Fasst man Ideologieproduktion als Indikator antizipierter Krisentendenzen auf, dann wird offenbar, dass man sich in manchen Kreisen auf eine Verschärfung der Lage einstellt.
„Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn das Wirtschaftsvolumen in Deutschland auf das Niveau von 2005 zurückgeht? Das waren doch keine Elendszeiten“, fragte Meinhard Miegel in der Frankfurter Allgemeinen Anfang Juni. Immerhin gab es damals rund zwei Millionen (offizielle) Arbeitslose mehr als die drei Millionen von 2008. Ein Rückgang auf dieses Niveau und noch darunter würde mehr als diese zwei Millionen wieder aus der Arbeit drängen. Kollektive spüren nichts, dies tun nur Individuen, und sieben Prozent weniger für alle, das heißt 40 oder mehr Prozent weniger für viele. Dass es „uns“ dann nicht soviel schlechter gehe, ist für sie ein Zynismus.
Nicht mehr „krisentauglich“?
Soviel Phantasielosigkeit ist kein Zufall. Miegel exponiert sich seit langem als Wortführer derer, die es verstanden haben, makroökonomische Ignoranz in den Stand einer politischen Tugend zu heben und – den Sachverhalt, dass die Volkswirtschaften insgesamt kein Geld auf die Seite legen können, schlicht ausblendend – die „eigenverantwortliche Vorsorge“ als Arznei gegen die Alterung der Gesellschaft zu propagieren. Diese wirke erst richtig, wenn – wie Miegel beim Kanal n-tvkundtat – »die überdimensionierten sozialen Sicherungssysteme zurechtgestutzt werden«. Und obendrein sei unabweisbar, »dass wir künftig für weniger Geld mehr arbeiten müssen«.
Dass die »eigenverantwortliche Vorsorge« die Kehrseite des staatlichen Schuldenbergs darstellt, den Miegel regelmäßig geißelt, braucht ihn so wenig zu kümmern, wie dass es weltweit die dank allgemeiner Umverteilung von unten nach oben angeschwollenen Ersparnisse der Vermögenden sind, die den Geistertanz auf den Finanzmärkten antreiben. Vielmehr gilt den Vermögensbesitzern sein Mitgefühl. Die hätten zunächst einmal verloren. Dass es in der Tat die großen Finanzvermögen sind, die unerfüllbare Ansprüche darstellen, weil ihr Umfang den der Realakkumulation übersteigt, dass es die durch diesen Überschuss in Gang gehaltene fiktive Akkumulation ist, welche die von ihm beklagte Blähung der Geldmenge verursacht, kommt ihm so wenig in den Sinn wie die schlichte Tatsache, dass die Kapitalvermögen der einen zugleich die Schulden der anderen sind. Daher die falsche Krisenanalyse: Die Krise besteht nicht in der Rückkehr auf „das Niveau …, das unserer eigentlichen Leistungskraft entspricht“, sondern resultiert daraus, dass „wir“ und andere Nationen unter dem Niveau unserer, während andere über dem Niveau ihrer Leistung gelebt haben. Ganz davon zu schweigen, dass eine Welt, die einen großen Teil der Menschen unterbeschäftigt und verelenden lässt, weit unter ihrer Leistungsfähigkeit lebt.
Miegel intoniert die Begleitmusik zu einer reaktionären Strategie der Krisenbewältigung, die eine anhaltende Depression einkalkuliert, um nichts von dem tun zu müssen, was man verabscheut: Umverteilung, Konjunkturpakete und gar Verstaatlichung. Das Rätsel zu lösen, wie man in einer schrumpfenden Wirtschaft mehr arbeitet und mit weniger Geld auch noch mehr fürs Alter spart, überlässt er den Opfern solcher Politik. Die hören, dass „viele … nicht mehr krisentauglich“ seien. Ein Diskurs, der bis weit in die Linke hinein Akzeptanz findet. Dabei vermischt Miegel drei Fragen: Die, ob Wachstum notwendig oder gar wünschenswert wäre – die, worin es denn bestehen und wo es stattfinden sollte, sofern man es noch möchte – die, in welchem Zusammenhang das Wachstum beziehungsweise seine Revision mit der Beschäftigung stünden. Er blendet aus, ob eine Stagnation mit der bestehenden Gesellschaft, mit den auf Lohnarbeit und privater Akkumulation beruhenden Produktionsverhältnissen vereinbar wäre.
