Politische Selbstfesselung

Sparpolitik Das Land muss in die Zukunft investieren, doch Wolfgang Schäuble führt den deutschen Staatshaushalt wie den einer schwäbischen Hausfrau. Ein politisches Armutszeugnis

Unser Wohlstand ist in Gefahr. Die Straßen sind voller Löcher. Brücken drohen einzustürzen. In den Schulen bröckelt der Putz. Der Wind- und Solarstrom kommt nicht von Nord nach Süd. Den Krankenhäusern fehlen neue medizintechnische Geräte. Und auf dem Land lahmt das Internet.

Die Republik fährt auf Verschleiß. Unternehmen und Staat investieren zu wenig. Die Investitionsquote – Anteil der Bruttoinvestitionen am Sozialprodukt - liegt bei niedrigen 17 Prozent. Vor über zwanzig Jahren wurde noch fast jeder vierte Euro investiert. Besonders dramatisch schrumpfen die öffentlichen Investitionen. Die staatlichen Nettoinvestitionen – Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen - sind seit 2003 im roten Bereich. Der öffentliche Kapitalstock verfällt. Die Investitionsschwäche bedroht das langfristige Wachstum.

Diese Botschaft ist inzwischen in Berlin angekommen. Merkel, Gabriel und Seehofer wollen in die Zukunft investieren. Das hätten sie schon längst tun können. Doch die große Koalition steht sich selbst im Weg. Die schwarz-rote Regierung kann aus eigener Kraft nicht investieren, da sie weder neue Schulden machen, noch die Steuern erhöhen will. Ein politisches Armutszeugnis.

Wolfgang Schäuble führt den deutschen Staatshaushalt wie den Privathaushalt einer schwäbischen Hausfrau. Sein großes Prestigeprojekt ist die „Schwarze Null“. Deswegen soll der Staat nicht mehr Geld ausgeben, als er einnimmt. Für zusätzliche Investitionen bleibt nichts mehr übrig. Der Finanzminister knausert auf Kosten der nächsten Generation. Er hinterlässt den Kindern und Enkelkindern marode Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Der oberste Kassenwart ist ein Überzeugungstäter. Die ökonomisch unsinnigen Berliner und Brüsseler Schuldenregeln würden es Schäuble sogar erlauben, sein Konto bis 2018 um 150 Milliarden Euro zu überziehen. Und das zu Tiefzinsen. Trotzdem will der Finanzminister nicht auf Pump investieren.

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Wer Schulden als Teufelszeug bekämpft, raubt dem modernen Kapitalismus das Lebenselixier. Unser Wirtschaftssystem ist eine Geld- und Kreditwirtschaft. Ohne Schulden gibt es kein Vermögen. Ohne Defizite gibt es keine Überschüsse. Ein Staat, der auf Pump investiert, kurbelt das Wachstum an. Für jeden investierten Euro steigt das Sozialprodukt um 1,3 bis 1,8 Euro. Anschließend drückt das Steuerplus sogar die Schuldenlast.

Eine Alternative zur Kreditkarte sind höhere Steuern. Investitionen über Steuern zu finanzieren ist jedoch nicht so effizient wie über Kredite. Weniger Netto vom Brutto drosselt den Konsum. Deswegen sind die Wachstumsimpulse schwächer. Entscheidend ist aber auch, welche Steuern erhöht werden. Reichensteuern belasten den privaten Verbrauch nicht so stark, da Spitzenverdiener mehr sparen. In der großen Koalition gibt es aber keine Mehrheit für eine andere Steuerpolitik. Merkel, Schäuble und Seehofer haben Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen.

Die große Koalition hat sich finanzpolitisch selbst gefesselt. Jetzt kann sie nur noch investieren, wenn ihr privates Kapital unter die Arme greift. Privates Kapital gibt es aber nicht zum Nulltarif. Private Investitionsfinanzierung ist teurer als eine Finanzierung über Staatsschulden oder Steuern.

Dierk Hirschel war von 2003 bis 2010 Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftbundes und ist seit 2010 Bereichsleiter Wirtschaftspolitik der Gewerkschaft Ver.di

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