Poetry Slam: Von Al Capone über Hazel Brugger bis Marc Uwe Kling
A–Z Wenn in wenigen Tagen die deutschsprachigen Meisterschaften in Wien anfangen, ist unser Autor Aron Boks dabei. Er ist Slam-Poet und hat bereits auf den meisten Bühnen des Landes performt. Aber was macht Poetry Slam aus? Sein Lexikon
Hinter dem Begriff „Poetry Slam“ versteckt sich ein literarischer Wettbewerb: Der Slam-Poet trägt vor, das Publikum kürt den oder die Sieger:in
Foto: Brandon Kruse/Imago Images
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Applaus Poetry Slam ist ein Bühnenliteraturformat, das alle möglichen Genres einschließt. Egal ob Lyrik, Kurzgeschichte, Rap, Satire oder Stand-up-Comedy – es findet im Wettstreit gegeneinander statt. Menschen treten mit selbst geschriebenen Texten vor Publikum auf. Ein MC, ein Master of Ceremony, führt durch den Abend. Er begrüßt das Publikum und sucht eine Jury aus meist fünf Personen aus. Die haben die Aufgabe, die Texte der Slammer:innen auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Mit Punktetafeln. Oder das gesamte Publikum entscheidet per Applauslautstärke, wer aus der Vorrunde ins Finale einziehen und später als Sieger:in gekürt werden soll. Das entscheidet sich, sobald der Text gesprochen und die Bühne verlassen ist. Doch z
lam ist ein Bühnenliteraturformat, das alle möglichen Genres einschließt. Egal ob Lyrik, Kurzgeschichte, Rap, Satire oder Stand-up-Comedy – es findet im Wettstreit gegeneinander statt. Menschen treten mit selbst geschriebenen Texten vor Publikum auf. Ein MC, ein Master of Ceremony, führt durch den Abend. Er begrüßt das Publikum und sucht eine Jury aus meist fünf Personen aus. Die haben die Aufgabe, die Texte der Slammer:innen auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Mit Punktetafeln. Oder das gesamte Publikum entscheidet per Applauslautstärke, wer aus der Vorrunde ins Finale einziehen und später als Sieger:in gekürt werden soll. Das entscheidet sich, sobald der Text gesprochen und die BXX-replace-me-XXX252;hne verlassen ist. Doch zu Beginn ist da immer dieses Kribbeln, dann die Euphorie des Publikums als Vorschuss für die eigene Performance. „Rastet völlig aus!“, ruft der Moderator, das Publikum (➝ Zuschauer:innen) macht genau das, und die Show beginnt. BBastard Slam Er ist das Urgestein, das Original des Poetry Slam in Deutschland – und der Ausgangspunkt der größten Literaturbewegung seit den 1990er Jahren (➝ Neunziger). Gegründet im Jahr 1994 im Schöneberger Nachtclub Ex’n’Pop von Wolf Hogekamp, der diesen Slam bis heute moderiert. Der Name geht auf den Bastard Club zurück, der schnell zur neuen Heimat des Slams wurde. Der Club lag im Prenzlauer Berg, es waren die 1990er – performt wurde auf den Probebühnen der Volksbühne, nebenan inszenierte der junge René Pollesch. Die Shows konnten deswegen erst sehr spät beginnen und reichten meist bis in den Morgen hinein. Seine Fortsetzung findet der Bastard Slam als Poetry Slam inzwischen im Ritter Butzke, einem der besten Nachtclubs von Berlin, gelegen in Kreuzberg. Und feiert dort in diesem November sein zehnjähriges Jubiläum.DDeutschsprachige Meisterschaften Bei den deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften treffen sich über 200 Poet:innen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Südtirol jedes Jahr in einer anderen Stadt zu den „Nationals“, wie sie in der Slam-Szene genannt werden. Diesmal geht es nach Wien. Ich bin auch dabei. Eine gute Woche lang wird beim größten Bühnenliteraturfestival Europas in Vorrunden und Halbfinals ausgelotet, wer unter den letzten acht im Finale stehen darf. Das letzte Mal, vor der Corona-Pandemie, fiel die Wahl für den Austragungsort des Finales auf das Berliner Tempodrom. Es passte, es war diese Mischung aus Extravaganz und Style, die