den Zustand der Erwerbslosigkeit als auf die arbeitsmarktpolitische bzw. sozialrechtliche Zuordnung“ beruft. Das heißt: Weil die Flüchtlinge vom Staat nicht als erwerbslos gezählt werden, dürfen sie sich nicht in Verdi organisieren.

Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich arbeitslos melden können? Sollte der Staat entscheiden, wer Gewerkschaftsmitglied wird? Und wird durch ein solches Gebaren nicht die Verhandlungsposition von Verdi gegenüber den Arbeitgebern geschwächt?

Der Druck steigt

Es gibt einen guten Grund, weshalb sich nicht nur Lohnabhängige in Gewerkschaften organisieren: Die Erwerbslosen können leicht gegen sie ausgespielt werden. Wenn sie durch Sozialhilfekürzungen gezwungen sind, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, dann erhöht das auch den Druck auf die Beschäftigten, eine miese Bezahlung zu akzeptieren. Bei Menschen ohne Arbeitserlaubnis ist es genauso: Wenn sie illegal für Hungerlöhne arbeiten, schwächt das auch die Gewerkschaften. Der Verdi-Vorstand schießt sich also ins eigene Knie, wenn er die Flüchtlinge ausschließt.

Das erkennen inzwischen auch viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter. Sie haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine Verdi-Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus fordert. Der Bundesvorstand ist von seiner Position zwar nicht abgerückt, aber es gibt einige Hoffnungsschimmer. Die aufgenommenen Flüchtlinge aus Hamburg dürfen trotz des Gutachtens Verdi-Mitglieder bleiben. Zudem existieren seit einigen Jahren in mehreren Städten Verdi-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Ihr Motto: Papierlos, aber nicht rechtlos. Es sollte für alle Flüchtlinge gelten. Vor allem in den Gewerkschaften.

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