A
Affäre The Argument of Tantalus sollte der Roman eigentlich heißen und an die Tantalus-Qualen erinnern, die – zumal verheiratete – Homosexuelle in der US-amerikanischen Gesellschaft der 1950er-Jahre zu ertragen hatten, wenn eine Affäre öffentlich wurde. Als Patricia Highsmith 1949 die Geschichte der jungen Therese, die als Aushilfe in der Spielzeugabteilung eines Warenhauses der schönen Carol begegnet und sich mit ihr in eine Liebesgeschichte verstrickt, aufschrieb, war ihr bewusst, dass sie das Buch (The Price of Salt, 1952) nicht unter ihrem eigenen Namen veröffentlichen konnte. Das Geheimnis der heiklen Autorschaft lüftete sie erst 1990, fünf Jahre vor ihrem Tod. So konnte sie, als Carol 2015 endlich ins Kino kam, nicht mehr erleben, wie die platin-kühle Cate Blanchett in der Titelrolle einem Begehrensstrudel erliegt, immer oszillierend zwischen der Kamera und dem Fotoapparat der Geliebten. Ulrike Baureithel
D
Delon Wie jungenhaft er da noch wirkt, die Haare sorgfältig gescheitelt, strolcht er durch die Straßen von Rom, Neapel, als könne er kein Wässerchen trüben. Offenes weißes Hemd, braungebrannt, Kippe, Jackett lässig über der Schulter. Aalglatt, aber man konnte sich in so einen Typen verlieben. Plein Soleil (dt.: Nur die Sonne war Zeuge), das war Sonne, Meer, Mord. Highsmith. Der französische Regisseur René Clement nahm sich ihren Thriller Der talentierte Mr. Ripley zur Vorlage (➝ Tagträume). Das Buch habe ich nie gelesen. Doch Delons Bewegungen, sie waren sanft wie die einer Katze, magnetisch, manchmal wild, aber nicht so aufgesetzt wie bei Gegenspieler Maurice Ronet. Delon war skrupellos als Mr. Ripley, aber man konnte es ihm nicht übel nehmen. Seine Augen, changierend zwischen grün, grau oder blau, beinahe verstörend schön. Nach diesem Film von 1960 lag ihm ganz Frankreich zu Füßen. Seiner Aura des erbarmungslosen Verführers blieb Delon auch in seinem Privatleben weitgehend treu. Maxi Leinkauf
E
Ediths Tagebuch „Was sie geschrieben hatte, war gelogen. Aber es würde ohnehin niemand sehen. Und ihr ging es besser, nachdem sie es geschrieben hatte; sie war nicht mehr so schwermütig, ja sogar fast fröhlich.“ Hans Geißendörfer hat den Roman 1983 verfilmt. Angela Winkler spielt die Edith, Vadim Glowna ihren Mann Paul, einen etablierten 68er-Vater. Als ich den Roman in diesen Tagen erneut las, war mir klar, dass nur ein Mischwesen aus Doris Day und Irm Hermann die Edith spielen könnte. Beide aber sind leider tot. Zusammen wären sie imstande gewesen, das Leben, wie es ist, wie es nicht sein soll, und das Leben, das als Alternative zu dem, was ist, im Tagebuch und vor dem inneren Auge zu denken wäre, so darzustellen, dass aus der Illusion mehr als nur die Hölle des gelungenen Selbstbetrugs entstünde (➝ Tagträume).
