Kuba Auf der Karibikinsel ist die Pandemie weitgehend eingedämmt. Es bleiben gravierende ökonomische Folgen, sodass die Jüdische Gemeinde sich selbst helfen muss
Hier (Aufnahme aus dem Jahr 2005) waren die Lager der Gemeinde-Apotheke noch gut gefüllt. Mit dem Ausbleiben der Besucher fehlt der Nachschub
Foto: Adalberto Roque/AFP via Getty Images
Fidel Babani war gerade in den USA, als Mitte März in seiner Heimat Kuba die ersten bestätigten Covid19-Fälle auftraten und alle seine Pläne durchkreuzten. Der 59-jährige Historiker ist nicht nur Direktor der einzigen auf jüdische Themen spezialisierten Bibliothek Kubas, sondern auch einer der weltbesten Scrabble-Spieler. Bei einem Turnier in Texas hatte sich Babani für die Weltmeisterschaft dieses Jahres in Montevideo Uruguay qualifiziert. Er wollte direkt nach Israel weiterfliegen, um seine Tochter und die Enkel in Jerusalem zu besuchen. Doch es kam anders: Das Championat wurde mittlerweile verschoben, und auch die Reise nach Israel fiel aus. „Ich saß am Airport und wartete auf meinen Flug, da schloss Israel die Grenzen für alle Ausl
#228;nder. Ich konnte also nicht fliegen und bin nach Kuba zurückgekehrt.“ Dort musste Babani erstmal 14 Tage in Quarantäne.Die Jüdische Gemeinde auf der Insel hatte frühzeitig auf Corona reagiert. „Als hier die ersten Fälle auftraten, haben wir die Entscheidung getroffen, alle Gemeindeaktivitäten einzustellen: die religiösen Dienste, die Programme, Projekte, Kurse, alles. Es ging vor allem darum, unsere älteren Gemeindemitglieder zu schützen“, sagt David Prinstein, Vizepräsident der Gemeinde. Obwohl sie nur gut 1.200 Mitglieder umfasse, die größtenteils in Havanna leben, sei es eine sehr aktive Gemeinde, so der 54-Jährige. „Die Pandemie aber beeinträchtigt unser gewohntes Leben. Jeden Freitag haben wir den Schabbat begangen, samstags gab es die Thora-Lesungen, Rikudim-Tanzveranstaltungen; dazu die Sonntagsschule mit mehr als 150 Kindern und Jugendlichen aus ganz Havanna, die in Hebräisch und jüdischen Traditionen unterrichtet wurden, dazu die Kurse für Bar Mitzwa und Bat Mitzwa. Mit anderen Worten: Das Gemeindeleben ist komplett eingeschränkt.“Unter KontrolleDen Schabbat habe man zuhause begehen müssen, bedauert Babani. „Auch das Pessach-Fest konnten wir nicht wie gewohnt zusammen feiern.“ Man halte, so gut es gehe, Kontakt über Mails, Messenger-Dienste und vor allem die Facebook-Seite der Gemeinde.Die kubanische Regierung hatte nach Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle Mitte März schnell gehandelt. Das öffentliche Leben wurde heruntergefahren, der Öffentliche Nahverkehr landesweit eingestellt; selbst private Taxis durften eine Zeitlang nicht fahren. Zudem sperrte Kuba für Wochen seinen Luftraum. Freilich bestand keine obligatorische Ausgangssperre, doch wurden die Menschen angehalten, in ihren Wohnungen zu bleiben und Abstand zu halten. Größere Einkaufszentren waren geschlossen; Einzelhandelsläden verkauften nur noch Lebensmittel und Hygieneprodukte.Babani lobt das Vorgehen der Regierung. „In dieser Zeit schien alles gut unter Kontrolle zu sein, infizierte Personen wurden behandelt, verdächtige Fälle untersucht. Jeden Tag gab es eine Pressekonferenz mit dem Chef des Nationalen Epidemie-Zentrums. Man ermahnte zu sozialer Distanz und Hygienemaßnahmen. Das alles half, eine massive Ausbreitung einzudämmen. Ich denke, die Maßnahmen haben gewirkt.“Tatsächlich sank die Zahl der aktiven Covid-19-Fälle zuletzt stetig. Man liegt im Schnitt nur noch bei zwölf Neuinfektionen pro Tag; 77 Menschen starben bisher an den Folgen des Virus.Speiseöl und MatzeFür Kubas Ökonomie jedoch ist die Corona-Krise fatal. Der massive Einbruch des Tourismus trifft das ohnehin in einer tiefen Wirtschaftskrise steckende Land unerbittlich. Die Folgen spürt auch die Jüdische Gemeinde. „Die Frage der Versorgung mit Lebensmittel lösen wir wie alle Kubaner. Wir hängen wie alle davon ab, was es in den Läden gibt, stehen in den gleichen Schlangen“, sagt Babani. „Aber glücklicherweise gab es in unserer Gemeinde vom ersten Tag an Hilfe bei einigen Lebensmitteln. Vor allen älteren Leuten wurde in dieser Situation beigestanden.“ Jede Familie sei mit einem Warenkorb mit Milch, Speiseöl und Matze-Brot versorgt worden. Als Gemeinde habe man nach den bestehenden Möglichkeiten Lebensmittel eingekauft, erklärt Prinstein, und jedes Mitglied der Gemeinde beliefert, um ein wenig zu helfen. „Damit die Leute die größtmögliche Zeit zuhause blieben und nicht auf die Straße gingen, auf der womöglich eine Ansteckung drohte.“Schwer wiegt das Fernbleiben der Besuchergruppen. „Wir haben zum Beispiel eine Gemeinde-Apotheke, die kostenlos Medikamente an alle jüdischen Bürger des Landes abgibt. Praktisch alle Präparate sind Spenden von Glaubensbrüdern aus den USA, aus Kanada, Israel, Mexiko und europäischen Ländern. Dadurch, dass sie alle derzeit nicht mehr einreisen können, bleibt die Apotheke ohne Nachschub“, erläutert Babani. Sie befindet sich im Patronato, dem Hauptsitz der Jüdischen Gemeinde Kubas im Stadtteil Vedado, im selben Gebäude wie die aschkenasische Synagoge Beth Shalom und das Bertolt-Brecht-Theater. Bisher öffnete die Apotheke an zwei oder drei Tagen pro Woche und wurde von zwei Pharmazeutinnen der Gemeinde geleitet. Auch wer nicht deren Mitglied war, konnte an diesem Ort gegen Rezept kostenfrei mit Medikamenten versorgt werden.Zuversicht ermutigt „Wir leben praktisch von Spenden. Das heißt, wenn der Tourismus ausbleibt, ist wenig Geld da, um die verschiedenen Programme zu finanzieren.“ Helfen können in einer solchen Situation die Spenden des American Jewish Joint Distribution Committee (JDC). Babani hofft auf „bessere Zeiten“ und, „dass dieser ganze Wahnsinn vorbeigeht, der manchmal wie ein Science-Fiction-Film wirkt“.David Prinstein, der Vizepräsident, ist zuversichtlich. Was ihn darin bestärke, sei die Tatsache, dass sich bislang kein Gemeindemitglied mit dem Virus infiziert habe. Aus der Pandemie werde man ermutigt hervorgehen, ist er sich sicher, „da wir andere Formen der Interaktion entdeckt haben. Das Wichtigste derzeit aber ist, das Leben und die Unversehrtheit jedes Mitglieds der Jüdischen Gemeinde Kubas zu schützen.“
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