Eins zu eins sollten die Vorschläge der "Hartz-Kommission" nach dem Willen von Rot-Grün in der neuen Legislaturperiode umgesetzt werden. Für die bisherige Arbeitsvermittlung stehen damit Struktur- und Tabubrüche an, die in anderen EU-Staaten längst stattgefunden haben. Die Deregulierung des Arbeitmarktes in den Niederlanden begann bereits Mitte der neunziger Jahre unter sozialdemokratischer Federführung.
Keine Stuhlreihen mit Wartenummern, keine Türen und Trennwände, stattdessen ein großer, offener Raum mit Beratungsecken, zwölf Kundencomputern und drei Intranet-Säulen - hochwertige Teppichware verschluckt die Schritte der Besucher. Wer Erinnerungen an bundesdeutsche Arbeitsämter abruft, wundert sich - Atmosphäre und Arbeitsku
;re und Arbeitskultur in einem niederländischen Centrum voor Werk en Inkomen (CWI / Zentrum für Arbeit und Einkommen) sind vollkommen anders. Mittendrin zeigt das Gesicht von Geert Elfrink, 56-jähriger Berater im CWI der Stadt Enschede, eine Mischung aus Stolz und Skepsis. Zwar scheinen vielen Niederländern Pragmatismus und Flexibilität schon in die Wiege gelegt, doch entsteht hier der Eindruck, die Mitarbeiter der einstigen staatlichen Arbeitsverwaltung wie auch deren Klienten haben die große, noch von der sozialdemokratisch geführten Regierung des Premiers Wim Kok im Jahr 2000 beschlossene Reform nicht ganz verdaut."Man kann hier eigentlich nicht mehr von einem Arbeitsamt sprechen, eher handelt es sich um die Reste dessen, was ein Arbeitsamt früher einmal war. Im Foyer sitzt nur noch am front desk neben dem Eingang ein Mitarbeiter von uns", erklärt Elfrink. Tatsächlich weisen kleine Aufsteller darauf hin, dass hinter den anderen Tischen Mitarbeiter privater Vermittlungs- und Zeitarbeitsfirmen wie DACTYLO und MAB agieren. Angefangen hat alles so ähnlich, wie jetzt in Deutschland: Die Zahl der Vermittlungen erschien zu gering, inkompetente Provinzarbeitsämter stellten sich selbst in Frage. Trotz vergleichsweise niedriger Arbeitslosigkeit (s. Übersicht) litten die Kommunen in den Niederlanden unter steigenden Sozialhilfeausgaben, konnten Sozialhilfeempfänger aber selbst nicht vermitteln, da sie weder rechtlich, noch finanziell dazu in der Lage waren. Für die Arbeitsämter hingegen war diese Personengruppe uninteressant, weil sie keine Leistungen mehr bezog. Dabei fiel auch ins Gewicht, dass die fünf großen, nach Branchen organisierten niederländischen Sozialversicherungsanstalten über Jahre hinweg mit dem Segen des Staates eine europaweit auffallend hohe Quote von Arbeitskräften in die Berufsunfähigkeit geschickt hatten - oft mit fragwürdigen Attesten. Selbst bei wohlwollenden Expertisen konnte nur bei zwei Dritteln dieser Fälle ein wirklich gesundheitlich bedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bescheinigt werden. Dieser Exodus entlastet zwar bis heute die Arbeitsmarktstatistik, aber angesichts knapper Kassen versuchen die Sozialversicherungen, verlorene finanzielle Spielräume zurückzugewinnen, indem sie möglichst viele Leistungsempfänger beruflich re-integrieren.Um schließlich das Gegeneinander von Arbeitsverwaltung, Kommunen und Sozialversicherung zu beenden, gilt seit Anfang 2001 ein neues Reform-Reglement. In einer rigorosen Operation wurde nicht nur die der Bundesanstalt für Arbeit vergleichbare Zentralbehörde aufgelöst, das gleiche Schicksal traf auch die Provinzarbeitsämter und die früher unantastbare Drittelparität (Gewerkschaften, Arbeitgeber, öffentliche Hand) der Arbeitsverwaltung. Arbeitsämter mutierten zu den eingangs erwähnten Job Centern (CWI) und betreuen jetzt alle Erwerbslosen - auch Sozialhilfeempfänger, die keinen Anspruch auf Lohnersatzleistungen haben.Gestützt auf ein kurzes Gespräch und einen Standard-Fragebogen, werden alle Arbeitslosen zunächst nach ihrer "Distanz zum Arbeitsmarkt" durch das sogenannte Kansmeter (Chancenmeter) in vier Vermittlungsqualitäten eingestuft. Seit 2001 sind die Job-Center nur noch für diese Bewertung und die Vermittlung der Betroffenen aus Kategorie I zuständig, die zumeist auch ohne Hilfe zu einem neuen Job kommen.Für alle anderen sind die CWI lediglich eine erste Station, danach müssen sich Erwerbslose entweder in ihrer Kommune oder bei einer der Sozialversicherungsanstalten melden. Dorthin fließen nunmehr jene Gelder, die für eine Vermittlung und Reintegration der "schwierigeren" Fälle verfügbar sind. An diesem Punkt kommen die derzeit fast 400 privaten und halbstaatlichen Integrationsfirmen ins Spiel, die um das von Kommunen und Sozialversicherung verwaltete Budget konkurrieren. Um den dabei entstandenen Markt wird mittlerweile unbarmherzig gekämpft, denn viele Städte versuchen, die Preise der privaten Dienstleister soweit wie möglich zu drücken. Schnell, billig, nur auf die Vermittlung ausgerichtet, gilt als Grundprinzip.Die Zerschlagung des einst so unbeweglichen wie mächtigen Imperiums der Arbeitsverwaltung hat aber nicht nur Normen und Bräuche der niederländischen Arbeitsmarktpolitik radikal verändert, sondern gleichzeitig einen Ausleseprozess unter den Beamten der Arbeitsämter provoziert. Die Jüngeren versuchen, bei privaten Vermittlern unterzukommen, während die Älteren sich an die CWI klammern - ein Zustand, der für anhaltende Kritik an den noch vorhandenen Rudimenten staatlicher Arbeitsverwaltung sorgt. Da zugleich das Gewicht der Kommunen und Sozialversicherungsträger deutlich zunimmt, spekulieren beide immer unverhohlener darauf, dass der Kaiser CWI bald völlig ohne Kleider dasteht. Die Subventionen der Haager Regierung für die als überflüssig empfundenen Job Center könnte man selbst gut gebrauchen. Immer häufiger werden so Klagen laut, die von den CWI vorgenommenen "Kansmeter"-Evaluierungen seien unrealistisch und müssten von den Kommunen wiederholt werden. Ob diese Vorwürfe der gesetzlich verordneten Distanz der CWI zur Praxis geschuldet oder mehr mit dem Kalkül der in Warteposition lauernden Subventionserben zu erklären sind - für das Schicksal der Job-Center erscheint das am Ende unerheblich.