Politisch wach

Theatertreffen Die Auswahl des diesjährigen Berliner Theatertreffens bezeugt eine politische Aufmerksamkeit des Theaters wie lange nicht
Ausgabe 06/2015
„Common Ground“ am Maxim-Gorki-Theater thematisiert den Jugoslawien-Krieg der 90er Jahre
„Common Ground“ am Maxim-Gorki-Theater thematisiert den Jugoslawien-Krieg der 90er Jahre

Foto: Drama-berlin.de/Imago

Eine Einladung hatte man an diesem Montag mit besonderer Spannung erwartet. Würde Frank Castorfs Baal vom Münchner Residenztheater beim Theatertreffen dabei sein? Die Brecht-Erben, vertreten durch den Suhrkamp-Verlag, verlangen nämlich die sofortige Absetzung. Ja, ist dabei und spielt nun also auch auf Hauptstadtebene in den sich anbahnenden Streit mit hinein, bei dem alle etwas verlieren, wenn zugunsten der Erben entschieden würde: das Theater eine wichtige Produktion, die Erben und der Verlag ihre Tantiemen und das Theatertreffen ein Stück.

Mit seiner Inszenierung ist Castorf der einzige Altmeister in der Auswahl aus insgesamt 379 Aufführungen, die von sieben Kritikern gesichtet wurden. Gleich fünf Debütanten sind dabei, und der oft gehörte Vorwurf, hier würden immer wieder dieselben durchgereicht, wäre diesmal absurd. Stattdessen bezeugt die Auswahl eine politische Wachheit des Theaters wie lange nicht. Yael Ronens Common Ground vom Berliner Maxim-Gorki-Theater führt mit den Biografien der Schauspieler in deren Kindheit in den Jugoslawien-Kriegen der 90er Jahre zurück. In Nicolas Stemanns Elfriede-Jelinek-Uraufführung Die Schutzbefohlenen vom Hamburger Thalia sind Lampedusa-Flüchtlinge mit ihrem bedrängten Schicksal dabei, und in der am Wiener Burgtheater herausgekommenen Uraufführung Die lächerliche Finsternis von Wolfram Lotz geht es um deutsche Soldaten im „afghanischen Dschungel“, das Stück ist wie Castorfs Baal vom berühmten Film Apocalypse Now inspiriert. Eine weitere Uraufführung, Ewald Palmetshofers die unverheiratete, ebenfalls vom Burgtheater, handelt von den nachwirkenden Verstrickungen um einen in den letzten Kriegstagen als Deserteur verratenen Soldaten. Krieg und Kriegsfolgen als verbindendes Thema.

Das ist kein Jahrgang für Champagnertheater und Stars, obwohl sicher in den starken Ensembles in Wien, München, Hamburg und Berlin ein paar jüngere nun zu entdecken sind. Und Warten auf Godot vom Deutschen Theater Berlin mit Samuel Finzi und Wolfram Koch auch als ganz große Schauspielernummer gesehen werden kann, während die Regie von Ivan Panteleev Samuel Becketts Klassiker mit Frische auf die Bühne bringt. Ein anderes Stück aus dem Repertoire der Moderne ist der gescheiterte Unternehmer John Gabriel Borkman in der Regie von Karin Henkel am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Zwei Filmadaptionen stehen für die schon seit längerem laufende Diskussion, inwieweit das Theater mit einer solchen Vorlage zum Eigenen findet. Bei Das Fest von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov ist das schon oft bewiesen worden, und im Grunde genommen ist ja dieser Film als intensives Kammerspiel der Bühne nah. Nun lässt Christopher Rüping, der jüngste Regisseur unter den Theatertreffen-Debütanten, die Filmvorlage als in seinem Sinn theaterfern zurück. Susanne Kennedys formstrenge Version von Warum läuft Herr R. Amok? (Münchner Kammerspiele) erinnert zugleich daran, wie häufig Rainer Werner Fassbinders Filme inzwischen auch zu inszenierten Theaterstücken auf deutschen Bühnen wurden. Fassbinder, der ja mal mit und am Theater angefangen hat, würde in diesem Jahr 70 werden, obwohl er schon so lange tot ist. Während des Theatertreffens wird also die große Ausstellung Fassbinder – JETZT im Gropius-Bau eröffnet, gewissermaßen als Parallelaktion und Anregung – siehe Apocalypse Now –, das Verhältnis von Film und Theater gründlicher zu beleuchten.

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