Papiertiger spring!

Kommentar EU-Außenminister in Helsingör

Colin Powell hat ein Herz für die "Europäer". Er meidet die brüske Grobheit eines Cheney oder Rumsfeld, die Westeuropa längst zu einem Alliierten auf Abruf degradiert und in die strategische Reserve entlassen haben. Der Außenminister baut den "Europäern" Goldene Brücken zurück in den Anti-Terror-Krieg. Er versteht, dass sie mit Informationen über die Vernichtungspotenziale Saddams versorgt werden müssen, mit denen sie längst versorgt sind. Er verspricht Abstimmung über einen Krieg gegen den Irak und spricht nicht von jener imaginären roten Linie, die den strategischen Führungsanspruch Amerikas markiert. Und er darf sich auf den atlantischen Bruderkuss der Briten verlassen. London wird die Idee eines Ultimatums an Bagdad für eine Rückkehr der UN-Inspektoren so lange verfechten, bis sie der Sicherheitsrat zum Beschluss erhebt. Oder den "Europäern" das gute Gefühl gibt, wirklich alles, aber auch alles getan zu haben, um ein "worst case"-Szenario zu vermeiden. Vor allem von Schröder und Stoiber wird man das nach dem 22. September hören, wenn das Wählervotum in einen Freibrief für Bündnistreue umgewidmet wird.

Colin Powell weiß allerdings auch, niemand kann ernsthaft Inspektoren in ein Land schicken, das durch einen Krieg mit amerikanischen Massenvernichtungswaffen bedroht ist. Ihr Schicksal wäre besiegelt, ein Los als Geiseln Saddam Husseins noch die freundlichere Variante. Die Rückkehr der Vereinten Nationen in den Irak ist nur bei einer Abkehr von einem Krieg gegen den Irak denkbar. Wer vorgibt, eine diplomatische Lösung finden zu wollen, kann dieses Junktim nicht ignorieren. Alles andere degradiert Diplomatie zur Demagogie. Ohne Einlenken der Amerikaner bleiben alle Bemühungen virtuelle Manöver. Die Chance für ein solches Einlenken ist allerdings nach dem europäischen Dissens von Helsingör weiter gesunken. Nur eine geschlossene und entschlossene Position der EU-Außenminister hätte die USA - unter Umständen - beeindruckt. Denn ein transatlantischer Bruch in der Irak-Frage stellt den regionalen Sinn einer Anti-Terror-Allianz im Nahen und Mittleren Osten zur Disposition. Wer sich beim Irak verweigert, wird auch die nachgeordneten Schritte zu einer Neuordnung dieses Raumes, dessen Transformation in amerika-freundliche Homelands, fürchten. Einen sich abzeichnenden Schlag gegen Iran, die Domestizierung Syriens, die Bantustanisierung der Palästinenser - dieses grandiose Befriedungsprogramm müssen die Europäer abfedern. Nicht als Solidargemeinschaft Amerikas, sondern als Nachbarregion, die davon direkt betroffen ist. Helsingör bot die Gelegenheit, gegen die strategische Autonomie der Amerikaner eigene Handlungsautonomie zu setzen. Warum ließ man nicht den sonst bei vielen Anlässen weinerlich beschworenen Papiertiger Gemeinsame Außenpolitik springen und das freche Wort vom Euro-Gaullismus raunen? Powell hätte gespürt, warum sein Herz für Europa schlägt.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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