Freitag: Wir haben in den verganenen Wochen eine etwas bizarre Diskussion um den deutschen Bundesaußenminister als Steine werfenden Jungmann erlebt; angenommen, jemand hätte herausgefunden, Joschka Fischer habe seine Partnerin misshandelt, glauben Sie, dass dies die gleiche Öffentlichkeitswirkung gehabt hätte?
Christine Bergmann: Ich denke, wenn heutzutage bekannt würde, dass ein Politiker seine Frau schlägt, würde das schon öffentlich wahrgenommen werden. Trotzdem ist häusliche Gewalt gegenüber Frauen immer noch ein Thema, das als Privatsache angesehen wird. Mit unserem Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wollen wir auch das Bewusstsein in der Öffentlichkeit stärken. Es hat sich zwar viel getan, aber ich vermisse noch immer Männer, die sich gegen Männergewalt aussprechen. Gewalt im häuslichen Bereich ist noch immer ein Frauenthema, auch weil es Frauen sind, die in den Frauenhäusern und Beratungsprojekten arbeiten.
Der Aktionsplan wurde vor gut einem Jahr vorgestellt, erste Schritte umgesetzt, aber noch immer suchen 45.000 Frauen jährlich ein Frauenhaus auf. Wie ist Ihre Bilanz?
Beim Thema Gewalt in der Gesellschaft kann man nicht von kurzfristigen Erfolgen ausgehen. Als das erste Frauenhaus vor 28 Jahren eingerichtet wurde, war es fast ein Skandal, dass häusliche Gewalt öffentlich gemacht wurde. Mit dem Aktionsplan haben wir ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept entwickelt, um Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll und nachhaltig zu bekämpfen. Dies geschieht auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen und in verschiedenen Bereichen: in der Gesetzgebung, in der Prävention und in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Bilanz nach einem Jahr sieht gut aus: Wir haben gesetzliche Verbesserungen umgesetzt sowie Hilfsangebote für Frauen vernetzt und effektiver gemacht. Zum Beispiel ist das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung ein wichtiger Schritt. Das Gesetz dazu ist in Kraft, die Kampagne dazu läuft, vor allem die Vor-Ort-Aktionen, wo es darum geht, Eltern dabei zu unterstützen, dass Konflikte mit Kindern nicht mit Gewalt zu lösen sind.
Die Kampagne für gewaltfreie Erziehung ist offenbar medienwirksamer als die gegen häusliche Gewalt.
Gewaltfreie Erziehung bewegt alle: Wir alle sind erzogen worden oder die Leute erziehen selbst oder haben es getan. Deshalb setzt man sich damit auseinander. Die Vorstellung, die Ohrfeige hat noch niemandem geschadet, ist leider noch sehr verbreitet. Untersuchungen bei Kindern haben ergeben, dass 80 Prozent der Befragten die Ohrfeige kennen, und 30 Prozent haben auch schon einmal eine Tracht Prügel bezogen.
Die Kampagne für gewaltfreie Erziehung legt Wert darauf, dass sie nicht mit dem Staatsanwalt im Wohn- oder Kinderzimmer droht, während die Kampagne gegen häusliche Gewalt die strafrechtliche Verfolgung der Täter forciert. Wenn also Herr Müller seine Tochter schlägt, geht er in die psychosoziale Beratung, wenn er seine Frau schlägt, wird er kriminalisiert. Ist das nicht ein Widerspruch?
Wenn Kinder tatsächlich misshandelt werden, greifen strafrechtliche Bestimmungen, insofern gibt es keinen Unterschied. Es geht hier eher um die berühmte Ohrfeige als Erziehungsmittel oder den Klaps auf den Po, die strafrechtlich nicht erfasst werden. Wir zielen auf Verhaltensänderung ab. Eltern sollen wissen, dass Schläge kein Erziehungsmittel sind und sie sollen zum Beispiel auch lernen, dass es ganz normal ist, Rat in der Erziehung einzuholen. Mit Vor-Ort-Aktionen versuchen wir, Eltern auch untereinander ins Gespräch zu bringen, was viel wirksamer ist, als wenn das von außen kommt. Gewalt gegen Frauen hat mit patriarchalen Strukturen zu tun. Die Leidensgeschichten von Frauen sind schon ziemlich bitter, und oft weiß auch das Umfeld davon, die Nachbarn bekommen mit, es ist mal wieder so weit, aber niemand schreitet ein, es wird als Privatangelegenheit betrachtet. Es ist aber keine Privatangelegenheit. Ich sage ja auch, wenn Nachbarn erleben, dass Kinder geschlagen werden, sollten sie einschreiten. Nicht nur in groben Misshandlungsfällen, sondern wenn die genervten Mütter oder Väter aus dem Blauen heraus anfangen zu prügeln, sollte man sich mit ihnen auseinandersetzen, das geht auf nette Art und Weise, ohne Aggression. Man darf gestressten Eltern auch Hilfe anbieten.