Dass der Grenznutzen von Gütern mit ihrer Quantität abnimmt, ist so plausibel wie der Umstand, dass eine stagnierende Produktion bei fortschreitender Naturbeherrschung nur noch eines schrumpfenden Arbeitsvolumens bedarf. Wer nicht an eine grenzenlose Vervielfältigung der Bedürfnisse glaubt, wird kaum in Frage stellen, dass eine fortgeschrittene wirtschaftliche Entwicklung irgendwann in Stagnation übergeht, die nur noch ein Bruchteil der Arbeitsvermögen erfordert. Doch wann dies geschieht, ist eine andere Frage: Dass drei Fünftel der Menschheit noch weit, ein weiteres Fünftel sogar unerträglich weit von befriedigenden Lebensverhältnissen entfernt sind, ist ebenso unabweisbar wie die Feststellung, dass die Form des Reichtums, mit dem sich das letzte Fünftel umgibt, eher zweifelhaft ist: Sie ist mit zu hohen Kosten verbunden − für die Natur, für die Gesellschaft, die Psyche und die nachfolgenden Generationen. Sie ist deshalb nicht verallgemeinerbar.
Doch die Entwicklung eines alternativen Reichtumsmodells, das verallgemeinerbar wäre, stellte eine Aufgabe dar, die mit Miegels depressiver Strategie nicht vereinbar wäre, und noch weniger mit der Parole vom Ende der Arbeit. Um eines humanen Überlebens willen würde die Menschheit, von wenigen Zonen abgesehen, die Erde in einen Garten verwandeln müssen. Sie hätte die Natur zu kultivieren, zugleich auf Erhalt und effiziente Nutzung ihrer Ressourcen zu achten. Der diesem Ziel entsprechende Umbau der Siedlungsstrukturen, der Aufbau einer Infrastruktur für Energieerzeugung, öffentlichen Verkehr, Kommunikation und Recycling, die Entwicklung langlebiger, reparierbarer Produkte, die Deckung des Bedarfs der Massen, die Erziehung der Jugend und noch mehr die Wiederherstellung verwüsteter Regionen sowie die Abwehr der immer katastrophaleren Folgen heutiger Reichtumsproduktion würden vielmehr ein wachsendes Arbeitsvolumen erfordern.
Diese Aufgabe würde kein Markt koordinieren, sondern Planung erfordern. Sie könnte sich als das Äquivalent eines großen Krieges erweisen: die totale Mobilmachung für das Überleben des Planeten. Doch gerade der Erfolg dieses Projekts würde den Übergang gebieten zu einer Lebenskultur, in deren Zentrum nicht mehr die Arbeit stünde, sondern die Muße. Dieser gelänge erst, wenn zwei Hindernisse beseitigt wären – das äußere, das im Zwang zur Lohnarbeit besteht, und das ungleich stärkere, innere, das in unserem protestantischen Erbe liegt: die Bildung unserer Identität aus Arbeit. Solange diese jedoch bestehen, bedeutet das Ende des Wachstums nur fortschreitendes materielles und psychisches Elend.
Kommentare 7
Vieles in diesem Artikel mag zutreffen. Aber die "neue Lebenskultur", die hier beschrieben wird, kommt mir irgendwie ein wenig bekannt vor. Vor allem, wenn der Text Wörter wie "Verstaatlichung" enthält oder eine Verbindung zwischen "Markt" und "Planung" herstellt.
was rainer fischbach hier skizziert, ist die aussicht auf zukunft unter sehr veränderten umständen. besonders das wort vom "Äquivalent eines großen Krieges" trifft den nerv der notwendigkeiten. nicht mehr die marktgesetze garantieren den erfolg, sondern möglichst fundierte planung.
auch das wort "die Erde in einen Garten verwandeln" ist ein verlockender wegweiser.
wer aber plant "die totale Mobilmachung für das Überleben des Planeten"? wer sind die gartenbauer?
und wer oder was mobilisiert die planer und architekten der neuen weltgesellschaft?
klar, sie sind längst an der arbeit. nur wo?
natürlich überall, hier im netz und draußen im feld; aber die alten krieger und agrokonzerne sind auch noch da. der autor verrät mit keinem wort, wie wir uns dieser alten herrschaften entledigen könnten.
was rainer fischbach hier skizziert, ist die aussicht auf zukunft unter sehr veränderten umständen. besonders das wort vom "Äquivalent eines großen Krieges" trifft den nerv der notwendigkeiten. nicht mehr die marktgesetze garantieren den erfolg, sondern möglichst fundierte planung.
auch das wort "die Erde in einen Garten verwandeln" ist ein verlockender wegweiser.
wer aber plant "die totale Mobilmachung für das Überleben des Planeten"? wer sind die gartenbauer?
und wer oder was mobilisiert die planer und architekten der neuen weltgesellschaft?
klar, sie sind längst an der arbeit. nur wo?
natürlich überall, hier im netz und draußen im feld; aber die alten krieger und agrokonzerne sind auch noch da. der autor verrät mit keinem wort, wie wir uns dieser alten herrschaften entledigen könnten.
