Das kleine Boot steht auf der Bühne, darin fünf Kinder, die Fragen stellen. Im Hintergrund eine Videoprojektion: Ein Containerschiff verlässt den Hafen. Wie entert man ein Containerschiff? „Zuerst zielen wir mit Gewehren auf das Schiff. Dann stoppt es. Dann schießen wir in die Luft, um den Leuten Angst zu machen. Dann benutzen wir den Enterhaken oder die Leiter. Dann klettern wir hoch, während das kleine Boot neben dem großen Schiff liegt.“
So beginnt Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches – eine Theaterproduktion der Geheimagentur und des Fundus Theaters auf dem Sommerfestival Kampnagel in Hamburg. Es geht um Piraten, um romantische Klischees aus Film und Märchen und um die alles andere als romantische Rea
als romantische Realität – die echte Piraterie vor Somalia. Darum ist Parlez, die Unterredung der Kinder mit den Piraten, auch nur virtuell möglich.Kopisten aus ChinaAuf das Thema ist die Geheimagentur vor einem Jahr gestoßen. Damals begann der erste Piratenprozess in Hamburg seit über 400 Jahren: Somalische Piraten, die das Schiff eines Hamburger Reeders gekapert hatten, kamen hier vor Gericht. „Es schien uns reizvoll, darüber die verschiedenen Realitäten zu untersuchen, Kulturen aufeinanderprallen zu lassen.“ Damit kennt sich die Performancegruppe aus, über ihre Kunst versucht sie immer wieder, mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit zu spielen, Menschen zusammenzubringen, die sich sonst nie begegnen, und Situationen zu schaffen, die sich sonst nicht ergeben. So lud sie etwa im vergangenen Jahr für das Projekt Most Wanted zwei Kopisten aus China in die Hansestadt und zu den Wiener Festwochen ein, die hier und dort im Akkord Kunst kopierten – und gerade die Hautevolee Hamburgs zeigte daran großes (wirtschaftliches) Interesse.Im vergangenen Oktober entdeckte die Gruppe Stig Jarle Hansen, einen norwegischen Wissenschaftler mit dem Spezialgebiet Piraterie. Über ihn stellten sie in Kenia Kontakt zu somalischen Piraten her. Mit dem Ergebnis, dass die fünf Kinder auf der Bühne mit echten Piraten sprechen können, wenn auch technisch vermittelt: Die Männer in der Videoaufzeichnung sind vermummt, ängstlich darauf bedacht, nicht erkannt zu werden, selbst ihre Hände sind bedeckt.Mohamed Agane Farah übersetzt die Fragen der Kinder. Hauptberuflich ist er Direktor der NGO „Horn of Africa Development Link“, die ursprünglich Aufbauarbeit in Südsomalia leistete, jetzt aber mit Nothilfe im Flüchtlingslager Dadaab beschäftigt ist (und Spenden sucht). Mit auf der Bühne ist außerdem Mustafa Omar, die deutsche Synchronstimme der Piraten. „Als junger Mann in Somalia hast du drei Möglichkeiten: Du wirst Soldat bei einer Miliz, du wirst Pirat oder du fliehst und versuchst, nach Europa zu kommen.“ Mustafa hat sich für den dritten Weg entschieden. Seit sieben Jahren auf der Flucht hofft er, bald einen Aufenthaltsstatus zu bekommen.Kapitäne aus HamburgLaut Festivalleiter Matthias von Hartz hat die Geschichte der Piraterie vor Somalia unmittelbar mit dem Thema des Sommerfestivals – Gemeingut – zu tun: „Der zerfallende somalische Staat war nicht mehr in der Lage, die Gewässer vor Somalia zu schützen, es wurde alles leer gefischt und zudem jede Menge Giftmüll verklappt. Irgendwann konnten die Fischer nicht mehr von ihren Fischen leben. Und so wurde der somalische Pirat geboren.“ In den vergangenen 16 Monaten hat sich die Situation der Piraterie vor Somalia zugespitzt, auf beiden Seiten ist die Gewalt eskaliert, mittlerweile gibt es sogar Tote. Die Reeder bewaffnen sich, und die jungen Leute drängen in die Piraterie. Anfänglich noch mit der Überfischung und der Giftmüllverklappung an Somalias Küsten gerechtfertigt, funktioniert sie heute als organisierte Kriminalität mit einer echten Börse, bei der etwa eine Panzerfaust gesetzt werden kann, über die bei erfolgreicher Entführung Gewinn gemacht wird.„Politisch kann das Theater nichts bewirken, da müssen wir uns nichts vormachen“, weiß die Geheimagentur. „Das muss auf höherer Ebene verhandelt werden.“ Diese höhere Ebene haben sie zu berühren versucht. Bei Hamburger Reedern fragten die Künstler an, ob diese bereit wären, auf ihren Schiffen eine Botschaft auf Somalisch abzuspielen: „Wir grüßen euch mit Respekt, wir sind nicht eure Feinde. Die Besatzung dieses Schiffes weiß um die Raubfischerei und die Giftmüllverklappung. Wir verurteilen das, wir haben uns dafür eingesetzt, dass etwas dagegen getan wird. Bitte respektiert unser Recht, diese Gewässer friedlich zu passieren.“ Doch die Geheimagentur erhielt nur Absagen, das sei unangemessen im Umgang mit schwer bewaffneten Piraten beziehungsweise „unsere Schiffe sind nicht gefährdet, dafür sind sie viel zu groß“. Hinter vorgehaltener Hand erzählten einige Kapitäne allerdings, dass Größe wohl nicht mehr lange vor Kaperungen schütze – beide Seiten rüsteten auf.So scheint die Situation in Somalia unlösbar zu sein, zumal die Hungerkatastrophe sie noch weiter dramatisiert. Das Theater kann, wenn auch nur temporär, die Wirklichkeit verändern. Die Geheimagentur überschreitet die Grenzen symbolischer Politik und lässt eine andere Realität im Kleinen entstehen: Einer der Piraten bemerkte bei dem Treffen in Kenia erstaunt: „Ich habe mich bis heute nie mit Weißen unterhalten. Mir wurde immer gesagt: Wenn ein Weißer dich sieht, wird er versuchen, dich zu erschießen.“