Eine Idylle, die in den Abgrund führt? Patricia Highsmith fasst es lakonisch. „Der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit: das ist die Hölle.“ Die Hölle so bewohnbar zu machen, dass wir schreiend davonlaufen, aber immer wieder in sie zurückfinden, das ist das unermessliche Verdienst ihres Romans Ediths Tagebuch. Hans Hütt
F
Foto Nachdenklich und herausfordernd, verletzlich und unglücklich: Attribute, die Highsmith auf Rolf Tietgens’ Aktaufnahme von 1942 zugeschrieben wurden. Vor allen Dingen: jungenhaft. Sie selbst hielt sich für „das lebende Beispiel eines Jungen im Körper eines Mädchens.“ Highsmith war lesbisch und liebte Frauen aus denselben Gründen, die Männer an Frauen schätzen: Plumpe, behaarte, maskuline Körper stießen sie ab. Manchmal ging sie dennoch mit einem Mann ins Bett; etwa mit dem bisexuellen, aus Hamburg stammenden Fotografen. Tietgens wollte sie sogar heiraten. Highsmith widmete ihm ihren Roman Die zwei Gesichter des Januars (➝ whydunit). Darin sieht ein Mann einen anderen mit einer Leiche im Schlepptau. Wegschauen? Die Polizei rufen? Highsmiths Lösung: dem Mann bei der Beseitigung helfen! Tietgens hätte das nie getan. Ralf Höller
I
Instabilität Die Settings von Highsmiths Geschichten sind alltäglich. Sie braucht keine Blutbäder, um Grauen zu erzeugen. Bei Highsmith ist es der Alltag, der das Schrecklichste bereithält. Da kann jederzeit alles passieren. Keine Gewissheiten, keine Stabilität. Ein Zufall, ein unglückliches Zusammentreffen, und alles gerät ins Rutschen. Zerrissen war auch Highsmiths eigenes Dasein: Obwohl sie mit eiserner Disziplin über Jahre hinweg acht Seiten am Tag schrieb, erwuchs daraus keine Sicherheit; dafür Selbsthass, Depressionen, Alkohol. Kirsten Reimers
K
Katzen Nach dem Aufstehen, erzählte Patricia Highsmith, mache ich zuerst Kaffee und dann sage ich zu meinen Katzen, dass wir einen großartigen Tag erleben würden. Einige davon kennt man sogar mit Namen. Denn Highsmith, deren Verhältnis zur eigenen Gattung bestenfalls als ambivalent bezeichnet werden darf, gilt als große Tierfreundin. Selbst Spinnen wurden vorsichtig ins Freie verbracht. Ihre große Liebe aber gehörte den Katzen, die der Autorin beim Erfinden finsterer Geschichten Gesellschaft leisten durften. Dass sie eins der Tiere in einem Handtuch herumgewirbelt habe, so dass es schwindlig durchs Zimmer torkelte, ist vielleicht nur gern kolportierte üble Nachrede, der wir natürlich keinen Glauben schenken. Joachim Feldmann
L
Locarno 1981 ließ sich die gebürtige Texanerin nach Stationen in Italien, Großbritannien und Frankreich im Tessin nieder. Ihre letzten Jahre im Dorf Tegna im Maggiatal waren ziemlich einsam. Vor allem mit ➝ Katzen und Schnecken umgab sich die Autorin, der Rest war ihr absolut egal. „Ein Ort voller alter Häuser, mit einfachen Leuten und ein paar Touristen im Sommer“, so lakonisch hat sie die idyllische Gegend beschrieben. Das Haus, das sie sich 1988 in Tegna erbauen ließ, war ihr Bunker – der eingeschossige weiße Bau sah auch so furchteinflößend aus. Eine Festung gegen die Welt, so ist dieses Bauwerk beschrieben worden. Die Schweiz war ihr nicht sonderlich sympathisch: „Die Winter in der Schweiz sind schwer zu ertragen und nicht gut für mich.“
1995 starb Patricia Highsmith im Krankenhaus von Locarno und wurde auf dem Friedhof von Tegna beigesetzt. Nach ihrem Tod kam der Nachlass von Patricia Highsmith ins Schweizerische Literaturarchiv. Marc Peschke
M
Misanthropie „Sie war nicht nett“, lautet der erste Satz von Joan Schenkars Highsmith-Biografie Die talentierte Miss Highsmith (2015), und freundlicher lässt es sich wohl nicht ausdrücken: Patricia Highsmith war antisemitisch, rassistisch und misogyn, sie war misstrauisch bis zur Paranoia, geizig, streitsüchtig, gemein, systematisch nachtragend (sie führte Listen darüber, was andere ihr angetan hatten). Sie liebte Schnecken und verabscheute Blumen, verachtete und bemitleidete sich selbst. Sie habe im Tessin als „verbitterte alte Auster“ gelebt (➝ Locarno), schreibt die Biografin.