Lieber Rainer Fischbach,
Ihren Satz:
"Diese Aufgabe würde kein Markt koordinieren, sondern Planung erfordern. Sie könnte sich als das Äquivalent eines großen Krieges erweisen: die totale Mobilmachung für das Überleben des Planeten"
finde ich irgendwie neben der historischen Spur, geht es doch heute mmmer weniger um Markt, um Planung, sondern um demokratisch legitimerten Diskurs in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport, Medien, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbänden, Stiftungen, Kommunen um die Identifizierung von Subjekten des Handelns!, oder?
Siehe dazu meinen Blog Beitrag:
www.freitag.de/community/blogs/joachim-petrick/bremst-wachstum-im-freitag--meinungsurwald-den-wachstumswahn
24.07.2009 um 03:49 Joachim Petrick
Bremst Wachstum im Freitag- Meinungsurwald den Wachstumswahn?
Bremst Wachstum im Freitag- Meinungsurwald den Wachstumswahn?
tschüss
JP
Lieber Joachim Petrick
Ihren Kommentar verstehe ich nicht: Muss ich annehmen, dass Sie mit dem Weltgeist im Bunde sind, wenn Sie mit solcher Gewissheit feststellen, was ich sage sei "irgendwie neben der historischen Spur"? Sind Sie ganz sicher, dass es eine vorgezeichnete historische Spur gibt und dass Sie die genau kennen? Oder musss man nicht manchmal die Spur wechseln?
Wie soll ich die Aussage verstehen, dass "es doch heute mmmer weniger um Markt, um Planung, sondern um demokratisch legitimerten Diskurs" gehe. Weshalb und wozu soll ein Diskurs "demokratisch legitimiert" sein? Das wäre doch ein Alptraum. Die Legitimationsfigur des Diskurses sollte doch das Argument sein und nicht eine wie auch immer geartete demokratische Prozedur. Die Idde des herrschaftsfreien Diskurses schließt eben auch die Volksherrschaft aus.
Und glauben Sie im Ernst, dass es nur noch um Diskurse gehe? Es gibt Diskurse und es gibt die Welt der materiellen Dinge und Zwänge, der Arbeit und der Organisation. Und die bedarf der Koordination: Einer Koordination die der Markt oft nicht leistet, insbesondere nicht hinsichtlich der zukünftigen Dinge und der großen Infrastrukturen, die wir heute in Angriff nehmen müssen, wenn die Welt morgen nicht in der Barbarei versinken soll.
Auch Planung sollte in Diskurse eingebettet sein und sich durch Diskurse informieren und orientieren lassen. Man muss der Habermas'schen Trennung von kommunikativem und technischem Handeln nicht aufs Wort folgen. Der Gegensatz zwischen Planung und Diskurs, den Sie unterstellen, ist kein unbedingter. Doch dessen ungeachtet geht es in der Planung darum, das Reich der Notwendigkeit zu organisieren, und das verlangt auch, den Diskurs immer wieder, zumindest vorläufig, zu schließen.
Ein sympathischer Text mit zwei gut korrespondierenden Bildern - keine Frage!
Dennoch: Es sollte weniger um ein "Plädoyer" gehen, das haben viele seit xx Jahren verstanden, sondern um Visionen, Ausgestaltungen, notwendige Tabubrüche konkret.
"..totale Mobilmachung für das Überleben des Planeten".
Von der totalen Mobilmachung ist es nicht weit zu Krieg und Massenmord. Da sollten wir die Worte und Taten gründlich abwägen.
Übrigens: der Planet überlebt mit und ohne uns. Kluge Tierchen wie die Ratten z.B. zucken da nur mit dem Schwanz - dummer Pöbel.