Auf einem Plakat der Kampagne steht: "Wer Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen." Das impliziert, dass Jungen, die in ihrer Kindheit geschlagen werden, als Erwachsene selbst aggressiv werden. Daran gibt es Kritik, die meint, dass es einen solchen Automatismus nicht gebe.
Wir haben drei Plakate in dieser Serie, und man kann sie nur insgesamt betrachten. Bei den beiden anderen geht es um die verletzende Wirkung sowohl von Worten als auch von Schlägen. Die Kritik am dritten Plakat war, dass wir damit alte Vorbehalte reproduzieren würden. Der Sachverhalt ist aber nun leider auch so, dass diejenigen, die Gewalt anwenden, häufig selbst Gewalt erfahren haben. Nicht jeder, der einmal eine Ohrfeige erhalten hat, wird zum Schläger, aber massive Gewalt in der Familie produziert auch Gewalt nach außen. Das wollen wir deutlich machen. Deshalb kann ich die Kritik an diesem Punkt wirklich nicht nachvollziehen.
Das Gewaltschutzgesetz ist ein wichtiger juristischer Eckpfeiler des Aktionsplans, wobei das Prinzip "Das Gewaltopfer bleibt, der Täter geht" - das heißt die Zuweisung der gemeinsamen Wohnung an die geschlagene Frau - seit Jahren diskutiert wird und unbestritten ist. Im März 2000 wurde nun der Referentenentwurf vorgestellt, im Dezember im Kabinett verabschiedet, das Gesetz soll im Januar 2002 in Kraft treten. Bedenkt man, dass die Kampfhund-Verordnung oder die BSE-Maßnahmen in kurzer Zeit auf den Weg kam, ist unbegreiflich, warum die Wegweisung der Täter so lange dauert.
Auch wenn man sich im Ziel einig ist, gibt es bei der Umsetzung Probleme. So weit ich informiert bin - das ist Zuständigkeit der Justizministerin - hat die Vorabstimmung mit den Ländern eine Weile gedauert. Das normale Verfahren läuft, wenn der Kabinettsbeschluss vorliegt. Am 8. März gibt es die Debatte im Bundestag. Ich denke, BSE ist der Sonderfall, wo im Eilverfahren ein Gesetz gemacht wurde. Das kann man nicht miteinander vergleichen.
Die Regierung hält Kampfhunde also für gefährlicher als schlagende Männer?
Mit Sicherheit nicht! (lacht) Wieder ein Vergleich, der hinkt. Kampfhunde sind schon lange Thema. In Berlin habe ich das Thema Kampfhunde mindestens zehn Jahre verfolgt.
In Baden-Württemberg werden schon heute Platzverweise gegen gewalttätige Männer erteilt, Sachsen-Anhalt plant gerade eine entsprechende Länderregelung. Müssen wir, wenn das Gesetz in Kraft tritt, noch einmal auf die flankierenden Ausführungsbestimmungen für die Polizei warten?
Die Überlegungen in den Ländern zur Änderung ihrer Polizeigesetze haben ja bereits angefangen, das läuft parallel. Es gibt seit Ende letzten Jahres eine Länderarbeitsgruppe hierzu, um eine gemeinsame Linie zu finden. Mecklenburg-Vorpommern hat als erstes Bundesland bereits eine entsprechende Novellierung seines Polizeigesetzes dem Landesparlament vorgelegt.
Glauben Sie nicht, dass die Realisierung eines effektiven Gewaltschutzes für Frauen auch damit zusammenhängt, dass es in diesem Punkt an die "patriarchale Substanz" geht? Es geht ja um die Wohnung, die der Mann als sein Eigentum und seine Privatsphäre ansieht...
