Vor einem Jahr glückte, wenn auch äußerst knapp, die Investitur des Sozialisten Pedro Sánchez (PSOE) als Regierungschef. Die Koalitionsregierung mit dem Wahlbündnis Unidas Podemos erblickte das Licht der Welt, als sich dessen Führer Pablo Iglesias und Sánchez umarmten. Im Koalitionsvertrag stand, alle Regierungsprojekte sollten auf Konsens basieren. Freilich gab es damals schon Zweifel, ob die Sozialisten, die als Regierungspartei noch nie ihre Macht mit anderen Parteien teilen mussten, dieses Prinzip wirklich akzeptieren würden oder auch nur verstanden hatten.
Jüngste Entwicklungen zeigen, dass sie dazu nie wirklich bereit waren. Wiederholt beschwerten sich die Kabinettsmitglieder von Podemos über die Arroganz ihres Koalitionärs, der sie wie pubertierende Minderjährige behandle. Das „Ja“ zu diesem Bündnis schien eher auf taktischem Kalkül als auf Überzeugung zu beruhen. Wichtige Gesetzesvorhaben wurden von der PSOE-Führungsriege hinter verschlossenen Türen ausgekungelt und dann den Koalitionspartnern zum „Absegnen“ serviert. Das alles spitzt sich dieser Tage zu. Seit geraumer Zeit lag ein in der Koalition ausgehandelter Gesetzentwurf zur Erneuerung des Generalrats der rechtsprechenden Gewalt (CGPJ) vor, der unter anderem die Richter für Spaniens höchste Gerichte bestimmt. Darunter ist die Strafkammer, die katalanische Unabhängigkeitsbefürworter zu langjährigen Haftstrafen verurteilt hat und seit zwei Jahren durch die Volkspartei (PP) blockiert wird. Und plötzlich berichtet die Presse von neuen Verhandlungen mit der Rechtspartei hinter dem Rücken von Podemos.
Es kommt hinzu, dass im Vorjahr die Ministerin für Gleichberechtigung, Irene Montero (Podemos), einen Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt hat, das besonders die Rechte von Transsexuellen berücksichtigt. Nun ziehen die Sozialisten einen hinter dem Rücken der Ministerin erarbeiteten Entwurf aus der Tasche, in dem ausgerechnet das Thema Schutz der sexuellen Diversität verwässert wird. Obwohl Podemos davor gewarnt hat, wird das Gesetz mit parlamentarischer Mehrheit bei Enthaltung von Podemos in den Entscheidungsprozess des Kongresses eingebracht.
Podemos unterstützt seit jeher Initiativen zur Amnestie der eingesperrten katalanischen Politiker. Jetzt teilt Pedro Sánchez mit, das hätte keine Eile. Er ziehe es vor, dies im Rahmen einer umfassenderen Gesetzesreform zu lösen, möglichst mit Zustimmung des PP. Es geht um eine Reform, die nicht zuletzt den Straftatbestand der „Rebellion“ abschaffen soll, dem die Haftstrafen für die Katalanen zu verdanken sind. Sánchez brüskiert damit nicht nur den Koalitionspartner, sondern auch die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), von der seine Regierung bisher unterstützt wurde.
Wie es aussieht, bewegt sich nicht nur der PSOE auf die Rechtspartei PP zu, sondern auch umgekehrt. Nach dem Wahldebakel in Katalonien, als die faschistische Partei VOX den Partido Popular um ein Vielfaches an Parlamentssitzen übertraf, soll PP-Chef Pablo Casado die Partei in Richtung PSOE führen, womit die Unterstützung durch die Republikaner unmöglich würde und eine durch den PP in Sicht käme. Einer solchen Perspektive könnten die aktuellen gewalttätigen Proteste nach dem Haftantritt des Rappers Pablo Hasél in die Hände arbeiten. Gut möglich, dass die Tage einer linken politischen Perspektive in Spanien gezählt sind.
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