Die Premieren, mit denen Claus Peymann seine letzte Wiener Runde vor der Übersiedlung nach Berlin einläutete, während der Nachfolger bereits seine ehrgeizigen Pläne publik macht, konturieren noch einmal das Profil seiner 13jährigen Arbeit am Burgtheater. Mit seiner eigenen Bernhard-Regie erinnerte er an jene wunderbare Freundschaft, die ihm, wenn sonst nichts, einen Platz in der Theatergeschichte garantiert. Mit Achim Freyer kommt einer seiner - erst als Bühnenbildner, dann auch als Regisseur - langjährigen Compagnons und der neben Robert Wilson wichtigste Repräsentant eines Bildertheaters zum Zuge. Und mit Einar Schleef wird angeknüpft an den Überraschungserfolg des erst in der vergangenen Saison an die Burg geholten Provokateurs mit Elfri
friede Jelineks Sportstück. Mit Schleef ist auch der zur Zeit radikalste Vertreter des Regietheaters präsent, während gerade Peymanns Bernhard-Inszenierungen als optimale Synthese von Regie- und Schauspielertheater gelten können. Nicht ohne Grund und ohne Einsicht hat Peymann für Vor dem Ruhestand die Darsteller seiner Stuttgarter Uraufführung nach zwei Jahrzehnten reaktiviert, eine Praxis, die in Rußland, zum Beispiel, üblich, im deutschsprachigen Theater jedoch eher ungewöhnlich ist.Zugleich markieren die Autoren Bernhard, Kroetz und Goldoni Peymanns (und Hermann Beils, des unverzichtbaren Dramaturgen) Schwerpunkte in der Spielplangestaltung: die deutschsprachige, insbesondere die österreichische Gegenwartsdramatik und der respektlose (oder vielleicht besser: unbefangene) Umgang mit der Tradition. Daß es dem schnöde behandelten Vorgänger Achim Benning, dem vertraglich zwei Inszenierungen im Jahr zustehen, überlassen blieb, kurz nach Professor Bernhardi gleich einen zweiten Schnitzler Das weite Land, mit dem selben bei den Wienern überaus beliebten ( und überschätzten) Karlheinz Hackl in den Hauptollen zu wählen, macht erkennbar, wofür Peymann das Sensorium fehlt.Michael Gielen hatte einst den Einfall, Beethovens Neunte Symphonie vor dem letzten Satz durch Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau zu unterbrechen, um Beethovens Finale seine einstige verstörende Kraft wiederzugeben. Ähnliches sollte man vielleicht mit Thomas Bernhard versuchen. Aus dem dramaturgisch wie inhaltlich irritierenden Störenfried ist mittlerweile ein »Klassiker« geworden. Fast unbeschwert genießt auch die konservative Fraktion des Burgtheaterpublikums die Komik der Misanthropie, die seine Texte prägt. Wenn Kirsten Dene, die von Anfang bis Ende auf der Bühne zu sehen ist, für die wenigen Sätze, die ihr das Stück zuteilt, den Mund öffnet, ruft ihr Tonfall fast die gesamte Bernhard-Bühnengeschichte ab: wir rekapitulieren alle Rollen, denen sie Gestalt verlieh. Einmal mehr erleben wir die Familie als Hölle, als Hort des erzwungenen Zusammenhalts, der Kollaboration mit einer Vergangenheit, die nie vergeht. Wenn am Ende der jüdische Arzt zu Rudolf Höller gerufen wird, der eben in der SS-Uniform Himmlers Geburtstag gefeiert und einen Infarkt erlitten hat (und zwar im Text auf exakt die gleiche Art wie die Frau Professor Schuster im Heldenplatz), wenn es der Schwester, anders als bei Bernhard angedeutet, nicht gelingt (oder sie es nicht mehr nötig hat), die Uniform zu entfernen, dann ist das ein Bild von schauriger Aktualität. Gerne glauben wir an Bernhard als politischen Dichter, würden die Nazis »Vor dem Ruhestand« über die Juden nicht genau in derselben Sprache herziehen wie seine Figuren in andern Stücken über die Nazis. Bernhards Universalsatire trifft die Objekte der Aggressionen zugleich mit den Aggressoren. Der Raum von Karl-Ernst Herrmann und die Lichtregie haben nichts von ihrer Magie eingebüßt. Insgesamt ein beklemmend schöner und komischer Bühnenabend und ein nicht alltäglicher Schauspielergenuß.Von der Trilogie der Sommerfrische, dieser Gesellschaftskomödie aus dem Jahre 1753, mit der Goldoni die Stereotypen der Commedia dell'arte endgültig überwunden hatte, ist bei Einar Schleef erwartungsgemäß nicht viel übriggeblieben. Was einst eine scharfe, durchaus an Molière zu messende Satire auf