Ganz sicher. Bislang war es auch schon so, dass Frauen zivilrechtlich die Wohnungszuweisung einklagen konnten. Doch das zog sich oftmals endlos hin, und wir wissen alle, was in einer Gewaltsituation passiert, wenn nicht sofort gehandelt werden kann. Der einzige wirksame Schutz vor Gewalttätern ist zu sagen, ÂDu verschwindest hier, du hast in diesem Umfeld nichts mehr zu suchenÂ. Natürlich gibt es patriarchale Widerstände, die dafür verantwortlich sind, dass sich das alles so lange hinzog. Es war hilfreich, dass die Frauenministerinnen auf der europäischen Ebene eng zusammen gearbeitet und darüber diskutiert haben, was der nächste Schritt sein muss. Die Österreicher haben seit Jahren ein Gewaltschutzgesetz. Hierzulande war erst ein Regierungswechsel nötig, denn mit einer konservativen Regierung bekommen Sie ein solches Gesetz nicht umgesetzt.
Ein wichtiger Punkt im Aktionsplan ist die strafrechtliche Verfolgung der Täter, aber auch die Arbeit mit den Tätern, weil eine Verhaltensänderung nicht unbedingt mit einer Gefängnisstrafe zu erreichen ist. Der eben erschienene Endbericht über das "Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt" stellt hier schlechte Noten aus. Woran liegt das? Am Konzept oder an den fehlenden Mitteln?
Ich denke, hier muss man sich noch stärker auf die Zusammenarbeit mit den Gerichten konzentrieren. Derzeit wird von der Möglichkeit, Täter sozialen Trainingskursen zuzuweisen, noch relativ wenig Gebrauch gemacht. Oder die Fälle kamen so vereinzelt, dass sich die Gruppen nicht realisieren ließen. Mittlerweile gibt es auch in Schleswig-Holstein ein Interventionsprojekt, diese Erfahrungen müssen gesammelt und zusammen gefasst werden.
Der Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
In Berlin, gab vergangene Woche Polizeipräsident Saberschinsky bekannt, werden jährlich 15-16.000 Fälle von häuslicher Gewalt aktenkundig. Über die Dunkelziffer wollte er nicht spekulieren, doch geschätzt werden bundesweit an die vier Millionen Fälle. Jährlich suchen ca. 45.000 Frauen eines der 435 Frauenhäuser auf, um sich vor ihrem Ehemann oder Partner in Schutz zu bringen.
Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, im Dezember 1999 von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgestellt, reagierte auf eine jahrelange Debatte, die von der Frauenhausbewegung der siebziger und achtziger Jahre ausging. Er beschränkt sich nicht nur auf den häuslichen Bereich, sondern bezieht auch andere Formen von Gewalt gegen Frauen (sexuelle Gewalt und Missbrauch, Nötigung am Arbeitsplatz, Frauenhandel ect.) ein.
Die Schwerpunkte des Aktionsplans liegen im Bereich der Prävention und des Rechts; verbessert werden sollen darüber hinaus die Kooperation zwischen Institutionen und Projekten sowie die Vernetzung von Hilfsangeboten. Ein wichtiges Moment ist die Sensibilisierung derjenigen, die mit Gewaltopfern zu tun haben, also beispielsweise die Polizei und die Gerichte, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. Dass auf der besagten Berliner Pressekonferenz die Einrichtung eines Zeugenschutzzimmers im Landgericht Berlin-Moabit als großer Erfolg gefeiert wird, zeigt, dass Fortschritte in diesem Bereich außerordentlich langwierig und kleinschrittig sind.
"Die Verfolgung der Täter", heißt es im Aktionsplan, "ist ein notwendiges Element zur Verhinderung von Gewalt". Geprüft wird, im Strafrecht den Tatbestand der fortgesetzten häuslichen Gewalt einzuführen. Am 8. März debattierte der Bundestag in erster Lesung das im Zivilrecht zu verankernde sogenannte Gewaltschutzgesetz, das die Zuweisung der gemeinsamen Wohnung neu regelt und es ermöglicht, Täter aus der Wohnung zu weisen. Novelliert ist bereits das eigenständige Bleiberecht ausländischer Frauen. Die Wartefrist nach der Trennung vom Ehemann beträgt nun statt vier nur noch zwei Jahre, in Härtefällen, also etwa bei Gewalt durch den Ehemann, entfällt die Wartefrist.
Das nach fünf Jahren Erprobungszeit soeben abgeschlossene Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (BIG) hat als einmaliges Modellprojekt vorgeführt, wie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Hilfsreichrichtungen, Polizei, Justiz und Verwaltung ablaufen könnte. Die inhaltliche Detailarbeit findet in einzelnen Fachgruppen statt, ein "Runder Tisch", an dem Fachvertreter aus allen Bereichen und politische Entscheidungsträger teilnehmen, fungiert als Kooperations- und Beschlussgremium. Eine Telefon-Hotline, die vergangenes Jahr 2.500 mal in Anspruch genommen wurde, bietet Frauen Beratung und Krisenintervention an. Der begleitende Abschlussbericht schätzt die Arbeit von übergreifenden Interventionsprojekten grundsätzlich positiv ein; Probleme gab und gibt es - nicht nur in Berlin - mit der im Aktionsplan ebenfalls als Schwerpunkt ausgewiesenen Täterarbeit, die nicht nur auf Strafverfolgung, sondern auf Verhaltensänderung abzielt.
Meiner Information nach weisen die Richter und Richterinnen auch deshalb nicht zu, weil es keine Angebote gibt. Und es gibt keine Angebote, weil die Gerichte nicht zuweisen. Das ist doch ein Zirkelschluss...
In Berlin im Rahmen von BIG gab es diese Angebote, nachdem die Finanzierung geklärt war. Dann fehlten die Zuweisungen, sodass die Mittel gestrichen wurden. Im Bereich der Gerichte ist das sehr schwierig. Bei der Polizei gibt es Fortbildungsveranstaltungen, und häusliche Gewalt ist Thema in der Ausbildung. Bei Richtern ist das viel problematischer. Hier sind rund Tische wichtig, die alle Beteiligten zusammen führen.
Die bisherigen Erfahrungen mit Täterkursen zeigen, dass die Männer, die daran teilnehmen, eher aus den unteren gesellschaftlichen Schichten stammen. Heißt das, dass es bei der Zuweisung eine Zwei-Klassen-Behandlung gibt? Oder werden Gewaltfälle in Mittelschichten einfach nicht in gleicher Weise aktenkundig?
Das kann ich nicht sagen, dazu liegen mir keine Informationen vor. Nun ist es in Schichten, wo Geld weniger eine Rolle spielt, so, dass das Problem eher privat geregelt wird. Der eine oder andere Mann geht vielleicht in die Familien- oder zur Psychotherapie oder was es sonst an Angeboten gibt. Aber ich gebe Ihnen Recht, die Täterarbeit und alles was damit zusammenhängt, ist noch ein wunder Punkt in dem Konzept. Die Erfahrungen in den USA, mit denen ich mich beschäftigt habe, sind positiv. Ich glaube, dass es schon ein Fortschritt ist, wenn sich jemand mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzen muss und aufgefordert ist, andere Verhaltensweisen zu trainieren.
In der Frauenhauspolitik der siebziger Jahre standen die Frauen als Opfer im Mittelpunkt. Das hat sich seit den neunziger Jahren verschoben, im Sinne des Titels einer Tagung 1993 "Sag mir, wo die Männer sind?" Hat diese Inverantwortungnahme der Männer wirklich gegriffen?
Es ist wichtig, dass man Frauen Schutz und Hilfe gibt. Wir werden auch mit dem neuen Gewaltschutzgesetz Frauenhäuser und Beratungsstellen brauchen. Aber wir wissen auch, dass trotz der langen Frauenhausarbeit Gewalt nicht weniger geworden ist, das heißt, wir müssen an die Täter, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen, dass sie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, und zwar im öffentlichen Interesse. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein Offizialdelikt. Zum anderen brauchen wir eine gesellschaftliche Sensibilisierung. W brauchen gerade auch Männer, die sich öffentlich gegen Gewalt aussprechen. Zum dritten muss man den Tätern die Chance geben, ihr Verhalten zu verändern. Insgesamt geht es darum, die Hemmschwelle zu erhöhen: Wenn der Schläger merkt, dass er vor der Türe steht, draußen ist, wird ihm klar, dass es sich hier eben nicht um ein Kavaliersdelikt handelt. Dass es sich um eine neue Qualität handelt, wird auch deutlich in den Änderungen des § 19 des Ausländergesetzes, die Gewalt an nichtdeutschen Frauen betrifft.
Auf Ihrem Nachttisch, das war vor einiger Zeit in einem Film über Sie zu sehen, liegt ein Buch mit dem Titel "Frauen und Revolution". Halten Sie Frauen für das veränderungsfähigere "Subjekt"?
Die Frauen haben sich schon enorm verändert, der Nachholbedarf liegt bei den Männern, würde ich sagen (lacht). Aber Frauen sind schon diejenigen die den Drive in die Gesellschaft bringen. Sie haben mittlerweile so viele neue Rollen übernommen, nun müssen sie diese Veränderungen auch bei den Männern einfordern, in der Partnerschaft, der Familie und bei der Erziehung. Das heißt auch beim männlichen Widerstand gegen Männergewalt.
Das Gespräch führte Ulrike Baureithel
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