Pogrom von Rostock-Lichtenhagen: Dreißig Jahre Überleben

Rassismus Wer die rassistischen Anschläge von Lichtenhagen miterleben musste, hat heute die Öffentlichkeit oft satt. Wie wird sich das auf die zentrale Gedenkfeier in Rostock am 25. August mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auswirken?
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 33/2022
Nur ein stummer Schrei nach Liebe? Ein Nazi am Abend des 24. August 1992 in Lichtenhagen
Nur ein stummer Schrei nach Liebe? Ein Nazi am Abend des 24. August 1992 in Lichtenhagen

Foto: Haentschel/AP/dpa

Ich habe mich nicht gewundert, als vor 30 Jahren in Rostock-Lichtenhagen das Sonnenblumenhaus brannte“, sagt Van P. „Es war eine schlimme Zeit.“ Der Mann, er ist Mitte 60, hatte in der DDR ein Ingenieurstudium absolviert und arbeitet heute als Dolmetscher. An die Zeit unmittelbar nach der Wende erinnert er sich mit Grauen. „Ich habe in Chemnitz gelebt, und es gab auch dort viele ausländerfeindliche Vorfälle gegen meine Landsleute“, sagt er. Er selbst habe erlebt, dass Jugendliche auf das Auto gespuckt hätten, in dem er saß. Das sei noch eine der harmlosen Sachen gewesen, sagt P. – Freunde habe es schlimmer erwischt als ihn.

Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992, das sich in diesen Tagen zum 30. Mal jährt, war nicht vom Himmel gefallen. Vietnamesen waren die größte nichtdeutsche Gruppe in den neuen Bundesländern. 1990 hatten in der DDR 60.000 vietnamesische Vertragsarbeiter gelebt. 16.000 sind geblieben. Für die meisten von ihnen war trotz Rassismus das Leben im Nachwendedeutschland das kleinere Übel im Vergleich zu dem im damals noch bitterarmen Vietnam, wo man an Infekten starb, weil es keine Antibiotika gab.

Anders als Van P. hat Son L., Ende 50, der damals in Dresden einen Verkaufsstand für Textilien betrieb, von dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gar nichts mitbekommen. „Ich konnte ja noch kein Deutsch, hatte keinen Fernseher und auch keine Zeit zum Fernsehen“, sagt er. „Hätte ich davon erfahren, hätte es wahrscheinlich die Erfahrung bestätigt, die ich in Dresden selbst machte“, sagt der Mann, der heute in Berlin mehrere Imbissstände betreibt. Welche Erfahrungen? Er winkt ab, füllt Nudeln in eine Tüte. „Daran will ich mich gar nicht erinnern. Die Zeit ist zum Glück vorbei.“ Jetzt müsse er arbeiten, könne nicht weiterreden, „vielleicht erzähle ich Ihnen das mal, wenn ich Rentner bin“.

Von Skinheads erschlagen

Es war der in Frankfurt/Oder aufgewachsene Journalist Christian Bangel, der der unmittelbaren Nachwendezeit den Namen „Baseballschlägerjahre“ gab – nachdem er im Freitag einen autobiografischen Text des ostdeutschen Rappers Hendrik Bolz gelesen hatte (der Freitag 41/2019). Rechtsextremistische Denkweisen schlugen nach dem Ende der DDR in brutale Gewalt um. Die Jugendkultur in vielen ostdeutschen Kommunen dominierten Rechtsextremisten, sie ließen Andersdenkenden keinen Raum. Anders Aussehenden noch weniger. Im Dezember 1990 entlud sich die Gewalt im Brandenburger Eberswalde, wo der angolanische Vertragsarbeiter Amadeo Antonio von Skinheads erschlagen wurde.