Plädoyers und Tabubrüche
Wer bei der Diskussion von Texten, die in redaktionell betreuten Foren erscheinen, beim Titel ansetzt, riskiert am Autor und seinen Intentionen vorbeizuzielen. So auch Bildungswirt. Wenn ich mich recht erinnere, gelang es mir bei dutzenden von Freitag-Artikeln in rund zehn Jahren nur einmal, meinen Titel durchzusetzen − mit »Mehdorns Gruft« bei einem Genre das mit der Metabotschaft, die eine Redaktionen in den Titeln transportieren möchten, weniger interferierte. Also doch kein Plädoyer, aber vielleicht eine »Ausgestaltung inklusive notwendigem Tabubruch«.
Die Formulierung »totale Mobilmachung« steht in der Tat als bewusste Provokation im Text, die auf historische Parallelen verweisen soll. Wenn der gegenwärtige weltweite Wirtschaftseinbruch, dem schon eine Phase vorausging, die sich schon durch eine ebenso weltweite Unterausschöpfung der menschlichen Potentiale auszeichnete, mindestens so tief ist wie der in der großen Depression der 1930er Jahre, dann ist es vielleicht nicht uninteressant zu fragen, wie diese überwunden wurde. Auch in den USA war es letztlich nicht die eher zaghafte keynesianische Politik der Roosevelt-Regierung während dieser Periode, sondern, wie Paul Krugman so schön formulierte, das besser als 2. Weltkrieg bekannte Investitionsprogramm. Das kurze 20. Jahrhundert (in der Datierung von Eric Hobsbawm) war in der Tat eines der totalen Mobilmachung, in dem die große Depression einen Einschnitt markiert, der es umso stärker wieder zu diesem Muster trieb, und man muss einem Rechtsintellektuellen wie Ernst Jünger die Ehre überlassen, das schärfer erkannt zu haben als die Linke.
Der Neoliberalismus stellt das Gegenmodell zur totalen Mobilmachung dar, denn die Mobilisierung aller menschlichen Ressourcen in der Produktion wie in der Kriegführung ist mit der fortgesetzten Kapitalherrschaft nicht vereinbar. Die späten 1960er und die 1970er Jahre markierten den Übergang zu diesem Regime: Während der Vietnam-Krieg die Grenzen einer Wehrpflichtigenarmee als Instrument imperialer Politik aufzeigte, signalisierten fallende Profite und das Aufbegehren in den westlichen Ländern das mit dem Einschluss zu vieler für den Kapitalverwertungsprozess verbundene Risiko. Die Erhebung der privaten Reichtumsmehrung zum alleinigen Maßstab des Wirtschaftens hat die Verdrängung der öffentlichen Aufgaben und die Unterausnutzung der gesellschaftlichen Ressourcen zur Konsequenz. Die gängigen grünen Politikschnipsel mit ein paar dezentralen Energiealternativen wie auch die scheinradikalen Parolen vom Ende der Arbeit ändern an diesem Grundmuster nichts.
Wenn Krugmans Bemerkung korrekt ist − und viele Ökonomen teilen seine Ansicht − dann erhebt sich in der Tat die Frage nach einem Äquivalent des großen Kriegs. Wie und durch was sonst ist die Menschheit in einem Maße zu mobilisieren, das die seit Jahrzehnten vorherrschenden und jetzt, nach dem Zusammenbruch der diversen, spekulativ genährten Scheinblüten in die Depression umschlagenden Stagnationstendenzen überwindet und die der Verelendung überlassenen Massen der Ausgeschlossenen in die Gesellschaft einschließt?
Die auch in der Linken weit verbreitete Ansicht, dass dies doch gar nicht nötig sei, da Arbeit doch längst zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sei, weise ich entschieden zurück. Die Aufgabe, den Planeten bewohnbar und die Menschheit gesellschafts- und friedensfähig zu machen, wird nicht weniger Arbeit erfordern als wir heute haben, sondern mehr und auch heute haben wir mehr Arbeit als viele wahrhaben wollen. Das ist meine zentrale These. Die Ableitung einer zwangsläufigen kapitalistischen Krisendynamik aus dem Verschwindenden der Wertsubstanz resultiert zum einen aus einem fetischisierten Wertbegriff und zum anderen aus einer Unkenntnis der konkreten Produktionsprozesse. Produktivitätsfortschritte gibt es schon seit Jahrhunderten und sie waren in den 150 Jahren vor dem Anbruch des angeblich so sagenhaft produktiven Informationskapitalismus größer. Dem menschlichen Stoffwechsel mit der Natur eine Gestalt zu geben, die verallgemeinerbar ist und langfristig Bestand haben kann, stellt eine gewaltige Aufgabe dar, die reale Akkumulationsraten erfordert, die weit über dem liegen, was der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten zustande brachte. Wie weit wir davon entfernt sind, zeigen schon die Schwierigkeiten der Berliner S-Bahn, nach dem Ausfall von ein paar Zügen den Betrieb aufrecht zu erhalten (wo bleibt hier das Investitionsprogramm der Regierung?).
