A–Z Der Hochadel im Zoo Berlin besteht nun aus Pandas. Selbst Staatschefs huldigen ihnen. Unpolitisch waren Bär, Adler, Wolf oder Biene noch nie. Ein Bestiarium
Adler Den deutschen Adler gibt es nur im Plural und er ist keine deutsche Erfindung. Schon in der Antike wurden Adler für Siegel und Feldzeichen verwendet, und noch heute finden sie sich auf den Wappen etwa der USA, Österreichs, Russlands, Polens und Mexikos. Besonders war nur der Doppeladler, der für die Personalunion von Kaiser- und Königswürde stand. Als Napoleon dem Alten Reich 1806 ein Ende machte, verlor der Adler einen Kopf. Zweiköpfig wanderte er nach Russland. In Deutschland beauftragte der Reichskunstwart um 1920 Künstler mit Entwürfen für einen republikanischen Adler. Das Resultat bis heute: Adlervielfalt, das heißt eigene Adler für Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht, Bundesrat und Bundespräsidenten. Unverwechse
desrat und Bundespräsidenten. Unverwechselbar sind diese Adler nur im Detail. Es braucht vielleicht ein Metasymbol, um all die bunten Vögel unter einer Raute der Macht zu vereinen. Erika ThomallaBBär Lange war der Bär der König der Tiere. Von Heiden als Gott verehrt, stand er für Potenz und Unbesiegbarkeit. Weil er damit dem christlichen Gott Konkurrenz machte, wurde er im Mittelalter gestürzt. Unter Karl dem Großen fanden in den Wäldern Germaniens Massaker statt, die die Ausrottung zum Ziel hatten. Auch wenn das nicht gelang, wurde der Bär entthront und zum tölpelhaften Jahrmarkts- und Zirkustier degradiert. Nur die Wappen etwa Berlins oder Sachsens zeugen noch von seinem ehemaligen Rang. Das Amt des Tierkönigs hat seitdem der Löwe(➝ Löwe) inne. Eine zweite Karriere mit großem kommerziellem Erfolg begann im 20. Jahrhundert: Als Theodore Roosevelt 1902 bei einer Jagd ein Bärenjunges verschonte, ergriff ein russischer Spielwarenhändler in New York die Gelegenheit und stellte Plüschbären mit dem Namen Teddy her. Als politisches Tier, das Macht und Stärke verkörpert, hat der Bär lediglich im Heimatland des Spielwarenhändlers noch ein Reservat. Bis heute ist er eine Nationalallegorie Russlands, die in der Presse auch dessen ewigen Präsidenten Putin bezeichnet. Insofern könnte es unter dem sogenannten amerikanischen Löwen zu einem neuen Machtkampf kommen.ETBiene Schon in den Hochkulturen schätzt man die staatenbildenden Nektarsammler und ihren Honig; der griechische Alleswisser Aristoteles nennt sie – neben Menschen, Kranichen, Wespen und Ameisen – „politische Lebewesen“ (➝ Zoon politikon). Fortpflanzung und Orientierungssinn faszinieren ebenso wie Arbeitsteilung und Ordnung im Stock. Glaubte man in Ägypten, dass Bienen aus Stierleichen entstehen, beobachtet Aristoteles aufschlussreiche Differenzierungen: Neben fleißigen Arbeitsbienen, die einen Stachel besitzen, leben weit größere Drohnen, die stachellos sind und keine andere Aufgabe haben, als die Herrscher zu begleiten.An der Spitze des Staats stehe der Bienenkönig, der mit vorbildhafter Männlichkeit und unerschütterlicher Souveränität regiere; eine tugendhafte Milde zeige sich im seltenen Einsatz des Stachels. Heute weiß man, dass dies der Arterhaltung dient und die langsame Bewegung erklärt sich nicht aus einem royalen Charakter, sondern aus einem Leib voll befruchteter Eier. Erst 1586 identifiziert ein Spanier den vermeintlichen König als Weibchen; im 20. Jahrhundert entdeckt Karl von Frisch die Kommunikation mit „Schwänzeltanz“ und „Rundtanz“ und erhält dafür den Nobelpreis (neben Graugans-Observator Konrad Lorenz). Summ summ summ. Ralf KlausnitzerGGrille Die Fabel von der Grille und der Ameise kennt jeder. Ihre Moral: Grillen müssen im Winter verhungern, weil sie anders als die fleißigen Ameisen im Sommer Wein, Weib und Gesang frönen, statt vorzusorgen. Es gab Versuche, die Fabel politisch zu korrigieren und die Grille zum Opfer des Kapitalismus zu