Patriarchat wegzaubern!

Feminismus Auf Netflix, in Literatur und Theater sind die Hexen wieder da – als Rollenmodell
Ausgabe 46/2019

Hin- und hergerissen zwischen Grusel und Schadenfreude beobachtet der Zuschauer am Ende der ersten Staffel von Chilling Adventures of Sabrina, wie die Figur Lilith den sexistischen Schulleiter in einen Sessel fesselt und knebelt. Für seine ekligen Versuche, die Hexe anzugraben, endet er als ihr Abendessen. Die Netflix-Serie, die Ende Oktober 2018 online ging, bemüht sich darum, sämtliche populären Vorstellungen von Hexen auszukosten, und spart dabei weder Polygamie noch Kannibalismus aus. Dabei ist ihr eigentliches Ziel die Zerstörung des Patriarchats. Die Opfer der Hexen sind entsprechend fast immer misogyne Männer in Machtpositionen.

Kulturell feiern die Zauberinnen ein Comeback. Die österreichisch-israelische Regisseurin Yael Ronen inszeniert am Maxim Gorki Theater derzeit ein Stück zur Hexenverfolgung. Ronen begreift die Hexenverfolgung als Beginn des modernen Patriarchats und will mit dem Stück „Potenzial für eine widerständige, ja utopische Praxis“ zu seiner Überwindung ausloten. Alle Vorstellungen von Rewitching Europe sind ausverkauft, das Interesse ist merklich groß. Mal wieder, muss man sagen, denn der letzte Hype um die Figur, als Teenies Hexenzirkel gründeten, Kristalle kauften und Tarotkarten legten, ist keine 25 Jahre her.

Auch damals flimmerte eine Version der Teenie-Hexe Sabrina über die Fernsehbildschirme junger Mädchen. Allerdings war diese humorvoller und jugendfrei. Das Comeback ist, anders als in den späten 1990ern, ausgesprochen feministisch. Die Hexe als ikonische Figur der Frauenbewegung hat aber tiefer liegende Wurzeln. An Halloween 1968 zog eine Gruppe Feministinnen in schwarzen Umhängen und Spitzhüten über die Wall Street. Sie nannten sich WITCH – „Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell“ (Internationale Terroristische Frauenverschwörung aus der Hölle). Neben dem Patriarchat wollten sie dem Kapitalismus gleich mit an den Kragen, den sie als eigentlichen Grund für die Unterdrückung der Frauen sahen. Deshalb belegten sie die Wall Street mit einem Fluch. Angeblich fiel der Dow Jones am nächsten Tag. In den folgenden Jahren machte die Protestgruppe immer wieder mit Performances, bei denen Firmen oder ganze Industriezweige symbolisch verflucht wurden, auf sich aufmerksam. Im Zentrum stand dabei nicht so sehr die tatsächliche Wirkung der Flüche, sondern die theatralische Form ihres Protests. Seitdem tauchen als Hexen verkleidete Frauen immer wieder auf feministischen Demonstrationen auf.

Sie machen Männern Angst

Die unabhängige Frau mit übernatürlichen Kräften, die in der Lage ist, die patriarchale Ordnung ernsthaft zu bedrohen, ist Teil der Mythenbildung um die Hexenverfolgung. Dabei wird die Hexenverbrennung zum krassesten Ausdruck männlicher Herrschaft. Frauen wurden als Hexen verbrannt, weil sie sich weigerten, sich den Männern unterzuordnen. Das Bild der mittelalterlichen Hexe ist das der Hebamme oder Heilerin, die selbstständig lebt und über Wissen in Kräuterheilkunde verfügt, das den männlichen Ärzten zu der Zeit fehlte. Diese Frauen bedrohten deren Macht und mussten deshalb getötet werden. Das ist die feministische Interpretation der Hexenverfolgung. Folgt man ihr, wirkt es geradezu zynisch, dass es jetzt ausgerechnet mächtige Männer sind, die den Begriff der Hexenverfolgung aufnehmen, wenn sie sich als bedroht erachten, allen voran Donald Trump.

