Eine beweiskräftige Klärung der Umstände des Giftgasvorfalls im nordsyrischen Chan Scheichun mit über 80 Toten ist einen Schritt vorangekommen. Die Organisation für das Chemiewaffenverbot (OPCW) hat mitgeteilt, es sei „unbestreitbar“, dass Sarin oder eine vergleichbare Substanz eingesetzt wurde. Für den vom Westen behaupteten Abwurf einer Giftgasbombe durch die Assad-Luftwaffe sprechen zwar viele Indizien. Doch die nicht nur von Russland verbreitete, sondern auch von ehemaligen Mitarbeitern diverser US-Geheimdienste für möglich gehaltene Version von der konventionellen Bombe, die beim Angriff auf das Waffenlager eines Al-Qaida-Ablegers ein zuvor nicht bekanntes Giftgasdepot getroffen hat, kann seriöserweise nicht ausgeschlossen werden. Unabhängig von der Schuldfrage war der US-Raketenangriff Anfang April auf eine syrische Luftwaffenbasis ein klarer Verstoß gegen die UN-Charta. Wer diesen Angriff „nachvollziehbar“ und „richtig“ nennt oder – wie der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt – sogar behauptet, er sei ausdrücklich gedeckt durch eine frühere UN-Resolution zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, dem ist das Völkerrecht entweder völlig egal oder er hat keine Ahnung davon.
Jedenfalls hat die Konfrontation mit Russland Präsident Trump innenpolitische Erleichterung verschafft. Republikaner wie Demokraten loben unisono Trumps „Entschlossenheit“ und „Handlungsfähigkeit“.
Doch eine Deeskalation oder gar politische Lösung des Syrienkonflikts bei den Genfer Verhandlungen hat die Militäraktion nicht befördert, eher erschwert. Für die Regierung von Präsident Assad können die Attacke und die Unterstützung durch die G7-Staaten einen Vorwand liefern, zur nächsten, von UN-Vermittler Staffan de Mistura für Mai angesetzten Genfer Runde nicht mehr zu erscheinen.
Zudem ist nicht auszuschließen, dass – in der Hoffnung auf weitere US-Schläge – das Anti-Assad-Lager jeglichen Kompromiss ablehnt. Bisher bleibt die Trump-Regierung eine kohärente Syrienpolitik schuldig, wie sie für jeglichen Fortschritt bei den seit Jahren ergebnislosen Genfer Sondierungen geboten wäre. Unverzichtbar ist, dass sich Washington und Moskau auf eine gemeinsame Linie in zwei zentralen Fragen einigen: eine klare Unterscheidung zwischen Oppositionsgruppen, die an Gesprächen über die Zukunft Syriens beteiligt werden, und den weiter zu bekämpfenden Terrormilizen mit IS- und Al-Qaida-Hintergrund. Ausgesprochen förderlich für einen solchen Konsens wäre es, wenn die USA – wie von Trump im Wahlkampf angekündigt – jeglichen Beistand für dschihadistische Sunniten-Milizen tatsächlich kappen. Nur dann gibt es eine realistische Aussicht, dass Russland gegenüber Assad ähnlich verfährt und den Iran dazu bewegt, sich dem anzuschließen. Zugegeben sind das derzeit illusorisch anmutende Erwägungen.
Unverzichtbar ist ebenso eine gemeinsame russisch-amerikanische Position zur Zukunft Assads. Sonst bleibt es bei der Totalblockade der Genfer Gespräche durch Maximalpositionen der Opposition, die den Rückzug des Präsidenten vor Antritt einer Übergangsregierung verlangt, während die Regierung in Damaskus jegliches Gespräch über die Zukunft Assads verweigert. Ein möglicher Kompromiss wurde im Vorjahr von den Außenministern Kerry und Lawrow informell erörtert: Assad bleibt während einer Periode des Übergangs nominell, aber ohne exekutive Befugnis im Amt bis zu den dann von der UNO zu organisierenden Präsidentschaftswahlen, an denen auch im Ausland befindliche syrische Flüchtlinge teilnehmen dürfen. Zu klären bliebe, ob Assad bei diesem Votum noch einmal als Kandidat antreten darf. Alle, die in westlichen Hauptstädten nicht erst seit dem Giftgasvorfall von Chan Seichun im Brustton der Überzeugung verkünden, eine Zukunft Syriens unter Assad sei nicht mehr möglich, können dann nur darauf hoffen, dass die große Mehrheit der Syrer das ähnlich sieht und Baschar al-Assad eine Niederlage bereitet.
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