Entscheidend ist, dass es für die Produkte und die Infrastrukturausstattung der Zukunft keinen Markt gibt. Ihre Entwicklung kann deshalb nicht marktgetrieben erfolgen. Sofern es die öffentliche Hand nicht übernimmt, die gegenwärtig einen hoffnungslos überforderten Eindruck macht, werden es höchsten die monopolistischen Zusammenschlüsse der großen Kapitale tun − siehe Desertec. Denen ist Planwirtschaft ja keinesfalls fremd. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, auf ein wirklich erfolgreiches Modell von Planwirtschaft hinzuweisen, das Linke wie Rechte, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, so doch gleichermaßen ignorieren: Die Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs, deren Konzept der Industrielle Walther Rathenau entwarf und die zu kopieren auch Albert Speer letztlich nicht umhin kam − der Jude Rathenau war schließlich einer der verhassten »Erfüllungspolitiker« die einem rechten Mordkomplett zum Opfer fielen. Rathenau sah darin auch ein weiterzuentwickelndes Modell für die Nachkriegszeit. Zwar erdacht als antisozialistischer Entwurf eines liberalen Großbürgers, hat es doch den Vorzug dass es sich ernsthaft mit den Problemen der Planwirtschaft auseinandersetzt und dadurch eine Substanz gewinnt, die über die ursprüngliche Intention hinaus bestand hat.
Wir haben gegenwärtig kein Modell für gesellschaftliche Inklusion ohne Arbeit. So sehr das Grundeinkommen geeignet wäre, den Druck auf die Ausgeschlossenen zu erleichtern, ist es eben doch primär eine Kompensation für den Ausschluss von dem wesentlichen Prozess, durch den Menschen heute Selbstachtung und gesellschaftliche Anerkennung gewinnen. Das ist insbesondere für eine wachsende Zahl von Jugendlichen am Rande der Gesellschaft bitter, weil es ihnen entscheidende Bausteine der Kompetenz- und Persönlichkeitsbildung nimmt. All die scheinbaren Alternativen von der Selbstbeschäftigung bis zum Ehrenamt setzen vielmehr voraus, was sie zu ersetzen beanspruchen und haben oft genug lediglich den Effekt, den Preis der Ware Arbeitskraft noch weiter Richtung Elendsniveau zu drücken. Ein kurzfristig eher weniger angesagter, doch langfristig unabweisbarer Wandel der gesellschaftlichen Orientierung von der Arbeit zur Muße, der sich nicht auf die eher lächerliche und als Almosen gewährte materielle Kompensation psychischen Elends und seine tendenziell repressive Verwaltung reduziert, kann nicht von den Rändern einer zutiefst polarisierten, sondern nur aus der Mitte einer solidarischen Gesellschaft kommen, die den größten Teil ihrer Mitglieder in den Produktionsprozess integriert.
Dass der Planet auch ohne die Menschheit überlebt, ist banal richtig, sofern man ihn als astronomisches Objekt betrachtet. Sicher, als solches wird er relativ unbeeindruckt weiter seine Bahn verfolgen, auch wenn die Menschheit verschwindet. Betrachtet man ihn dagegen als Träger einer Biosphäre, dann wird deutlich, dass deren Gastalt sich einschneidend ändern und mit der Menschheit noch viele andere Arten verschwinden werden. Es wird dann sicher noch etwas leben auf ihm, doch das wird ein anderes Gesicht tragen. Nicht nur, dass der (schon arg angegriffene) Artenreichtum vieler Regionen die von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaften zur Grundlage hat, auch die wenigen verbliebenen ursprünglichen Landschaften dürften das Wüten einer untergehenden Menschheit kaum unbeschadet überstehen. Und was die Ratten und andere Kulturfolger angeht: Ohne ihren Wirt, der ihnen gegenwärtig noch reichlich den Tisch deckt, dürften auch sie längst nicht mehr so lustig mit dem Schwänzchen zucken. Mit dem Menschen wird die Artengesellschaft untergehen, die gegenwärtig das Gesicht der Erde prägt.