Ihr Hass war gleichzeitig ihr Kapital: Ihre Romane und Erzählungen sind von Boshaftigkeit durchtränkt, hinter harmlosen Fassaden brechen menschliche Abgründe auf und lassen eine Perfidie von der Leine, die – aus sicherem Leseabstand – so beklemmend wie faszinierend ist. Gnadenlos und unbestechlich lotet Highsmith aus, was in Menschen vorgeht, und liefert auf diese Weise radikale, schmerzhafte Psychostudien und Gesellschaftsanalysen. Kirsten Reimers
T
Tagträume Dass ihre Figuren amoralisch sind, nicht einfach kalt, sondern sich in ihrer Kälte durchaus zu Hause fühlen, ist leicht zu beobachten. Irrationale Charaktere hat Graham Greene sie genannt, an denen man aber erst ermessen könne, wie flach die meisten anderen seien. Der Alltag ist ja öde und zutiefst unvergnüglich. Peter Handke hat sie 1975 als Sammlerin von Lebenseinzelheiten beschrieben, als gälte es, „ein stichfestes Alibi zum Weiterleben zu besorgen“.
Als sicherstes Mittel gegen die alltägliche Ödnis gibt es Tagträume. Peter Handke hat das kongenial an Highsmith und ihren Büchern beobachtet. Sie könne, sagte sie ihm, Menschen nur aushalten, wenn sie ihr Zeit zum Tagträumen ließen. Tom Ripley bei der Gartenarbeit: „Es war eine körperliche Betätigung, und er konnte dabei tagträumen“. Das steht in Ripley Under Ground. Der war ja selbst schon ein fortgesetzter Tagtraum zum ersten Ripley. Während der im Film mit Alain ➝ Delon, Nur die Sonne war Zeuge, recht gesetzeskonform mit Toms Überführung als Mörder endete, tat das der Roman mitnichten. Weise, denn so ließ es sich weiterträumen.
Highsmiths Bücher sind Tagträume über gestörte Tagträume. Denn die Störung setzt erst die Logik des Tagtraums so recht in Gang. Eine lustvoll böse Logik rächt sich für die Störung. Und der ins Leben gerutschte Tagtraum ist Lust und Alp der Protagonistinnen und Protagonisten; sie leben ihn einfach aus, als sei das normal – und wir ihn mit. Erhard Schütz
W
Whydunit Nicht zufällig gehören Patricia Highsmiths Krimis zu den am häufigsten verfilmten Romanvorlagen. Highsmith ist die Königin des „whydunit“, jenes Typus Krimi, der sich den Motiven des Täters, der häufig schon zu Beginn feststeht, widmet. Warum beispielsweise muss die schöne Colette MacFarland in Die zwei Gesichter des Januars (➝ Foto) sterben – und das durch die Hände ihres eigenen Mannes? Was erzeugt Chesters unbändige Wut? Im Falle der Krimikönigin Agatha Christie, deren Bücher vorrangig „whodunits“ sind, müssen als Mordmotive stets Geld und Eifersucht herhalten. Dagegen sind Highsmiths Täter komplexer. Am Ende folgen zwar auch sie niederen Motiven, diese werden aber von allerhand anderen Konflikten überlagert. In der Ripley-Reihe schwingt die latente Homosexualität Ripleys mit. Jede neue Tat dient der Vertuschung seines ersten Sündenfalls. Aber Tom kann gar nicht so viel morden, wie er vertuschen muss. Sie hege eine offene Sympathie für die Missetäter, gestand Highsmith. Marlen Hobrack
Z
Zigaretten Sie gehörten genauso zu Patricia Highsmiths Werkzeugen für einen exzessiven Lebenswandel wie harter Alkohol (Bourbon), Hass (➝ Misanthropie) und natürlich das Schreiben selbst. Lungenkrebs war am Lebensende ihr treuer Begleiter, ebenso wie lebenslange Anorexie, Zahnprobleme und Depressionen. Wer selber raucht, kennt diesen kurzen berauschenden Flash nach dem Inhalieren. In Highsmiths Fall womöglich ein Flash, der kurze Erholung verspricht; von der Illusionslosigkeit gegenüber den Abgründen der eigenen Spezies. Die sorgfältig ausgemalte Schwärze in ihren literarischen Schöpfungen korrelierte womöglich mit der Eintrübung ihrer Lungenflügel. Marc Ottiker
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