Pappeln und Solidarität

Baugruppen II Sie wollen ­ökologisch, nachhaltig und solidarisch bauen - wenn da bloß die Nachbarn nicht wären: Der Streit um das Projekt "Karloh" im Berliner Bezirk Alt-Treptow

Noch vor ein einigen Wochen standen 14 Pappeln am Ende der Karl-Kunger-Straße, unweit des Landwehrkanals, im Berliner Bezirk Treptow. Heute sind nur Stümpfe übrig. Die Pappeln wichen dem Wohnprojekt der Baugruppe „Karloh“. Mitte nächsten Jahres soll hier ein „ästhetisch attraktives Wohnhaus“ stehen, wie es auf einem Flugblatt für die Nachbarn heißt. Es sind Lehrer, Psychologen und Freiberufler, die gemeinsam 22 Wohnungen errichten wollen. Laut Flugblatt soll es dabei „ökologisch und nachhaltig“, „generationen- und lebensweisenübergreifend“, „individuell und solidarisch“ zugehen. Kurz: Die Bionade-Bourgeoisie baut sich in einem günstigen Kiez ein politisch korrektes Haus.

Doch so einfach ist das nicht. Um „Karloh“ gibt es einen erbitterten Streit. Die Initiative gegen „Mieterhöhung, Verdrängung und Pappelabholzung“ wirft der Baugruppe Doppelmoral und alternative Worthülsen vor. Die Gegner besetzten deswegen das Grundstück, umarmten die Pappeln, als sie noch standen, und verteilten eigene Flugblätter. Eine „Dämonisierung von Menschen, die etwas Gutes bewegen wollen“, zürnte ein Baugruppen-Mitglied.

Der Konflikt entspann sich zunächst an den Pappeln. Schließlich gibt es kaum etwas, dass so gefühlsaufgeladen ist wie alte Bäume. „Die angeblichen Ökos bauen hier, weil es so schön grün ist, und holzen dann die Pappeln ab“, sagt eine Anwohnerin. „Das ist doch gaga.“ Die ökologische Nachhaltigkeit des Projekts bezieht sich nur auf den geringen Energieverbrauch des Hauses. Über eine Verschonung der Pappeln ließ „Karloh“ nicht mit sich reden. Das hätte weniger Wohnfläche und höhere Kosten bedeutet. Dass „Karloh“ im Internet das Wohn-Projekt „demokratisch und partizipativ“ nennt, weckte offenbar falsche Erwartungen.

Solidarität nur für die, die zahlen können?

Die Ökologie ist das eine, die soziale Frage das andere. Die Pappelfällung wurde den Kiez-Aktivisten zum Symbol für den sozialen Wandel in Alt-Treptow. Seit Jahren erleben sie, wie die Mieten im Kiez steigen, einkommensschwache Anwohner wie Hartz-IV-Empfänger und Rentner wegziehen müssen. Die Baugruppe sehen sie als Teil dieser Verdrängung an. Das Qualitäts-Haus werte das Viertel ökonomisch auf, was die Mieten steigen lasse. Die Kaufkraft seiner Bewohner führe zu steigenden Preisen. „Die Solidarität der Baugruppe gilt nur denjenigen, die dafür zahlen können“, sagt ein Gegner.

Baugruppen-Mitglied Sabine Hark hält dieses Argument für zynisch. Zu Ende gedacht bedeute dies, eine „soziale Gettoisierung“ zu fordern. Zum Shoppen in teuren Boutiquen fehle den Hausbewohnern sowieso das Geld, wenn sie in Zukunft ihre Kredite abbezahlten.

Eine Verständigung wäre vielleicht einfacher gewesen, hätte sich die Baugruppe „schichtübergreifend“ organisiert und auch „bezahlbaren Wohnraum für Hartz-IV-Empfänger“ eingeplant, wie ihn die Kiez-Aktivisten fordern. Eine sozialromantische Idee. Wenn eine Baugruppe aber das Motto wählt „Wir lieben, was hier möglich ist“, gerät der Gedanke in den Bereich des Vorstellbaren.

Zumindest intern weckt das Projekt aber Gemeinschaftsgefühle. Die 22 Parteien mussten in vielen Fragen zum Konsens finden, von der Unterbringung der Fahrräder bis zur Finanzierung. Baugruppenmitglied Ilona Pache berichtet von „High-Phasen“. „Die stellen sich ein, wenn man gemeinsam etwas geschafft hat.“ Wenn das bloß die zukünftigen Nachbarn wüssten.

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