Die westliche Staatengemeinschaft hat in Wladimir Putin seit der Krim-Krise einen neuen Aggressor ausfindig gemacht. Hillary Clinton hat seine Vorgehensweise auf der Krim mit jener Adolf Hitlers bei der Sudetenkrise 1938 verglichen, als er im Zuge des Münchner Abkommens die „Heimholung“ der Sudetendeutschen ins Dritte Reich erzwang.
Das österreichische Magazin News zeigt Putin dieser Tage in der Maskerade des „Jokers“, des „Batman“-Bösewichts in grausiger Psychomanier. Der Feind der Welt, wie das Magazin titelt, könne zur ernsthaften Gefahr werden. Der Bericht beruft sich auf den ehemaligen Außenminister der Tschechischen Republik, Karel Schwarzenberg: Demnach habe Hitler während der 1930er Jahre seine mehr oder weniger gewal
oder weniger gewaltsamen Annexionen von Österreich, dem Sudetenland, der Tschechei oder sogar Polen immer damit begründet, die deutschsprachigen Bevölkerungen außerhalb des Reichs schützen oder retten zu müssen.Das entspricht ganz dem Sprachgestus der heutigen russischen Propaganda, denn die russischsprachigen Bevölkerungsanteile auf der Krim müssten ja vor den neuen ukrainischen Machthabern in Kiew „beschützt“ werden, die nichts Besseres im Sinn hätten, als der Minderheit in der Ukraine ihre russische Sprache verbieten zu wollen.Tatsächlich könnten mit demselben Argument beispielsweise auch die russischsprachigen Bevölkerungsanteile in denukrainischen Verwaltungsbezirken Charkiw, Donezk oder Luhansk von Putin „heimgeholt“ werden, die aber, im Gegensatz zur Autonomen Republik Krim, nun wahrlich keinen Anspruch auf ein entsprechendes Referendum erheben könnten, das nach Meinung der Experten auf der Krim zwar gegen die ukrainische Verfassung verstoße aber durchaus im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes der Völker gerechtfertigt sein könnte.Wie also soll sich der Westen verhalten, wenn Russland nach dem Referendum auf der Krim tatsächlich einen weiteren Expansionsdrang in der Ukraine zeigen sollte? Könnten wirtschaftliche Sanktionen des Westens ein Weg sein, um Putin zur Vernunft zu bringen, indem eine Ausfuhrsperre westlicher Güter nach Russland verhängt würde, oder indem die EU sogar nach Alternativen zum Import von Gas oder Öl aus Russland suchen würde, um der russischen Wirtschaft auf diesem Wege die wichtigen ausländischen Devisen zu entziehen? Könnte eine Schädigung der russischen Wirtschaft den Konflikt lösen, oder würde sie genau jene Radikalisierung begünstigen, die in der Ukraine bereits vom Maidan ausging und den Präsidenten Wiktor Janukowytsch aus dem Amt gejagt hat? Es müsste dabei eigentlich klar sein, dass das russische Atomwaffenarsenal wohl kaum in die Hände von radikalen Gruppierungen geraten dürfte.Überall Putin-BashingDie Exzesse des Putin-Bashings scheinen jedoch so dramatische Ausmaße angenommen zu haben, dass Gabor Steingart im Handelsblatt nicht umhin kann, von „Pitbull-Politics“ des Westen zu sprechen, einer mit „gefletschten Zähnen“ und ohne gedankliche Reflexion also, die keinen Raum für eine Realpolitik lasse. Nach Steingart habe Russland seit dem Verfall der Sowjetunion doch, einschließlich Putin, eher gemäßigte Führungskräfte hervorgebracht.Steingart geht sogar so weit, Putins Dilemma mit dem von John F. Kennedy im Jahr 1962 zu vergleichen, als die Russen in den „Vorhof“ Amerikas einfielen und auf Kuba Atomraketen stationierten. Das Debakel eines solchen Vergleichs besteht nur darin, dass Putin es bei einer Annexion der Krim dann nicht belassen könnte: Der gesamte östliche Teil der Ukraine, vielleicht sogar die gesamte Ukraine, wären dann im Sinne eines solchen „Krisenmanagements“ von westlichem Einfluss freizuhalten, die Aufnahme der Ukraine in die NATO, wie bereits von Oppositionsführer Vitali Klitschko gefordert, könnte dann zur Zerreißprobe des Weltfriedens werden.Tatsächlich muss man Putins Vorgehensweise auf der Krim nicht gleich mit jeder Schandtat Hitlers gleichsetzen. Der Anschluss Österreichs im Jahr 1938, der zu einer Wiedervereinigung von Österreich mit dem Deutschen Reich und