Pflichtlektüre fürs Ego

Das eine Prozent Angeblich nehmen Wall-Street-Banker Bücher mit an den Strand. Nach Ausgelassenheit klingen ihre Lektürelisten nicht
Ausgabe 26/2015
Lloyd Blankfein steht schon seit neun Jahren an der Spitze von Goldman Sachs – und zeigt einen Hang zu Helden der Geschichte
Lloyd Blankfein steht schon seit neun Jahren an der Spitze von Goldman Sachs – und zeigt einen Hang zu Helden der Geschichte

Foto: Marop Tama/AFP/Getty Images

Es gibt Dinge, ohne die ist der Sommer in den USA nicht denkbar: BBQ und eiskaltes Bud Light, Hai-Alarm an der Atlantikküste und Mister. Softee, der mit Glockenspielmelodie durchs Viertel rollende Eiscreme-Wagen. Kinder begrüßen das Geklimper, Eltern verfluchen es.

Andersherum verhält es sich mit der Sommer-Leseliste. Schulen schlagen darin Bücher vor – in der Hoffnung, dass die Kleinen über die zehn unterrichtsfreien Wochen nicht zu Analphabeten werden. Bloomberg Businessweek hat Wall-Street-Größen gefragt, welche Bücher auf ihrer Sommer-Leseliste stehen. Nach besonders ausgelassenen Stunden auf Anguilla oder am Strand von St. Barts klingen die Tipps nicht. Mohamed El-Erian, Berater bei der Allianz, hat sich vorgenommen, No Ordinary Disruption. the Four Global Forces Breaking All Trends zu lesen. Darin legen drei McKinsey-Berater dar, wie unsere Zukunft durch immer schnelleren Technologiewandel, Urbanisierung, alternde Bevölkerung und noch globaleren Handel bestimmt wird. Wenn es um Verwerfungen geht, kann El-Erian mitreden. Der Ex-Chef der Allianz-Tochter Pimco steuerte den einst größten Bond-Investor auf der Welt, gemeinsam mit Legende Bill Gross. Doch dann gerieten die beiden wegen des Kurses aneinander. Gross machte klar, dass er immer richtigliege, auch wenn er jahrelang falschlag. El-Erian ging von Bord. Auch sein zweiter Lesetipp, Simple Rules. How to Thrive in a Complex World, verrät, dass hier noch aufgearbeitet wird. Bill Gross’ Ferienlektüre spricht ebenfalls Bände. Gross verließ die von ihm mitgegründete Firma Pimco kurz nach El-Erian und wechselte zum Branchenwinzling Janus. Angeblich freiwillig, allerdings hatten Gross’ bizarre Auftritte Kunden des Fonds ins Grübeln gebracht: Er hatte eine Rede mit Sonnenbrille gehalten und verglich sich laut Insidern gerne mit dem legendären Rennpferd Secretariat. Jetzt will der entmachtete „King of Bonds“ Tolstois Krieg und Frieden lesen, angeblich schon zum dritten Mal. El-Erian würde ihm wohl eher Dostojewskis Schuld und Sühne ans Herz legen.

Lloyd Blankfein dagegen steht seit neun Jahren an der Spitze von Goldman Sachs, eine Ewigkeit nach Wall-Street-Maßstäben. Wohl deshalb zeigt er einen Hang zu Helden der Geschichte. Auf seinem Nachttisch finden sich ein Werk über den Untergang des Passagierschiffs Lusitania im Ersten Weltkrieg, eine Biografie der Luftfahrt-Pioniere Wilbur und Orville Wright und The Discoverers von Daniel Boorstin. Letzteres handelt von Erfindern und Entdeckern, meist Männer aus dem Westen. Immer noch zu den zu kurz Gekommenen zählt sich Hedgefonds-Manager Bill Ackman, dessen Firma 18 Milliarden Dollar verwaltet. Bold. Groß denken, Wohlstand schaffen und die Welt verändern steht auf seiner Liste. Und der Chef der Private-Equity-Firma Blackstone, Steve Schwarzman, hat sich Überflieger. Warum manche Menschen erfolgreich sind – und andere nicht zur sommerlichen Muße gewählt.

Vielleicht aber machen es die Tycoons ja wie die Schüler: Sie nehmen den Umschlag der Leselistenwälzer und wickeln damit etwas ein, was sie tatsächlich interessiert. Fifty Shades of Grey etwa.

Jens Korte lebt in New York und berichtet vor allem aus dem Epizentrum der Finanzwelt

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden