Der frühere Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, nun Angeklagter in einem Sittlichkeitsprozess, will sich in Berlin vorab außergerichtlich zur Sache äußern. Er möchte dies zuerst vor Journalisten in der Bundespressekonferenz tun und hernach vor seinen einstigen Kollegen aus dem Deutschen Bundestag. Man könnte denken, die umgekehrte Reihenfolge wäre richtiger. Aber wer so denkt, verkennt, wo Edathy herkommt. Damit ist mitnichten sein privater Hintergrund gemeint, wie immer der beschaffen gewesen sein mag. Gemeint ist die berufliche Prägung im Deutschen Bundestag, dem sogenannten Hohen Haus.
Wie es da zugeht, konnte man zuletzt wieder bei Gelegenheit der mehrtägigen Haushaltsdebatte beobachten. Da durfte man seine Kinder nicht zusehen lassen. Schlechte Beispiele verderben die Sitten. Es dürfte in Deutschland keine Schulklasse geben, in der während des Unterrichts eine solche Disziplinlosigkeit herrscht wie auf den Abgeordnetenbänken im Reichstagsgebäude. Es dürfte auch keine Versammlung eines Sängervereins, eines Fußballklubs oder einer Schützengilde geben, in der ein Benehmen geduldet würde, wie es sich die Abgeordneten rechts wie links während der Reden eines Kollegen, unter den kaum jemals strengen Augen des Bundestagspräsidiums erlauben.
Da fordert die Vizepräsidentin Claudia Roth die wenigen Volksvertreter im Saal auf, Zwiegespräche vor den Türen zu führen, sie im Saal aber einzustellen. Kaum jemand schert sich darum. CDU-Fraktionschef Kauder und Vizekanzler Gabriel gehen plaudernd einen Mittelgang hoch und bleiben stehen, auf der Höhe, wo links und rechts noch Abgeordnete sitzen, und plaudern einfach weiter. Roth scheint machtlos. Das ist sie aber nicht. Petra Pau hat einmal in ähnlicher Lage angedroht, die Sitzung zu unterbrechen. Bundestagspräsident Norbert Lammert unterbrach sie, weil ein Minister nicht zur Erörterung eines seiner Gesetze erschienen war. Er kam so einem Antrag der Grünen zuvor. Mit der Bemerkung, er wolle es nicht zu einer unvernünftigen Ablehnung des Antrags durch die Mehrheit der Großen Koalition kommen lassen.
Man sieht, es kann so gehen oder so. An dem Benehmen von einigen Hundert Bundestagsabgeordneten wird man so rasch nichts ändern können – wenn überhaupt. Aber zur Leitung von Plenarsitzungen braucht es Leute mit Autorität. Das scheint nicht immer das Kriterium zu sein, wenn Mann oder Frau ins Bundestagspräsidium gewählt werden. Auch wenn Journalisten kaum einen besseren Ruf genießen, als es die Abgeordneten tun: Edathy geht verständlicherweise zuerst zu ihnen.
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