damit zur Auflösung des österreichischen Bundesstaates führte, sollte auf dem Wege des für den austrofaschistischen Ständestaat ungewöhnlichen Akts einer direkten Demokratie zur Disposition gestellt werden. So wollte der regierende Bundeskanzler Kurt Schuschnigg die Österreicher in einer Volksabstimmung befragen, ob das Volk ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales sowie christliches und einiges Österreich wolle oder nicht. Hitler befürchtete, die Volksbefragung könnte sich gegen ihn wenden und verhinderte ihre Durchführung, indem er rechtzeitig die Wehrmacht mobilisierte und in Österreich einmarschieren ließ.Hitler wusste zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, dass er von den Österreichern nach dem Einmarsch unterwegs auf den Straßen frenetisch bejubelt werden würde. Putin wirkt hingegen auf der Krim wie jemand, der von dem Umstand, dass er mit Janukowytsch einen verlässlichen politischen Partner verloren hat, dazu gebracht worden ist, ein solches Referendum anzuschieben und dessen Durchführung durch militärische Präsenz zu gewährleisten.Reale GefahrenVergleiche mit den großen Tragödien des vorigen Jahrhunderts haben derzeit Hochkonjunktur. So haben Alfred Weinzierl und Klaus Wiegrefe eine Textesammlung unter dem Titel Die unheimliche Aktualität des Ersten Weltkriegs herausgegeben. Die Bild fragt, ob die Krim-Krise genau so brisant sei wie der Balkan-Konflikt von 1914 und daher sogar ein großer Krieg drohen würde? Der Historiker Christopher Clark ist jedoch in einem Essay im Spiegel bei der Analyse etwaiger Gemeinsamkeiten des Kriegsausbruchs von 1914 und der Ukraine-Krise von heute zu dem Schluss gekommen, dass diese nur oberflächlicher Natur sein könnten. Jedoch herrsche in der Ukraine eine wilde Dynamik aus Revolution und Bürgeraufstand, sodass die Krise ein Mahnmal dafür sei, wie schnell unvorhergesehene Konstellationen auftreten könnten.Die folgende Analogiebildung versucht die Risiken zu zeigen, die ein falsches Verständnis der ukrainischen Bewegung des Maidans mit sich bringen könnte: Es wird oftmals argumentiert, dass die radikalen nationalistischen Kräfte eine Minderheit seien und keine politische Bedeutung hätten, zumindest sei der Versuch der Russen, die Übergangsregierung der Ukraine als Faschisten zu verunglimpfen, reine Propaganda. Immerhin ist einer der Oppositionsführer gleichzeitig der Anführer der Swoboda, also der radikalen Nationalisten in der Ukraine, die Antisemiten sind.Wer die Vergleiche mit den 1930er Jahren bemühen möchte, der kann nicht umhin anzuerkennen, dass auch die NSDAP im Jahr 1928 nichts weiter war als eine politisch völlig unbedeutende Kraft, die bei den Reichstagswahlen gerade mal 2,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Doch dann kamen im Jahr 1929 der New Yorker Börsencrash und die Weltwirtschaftskrise. Davon profitierten die Nationalsozialisten offenbar, denn bereits bei dem Reichstagswahlen im Jahr 1930 hatte sich der Stimmanteil der NSDAP auf 18,3 Prozent erhöht, um sich dann weitere zwei Jahre später bei den Reichstagswahlen auf 37,4 Prozent mehr als zu verdoppeln.Dieses historische Gruselstück demokratischer Wahlen muss deutlich machen, dass sich radikale Gruppierungen in Krisenzeiten binnen kürzester Zeit von einer Splittergruppe zu einer breiten Bewegung entwickeln und dann sogar die Macht an sich reißen können. Die Krise in der Ukraine, die sicher sowohl eine politische und kulturelle als auch eine wirtschaftliche ist, könnte daher ein idealer Nährboden für die radikalen Nationalisten der Swoboda sein. Und Europas Krise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Staaten wie Italien, Österreich oder Spanien reihenweise dem Faschismus verfielen, zeigt nur, welche Gefahr auch nur jeder Ansatz einer Radikalisierung in der Ukraine mit sich bringen kann. Würde auch Russland samt seines Atomwaffenarsenals unter die Führung von Extremisten gelangen, die Welt würde mit einer neuen Katastrophe rechnen müssen.
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