Hochstapelei, Repräsentationsbedürfnis, die Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Meinung, Heuchelei war und damit hochaktuell, weil das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft vorausahnend, heißt jetzt Wilder Sommer und spielt sich zunächst auf einer Simultanbühne mit neun Räumen auf drei Ebenen ab, die an Canettis thematisch durchaus vergleichbare Hochzeit denken lassen »Simultan« ist das Stichwort für diese Inszenierung. Schleef löst die Linearität von Goldonis Konstruktion in ein Netzwerk der vielfältigen räumlichen und zeitlichen Bezüge auf, in ein Wechselspiel von Dynamik und Arrangement, von »Solo« und »Ensemble«, er läßt stellenweise mehrere Akteure gleichzeitig sprechen. Schleefs überbordende, assoziative Bühnenphantasien verhalten sich zum üblichen Sprechtheater wie die Filme Greenaways zu Hollywood. Seine stilisierte Üppigkeit riskiert viel und ist stets vom Absturz bedroht, der denn im zweiten Teil auch eintritt, wo die Aufführung weitgehend zu Deklamationstheater mit Maske und Kothurn vor starren Tableaus gerät. Schon zuvor, etwa bei der Abfahrt der Boote am Ende des ersten Teils, macht sich Schleef schöne und bühnenwirksame Einfälle kaputt, weil er sich in sie verliebt und dabei das Gefühl für Zeitökonomie verliert. Manche Ideen sind auch schlicht irreführend. So steht der demokratisierte Urlaub, der sich mit läppischen Slogans wie »Badefreude, Badespaß« verbindet, in diametralem Gegensatz zur Goldonischen Sommerfrische als Statussymbol. »Nicht die Politik, der Wechselkurs bestimmt unser Leben«, verkündet vormarxistisch Schleefs Bernardino. Davon freilich kommt im Trubel der Inszenierung wenig über die Rampe. Eher schon wird die heute wenig überraschende Erkenntnis sichtbar, daß nicht die Leibe, sondern das Geld die Heirat bestimmt. Der Sprechchor vor dem Epilog, Brecht zitierend und hinter ihn zurückfallend, verstärkt gerade durch seine scheinbare Direktheit den Eindruck szenisch nicht eingelöster Programmatik. Die Schauspielerin Elisabeth Augustin, schön wie je, wird denn auch während des Epilogs ganz zappelig, als wäre ihr die Sache peinlich im Burgtheater, dessen Zukunft nun wieder zur Disposition steht. Als adäquaten Gag Schleefs könnte man es werten, daß das Publikum auf den teuren Plätzen in die hinteren Reihen wechseln muß, will es Einblick in das verschachtelte Bühnenbild des ersten Teils gewinnen.Daß Peymann die Welt und die Gegenwart in den Kunsttempel geholt hat, ist auch in seiner letzten Runde zumindest als Absicht deutlich. Franz Xaver Kroetz, um den es in den vergangenen Jahren still geworden war, hat das ganze Elend des geschwängerten und von ständig geilen Männern zur Hure gemachten sowie die Robustheit des liebenden und nach Liebe dürstenden Weibes, die uns seit dem Sturm und Drang über den Realismus und den Naturalismus bis zum Neuen und zum neuen Neuen Volksstück bewegen, ein weiteres Mal dramatisiert, diesmal als »großes Kasperltheater«. Die drei Akte heißen »Glaube, Liebe, Hoffnung«, doch unter diesem Titel gibt es bekanntlich bereits ein Stück von Horváth, das auch nicht ganz schlecht ist. Dem Sujet gewinnt Kroetz keinen neuen Aspekt ab. Geblieben ist die Genauigkeit des Jargons zwischen Dialekt und Kunstsprache. Für die Regie dieses Moritatenstücks mit Tieren als Akteuren bot sich Achim Freyer sozusagen als »natürliche« Wahl an. Er setzt den Darstellern Kopfmasken auf, wie wir sie vom leider aufgelösten Bread Puppet Theatre kennen, und läßt die Regieanmerkungen von drei Schauspieler-Musikern laut sprechen. V-Effekt oder mangelndes Vertrauen in die szenische Kraft des Stücks? Wenn das Stichwort »Weihnachten« fällt, setzen sich die Musiker rote Zipfelmützen auf und hängen sich weiße Bärte um. Na ja.Nach dem langen Abschied von Wien wird Peymann - jede Wette! - in Berlin eine nicht zu überhörende Ankunft feiern. Derweil verabschiedet sich am Volkstheater, bescheiden und leise, ein großer Volksschauspieler von seinem Publikum. Nestroys Schnoferl soll Otto Tausigs letzte Bühnenrolle sein. Für Projekte in der Dritten Welt will er sich weiter einsetzen. Ihm gilt unser besonderer Gruß.
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