der Stadt gut stand. Kaum überraschend, dass die Wiener:innen, die wir für ihre Melange aus Glamour, Arroganz und Exquisitem lieben, das Wiener Burgtheater für das Finale gemietet haben. Ich bin aufgeregt, natürlich. Funktionieren die Pointen aus Deutschland auch in Österreich? Gibt es in Wien ein Pendant zur U8 – oder soll ich doch lieber einfach Lyrik vortragen? Ich weiß es nicht. Aber egal wie es ausgeht – es gibt schlechtere Orte dafür, enttäuscht zu sein.EErpressertext Ein Freund von Ihnen zeigt Ihnen sein neues DJ-Set. Eins, das so furchtbar und untanzbar klingt, dass Sie es sicher nie auf einer Party spielen könnten. Sie wissen, dass Sie ihm ehrlich sagen müssten, was Sie denken. Und dann erklärt er Ihnen, er habe dieses Set für seinen sterbenden Vater angefertigt. Also machen Sie ein paar Komplimente, nette Worte, sagen aber auf keinen Fall die Wahrheit. Das ist das Prinzip des Erpressertexts. Ein Text, der meist sehr explizit von einem durchlebten Verbrechen, von Misshandlung, Suchterfahrung oder Verlust erzählt. Ein persönlicher Text, der dem Publikum keine andere Wahl lässt, als eine zumindest gute Bewertung abzugeben. Qualität hin oder her.GGreen Mill Die Wiege des Poetry Slam liegt in der Uptown Chicagos in den USA – im Green Mill. Einer Jazzbar, die früher von Al Capone besucht wurde und noch heute einen Fluchttunnel unter einem ihrer Tische hat. Durch den konnten die Mobster bei unerwartetem Polizeibesuch schnell zum Parkplatz hinter der Bar fliehen. Am 20. Juli 1986 veranstaltete der damals 37-jährige Lyriker und Bauarbeiter Marc Kelly Smith den weltweit ersten Poetry Slam. Er wollte den damaligen öden „Wasserglaslesungen“ der Literaturhäuser und Buchläden entgegenwirken. Der Legende nach wollte Marc Smith seinerzeit besonders seine Freundin beeindrucken. Im Green Mill wird bis heute geslammt.JJulia Engelmann „Eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und all die Geschichten denken, die für immer unsere sind“, sagt Julia Engelmann an diesem Maitag 2013 ein bisschen traurig, bedankt sich und verlässt die Bühne. Kurz darauf wird die deutsche Poetry-Slam-Welt eine andere sein. Das Video knackte als erstes Slam-Video die Millionenmarke auf Youtube. Nun denken viele, die nie bei einem Poetry Slam waren, dieses Slam-Video repräsentiere ein ganzes Veranstaltungsformat. Und wenn man wirklich mal hingehen würde, erwarte einen genau das – eine blonde weiße Frau mit Märchenerzählerinnenstimme tritt auf und sagt Sätze wie: „Ich würde gern so vieles tun, meine Liste ist so lang, aber ich werde eh nie alles schaffen – also fang ich gar nicht an.“ Trotzdem danke, Julia Engelmann! Ich habe das Video 2015 gesehen und stand ein paar Wochen später selbst zum ersten Mal auf der Bühne (➝ Bastard Slam).KKleinkunst Ein treffender Begriff, um Poetry Slam einzuordnen. Eine Performance ohne großes Ensemble, ohne viel Bühnenbild oder Aufwand. Aber er klingt einfach furchtbar. Man denkt an Tocotronics verachtungsvollen Kleinkunst-Song von 1996 und an Feuilletonisten, die sich dann an ihre 1990er erinnern. Eine Zeit, in der sie Tocotronic hörten und Poetry Slam bescheuert fanden. Vielleicht wird in Redaktionen deswegen darauf geachtet, das ewige Beziehungsdrama zwischen deutschem Feuilleton und Poetry Slam nicht durcheinanderzubringen:Feuilleton:Du bist kein Literat, du bist Poetry Slammer! Ein Kleinkünstler, der Kleinkunst macht und kleine Dinge schafft!Poetry Slam:Und du bist abgehoben und elitär und doof! Und ungerecht! (Schnief.) Da muss ich erst mal einen Text drüber schreiben. NNeunziger Neulich saß ich bei einem Kollegen in seiner Küche, da ich in seine Heimatstadt gereist war. Er gehört zur Aufbaugeneration des Poetry Slam, die schon in den 1990ern mit ihren Texten quer durch das Land tourte, ohne dabei