Getroffen hat es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit keine Mächtigen, sondern oft alte, verwitwete und verarmte Frauen. Vergessen wird bei der Mythenbildung aber, dass die Hexenjagd nur einen Teil der Inquisition darstellte, der Männer ebenso zum Opfer fielen wie Frauen. Und obwohl sich der Hexenhammer, der 1487 die Verfolgung von Hexen legitimieren sollte, beinahe so misogyn liest wie viele Tweets des US-Präsidenten, geht die Forschung inzwischen davon aus, dass jede fünfte verurteilte Hexe ein Mann war. Furcht vor und Faszination für eine Figur, die nicht nachvollziehbare Kräfte besitzt, sind damals wie heute verständlich. Hexerei ist auch der Traum von einer Fähigkeit, die Ungerechtigkeiten mit einem Fingerschnippen verschwinden lässt oder zumindest rächt. Der Wunsch nach Macht für die Machtlosen.

Danach scheint zu Beginn auch Lucy, eine Nebenfigur in Siri Hustvedts jüngstem Roman Damals, zu suchen. Gezeichnet von einer Ehe, in der sie über Jahre von ihrem Mann psychisch missbraucht und geschlagen wurde, findet sie Halt in einem Hexenzirkel. Die Frauen lesen okkulte Bücher, lernen Zaubersprüche und glauben, dass Lucy ihre tote Tochter sehen kann. Obwohl die Protagonistin Lucys Überzeugungen nicht teilt, ist sie fasziniert von dem Glauben der Hexen an eine weibliche Macht, die magisch ist und Männern Angst macht. Lucys Zauber richten sich gegen den gewalttätigen Ex-Mann und den drogenabhängigen Sohn, die sie mit Hilfe von voodooartig gebundenen Puppen im Zaum zu halten versucht. Auch wenn die Rituale wirkungslos bleiben, haben sie einen Effekt auf Lucy. Sie beginnt, ihr Trauma zu verarbeiten.

Bereits die Frauen von WITCH wussten, dass die Kraft ihrer Flüche in der Symbolik lag. Ihre Auftritte waren hauptsächlich Performance und Protest, die die Zuschauer aufrütteln und nicht etwa die Wall Street tatsächlich zerstören sollten.

Der heutige Hype hat viel damit zu tun, dass sich Spitzenkleider, Kristalle und Tarotkarten sehr gut präsentieren lassen. Der Instagram-Kanal von „The Hoodwitch“, einer der mit über 400.000 Abonnenten erfolgreichsten Online-Hexen, paart düstere Fotos von Frauen mit Spitzenschleiern und Totenschädeln. Einige der Bilder dienen als Werbung für ihren Online-Shop und zeigen dort angebotene Kristalle, Kräuter und Tarotkarten. Auf manchen sieht man aber auch Bri Luna, die Frau hinter „The Hoodwitch“, stilvoll gekleidet und entspannt zwischen Kerzen im Wald sitzen. Die meisten bekannteren Instagram-Hexen sind junge, hübsche Frauen. Mit den alten, buckligen, grünhäutigen Damen aus den Märchen haben sie nichts gemeinsam.

Okkulte Riten gegen Trump

Auch die politische Seite der neuen Hexen findet online statt. Flüche auf Trump und etwa den Supreme-Court-Richter Kavanaugh, dem sexuelle Nötigung während seiner College-Zeit vorgeworfen wird, werden auf Instagram angekündigt und festgehalten. Auf dunklen Bildern sieht man kleine weiße Stoffpüppchen, auf deren Köpfen Fotos der zu Verfluchenden befestigt sind, schummrig von Kerzen beleuchtet. Ob man nun an Magie glaubt oder nicht, eine Wirkung hatten die Flüche. Als der okkulte New Yorker Buchladen Catland seine Rituale gegen Kavanaugh und Trump durchführte, standen vor den Türen betende Christen, die versuchten, den Fluch abzuwehren. Es scheint geklappt zu haben. Noch sind beide Männer im Amt.

Die Hexe des 21. Jahrhunderts begibt sich aktiv in den Widerstand und sieht dabei verdammt cool aus. Ihre Flüche sind ein Versuch, sich zumindest symbolisch gegen Sexismus und ein patriarchales System zu wehren, das Frauen Chancen noch immer verwehrt. Auch wenn sich das Patriarchat bisher nicht durch Zauber hat abschaffen lassen, ist viel gewonnen, wenn junge Frauen und Mädchen lieber selbstbewusste, bedrohliche Hexen sein wollen als angepasste, nett anzusehende Prinzessinnen, die darauf warten, dass ein Prinz auf seinem Gaul vorbeikommt.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

Alina Saha

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