Patchworkfamilie am Limit

Frankreich Eine Reanimation des Parti socialiste (PS) ist bisher misslungen, doch Resthoffnungen bleiben
Ausgabe 32/2018
Am Boden. Ratlos: der Erste Sekretär Olivier Faure
Am Boden. Ratlos: der Erste Sekretär Olivier Faure

Foto: Joel Saget/AFP/Getty Images

Steht der Parti socialiste (PS) mit gerade einmal 29 Abgeordneten in der Nationalversammlung am Abgrund? Vor sechs Jahren sah die Welt für die Partei noch erfreulich aus. Seinerzeit gewann François Hollande mit 51,6 Prozent die Wahl zum Präsidenten gegen den so ehrgeizigen wie aggressiven Nicolas Sarkozy. Zugleich errangen die Sozialisten die Mehrheit in Nationalversammlung und Senat, und man regierte in 21 von 22 Regionen – der PS dominierte das Land.

Im Vorjahr ließen schon die Umstände für die Auswahl des Bewerbers für die Präsidentenwahl nichts Gutes ahnen. Wäre es nach Hollande und der PS-Spitze gegangen, hätte sich die Allianz Peuple de Gauche (das linke Volk) aus Sozialisten, Ökologen, Radikaldemokraten und Kommunisten formiert, um in gemeinsamen Vorwahlen einen Präsidentschaftskandidaten zu ermitteln. Gedacht war ein Fanal, nicht zuletzt in Erinnerung an die Volksfront von 1936, und eine Kampfansage an den Front National (heute: Rassemblement National) wie die Konservativen. Allein, es kam anders. Der Parti de Gauche (heute: La France insoumise) von Jean-Luc Mélenchon und die Kommunisten konnten dem Projekt nichts abgewinnen. Hollandes Traum einer Wiederwahl war geplatzt, sodass er sich in der Erwartung aus dem Rennen nahm, schon die Wahl zum Kandidaten eines breiten Bündnisses zu verlieren.

Schließlich konkurrierten drei sozialistische Spitzenpolitiker – Ex-Premier Manuel Valls und die PS-Minister Vincent Peillon und Benoît Hamon –, von denen Letzterer ins Rennen um die Präsidentschaft ging und im ersten Wahlgang auf blamable 6,3 Prozent kam, was den PS schwer erodieren ließ. Valls näherte sich Macrons La République en Marche (LRM), Hamon gründete seine eigene Partei „Génération.s“ – die Krise glitt ins Chaotische ab.

Immer schon glich der PS seit der Gründung von 1971 mit seinen Fraktionen einer Patchworkfamilie, die sich viel Krach leistete. Nach der Wahlniederlage 2017 dabei zu bleiben, wäre selbstmörderisch. Die Sozialisten sind zur Kleinpartei geschrumpft. In der Nationalversammlung nennt sich die Fraktion Nouvelle Gauche, was allerdings an ihr neu sein soll, blieb der Öffentlichkeit bisher ebenso verborgen wie der faktisch unsichtbare Erste Sekretär Olivier Faure. Dagegen profiliert sich Jean-Luc Mélenchon im Parlament als Sprecher der linken Opposition gegen die überwältigende Mehrheit der „Macronisten“.

Verlorene Gewissheiten

Nicht nur politisch, auch finanziell ist der PS angeschlagen. Da die staatliche Parteienfinanzierung wegen der Stimmenverluste von 25 Millionen auf sieben Millionen Euro sank, mussten der Sitz der Parteizentrale (Wert: 45 Millionen Euro) verkauft und die Hälfte der Parteiangestellten entlassen werden. Ehemals führende Sozialisten ließen sich von Präsident Macron als Minister anheuern, so Außenminister Jean-Yves Le Drian und Gérard Collomb als Innenminister.

Am Willen zu einer programmatischen Erneuerung fehlt es nicht, um eine Alternative zu Macrons neoliberaler Entkernung von Demokratie und Sozialstaat anzubieten. Die Codes eines radikalen Reformismus sind Begriffe wie soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichberechtigung und Ökologie, nur sind die Zeiten passé, in denen sich die Linke ganz selbstverständlich als „Erbe der Zukunft“ präsentieren konnte. Gäbe es ausreichend bezahlbare Wohnungen, Chancengleichheit in der Bildung, „gute Arbeit“ statt der prekären im Niedriglohnsektor liefe der europaweite, von vielen Medien mitbewirtschaftete Versuch von Liberalen, Konservativen und Rechten, die Migrationsfrage als „Schicksalsfrage“ zu kostümieren, ins Leere.

Die „Renaissance“, die Olivier Faure als sein Programm verkündet, wird nur gelingen, wenn er mit anderen Parteien ein gemeinsames Projekt vorlegt, das neben der nationalen die europäische und die globale Dimension gleichermaßen berücksichtigt. Bisher kann – trotz des Sommergewitters um seinen Leibwächter Benalla – Macron in Ruhe weiterregieren.

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