etwas zu verdienen. Inzwischen ist es für Poetry Slammer:innen einfacher, sich zu professionalisieren. Es ist möglich, sein Können zu zeigen und für große Schauspielhäuser oder Clubs gebucht zu werden. Ein Status quo, der auf die Slam-Poeten zurückgeht, die früher in Betten wildfremder WGs in Städten übernachteten, in denen sie auftraten. Würden meine Texte anders klingen, wenn ich es mitgemacht hätte, das Durchmachen an einem Bahnhof in Schwäbisch Gmünd, weil man keine Unterkunft bekam?PPerformance Zwar kann bei einem Poetry Slam jedes Genre auf die Bühne gebracht werden, nur lebt es von der individuellen Performance des Poeten – der Interaktion mit Publikum, Bühne und dem eigenen Selbst. Anders gesagt: Ein hochpoetischer Text über das Hineingeworfensein in diese Welt kann so schlecht bewertet werden wie der mittelmäßigste Max-Mustermann-Text, wenn er so vorgetragen wurde wie ein nervöses Schulreferat. Und auch das Publikum performt und bestimmt den Abend. Manchmal rettet ein Text jemandem im Publikum den Abend, und manchmal führt ein spontaner ➝ Applaus dazu, dass ein:e Poet:in sich zu Hochleistungen aufschwingt. Die Vereinbarung beruht auf Gegenseitigkeit – niemand von beiden weiß genau, was passiert.SSchule Die Kabarettistin Lisa Eckhart, der Bestsellerautor Marc-Uwe Kling, die Journalistin und Moderatorin Sophie Passmann oder Stand-up-Comedians wie Felix Lobrecht und Hazel Brugger – sie alle haben ihre Wurzeln im Poetry Slam. Und alle von ihnen haben somit eine Art gleiche Schule besucht. Nur mit dem eigenen Denken und den ➝ Zuschauer:innen als Orientierung. Ein Text kann, wie bei fast keinem anderen Literaturformat, neu geschrieben und schnell live getestet werden. Sofortiges Feedback. Hopp oder top. Der Literaturprofessor und ehemalige Slammer Stephan Porombka nennt es die „school of hard knocks“, bei der die Slam-Poet:innen regelmäßig „in Bordsteinkanten“ beißen müssen. VVerzweigung Poetry Slam ist ein Format, das in seinem einfachen Grundprinzip des Auftretens mit eigenen Texten viel Spielraum für kreative Abwandlungen lässt. Das ist nicht immer schön: Vor einigen Jahren kam zum Beispiel eine deutschlandweit agierende Glücksspielkette auf die Idee, besonders unerfahrene Slammer:innen anzuwerben und mit ihnen eine Casino-Tour zu veranstalten, in der sie selbst Gage „gewinnen“ konnten.Aber es gibt zum Beispiel auch Science Slams, die sich als inzwischen selbstständiges Format etabliert haben und eine Schnittstelle zwischen wissenschaftlichen Impulsreferaten und Unterhaltungsliteratur bieten. Queer Slams, bei denen Personen der LGBTQI*-Community auftreten, werden zum Beispiel immer erfolgreicher. Genauso wie Jazz Slams, bei denen Texte von einer Band improvisiert begleitet werden. Und es gibt neben vielen weiteren Formaten einen Erotik-Slam, dessen erfolgreichste Edition, warum auch immer, in Stuttgart aufgeführt wird.ZZuschauer:innen Das Gute an Poetry Slam ist, dass sich die verschiedensten Menschen im Publikum versammeln – früher linke Subkultur, ist die Kunst heute in allen Milieus angekommen. Anders hätte die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene nicht zur zweitgrößten Slam-Community der Welt aufsteigen können, hinter den USA (➝ Green Mill). Slam hat sich professionalisiert und gehört längst zur deutschen Unterhaltungskultur. Und die Zuschauer:innen wirken als treibende Kraft – natürlich durch ihre Ticketkäufe, aber auch als fester Teil des Showkonzepts. Es gibt die kleinen Slams, bei denen es noch zugeht wie in den 1990ern, und die ausverkauften Shows vor mehreren tausend Besucher:innen. Und die sollen dann gemeinsam entscheiden, „who’s hot and who’s hotter“, wie es ein Moderator durch die Ränge der ausverkauften Theater schreit.
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