stilisieren, der Bohemiens und Künstler verhungern lässt. Janosch hat die Ameise durch einen Maulwurf ersetzt, der gerne Musik hört. Die Spannung, von der die Fabel erzählt, fehlt hier völlig. Kinder sollen lernen, dass die Grille kein Taugenichts ist, sondern Kulturschaffende, die anders arbeitet als Ameisen, Hirschkäfer und Mäuse. Das Happy End: Die Grillen bekommen ihren Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand. Die bei Kulturschaffenden und Didaktikern unbeliebten Ameisen sollen mehr arbeiten, damit sie den Solidaritätszuschlag bezahlen können. Harun MayeHHyäne Feigheit, Hinterlist, Unreinheit und Zerrüttung des Gemeinwesens, Kannibalismus und Leichenschändung werden ihr nachgesagt. Das wird politisch ausgeschlachtet: Arbeiter bei Carl Tiedemann demonstrierten gegen ihre Chefin, die als „Hafenlöwin“ (➝ Löwe) bekannt war, weil sie eine blonde Mähne hatte und sich in einer von Männern dominierten Branche durchsetzen konnte. Die Arbeiter verlangen ausstehende Löhne. Auf einem Schild: „Zahle, du Hyäne, zahl endlich unsere Löhne“. Der Weg von der Löwin zur Hyäne ist manchmal sehr kurz. Harun MayeLLöwe Nicht nur Achill ist ein Löwe, sondern auch Donald Trump. Siehe Frisur und Auftreten. Redewendungen tun das Übrige: In den 1980er Jahren habe er als junger Baulöwe Karriere gemacht, im Wahlkampf galt er als Pfau, der ein Löwe sein möchte, im Trump Tower befindet man sich augenblicklich in der Höhle des Löwen. Selbst Sohn Barron reitet auf einem Plüschlöwen. Aber stimmt der Vergleich? Handelt es sich bei Trump nicht um einen Papiertiger? Der Löwe als Herrschaftssymbol hat drei Eigenschaften: Er verwischt seine Spuren, ist wachsam und weckt die Jugend auf. Der König der Tiere (➝ Bär) ist ein vorbildliches dogmatisches, moralisches und heilsgeschichtliches Tier, das Idealbild eines guten Herrschers und Hirten. Donald Trump ist das nicht. Harun MayePPferd Nach Aristoteles ist ein Staat, der sich auf seine Kavallerie gründet, eine Oligarchie, weil nur Reiche sich Pferde leisten könnten. Seit ihrer Domestizierung sind Pferde Werkzeuge realer wie symbolischer Macht, als Kriegsmaschinen, Heu-betriebene Motoren und mobile Throne für Herrscher von Xerxes bis Kim Jong-il. Und ihre Politik? Swift lag falsch: Houyhnhnms sind nicht hierarchisch. Wilde Hengste sind auch keine „Sultane“, wie Asienreisende des 19. Jahrhunderts dachten.Das Argument in meinem 2016 erschienenen The Age of the Horse lautet, besser Kropotkin zu lesen. Der beschreibt, wie Pferde zusammenhalten, wenn Wölfe (➝ Wolf), Steppenbrände oder Schneestürme drohen. Einigkeit ist die stärkste Waffe im Überlebenskampf. Ohne Ställe, Koppeln und rationiertes Futter gibt es weder Gezänk noch Hackordnung, Revier oder Rang. „Pferde sind selbstorganisierende Anarchisten“, schreibt die britische Ethologin Lucy Rees entschieden: „Viva el anarquismo equino ¡“ Susanna ForrestRRatte Die Postmoderne hat manch Kurioses hervorgebracht. Das arme Subjekt wurde von Différance und Dispositiv verschoben wie ein altes Möbel. Es verschwand wie ein Gesicht im Sand oder wurde einfach zum Tier. Nicht zur Strandkrabbe oder zum Albatros – nach Baudelaire das Symbol des Dichters (➝ Grille) –, sondern zur Ratte.Bei Deleuze und Guattari ereignet sich das in den Mille Plateaux. Das Tierwerden hat in diesem Kontext nichts mehr mit Mimesis zu tun, sondern es ist in Kafkas Sinne eine Verwandlung, und zwar im Akt des Todes, wenn jener Filmheld Willard, von dem die Autoren berichten, von der Rattenmeute in Stücke gerissen wird. Bei Adorno hingegen ist es der Tod der Ratte, an dem das Bild des Menschen erst aufgeht und als autonomes Subjekt erlischt: „Ein Hotelbesitzer, der Adam hieß, schlug vor den Augen des Kindes, das ihn gern hatte, mit einem Knüppel Ratten tot, die auf dem Hof aus Löchern herausquollen; nach seinem Bilde hat das Kind sich das des ersten Menschen geschaffen.“ Lars HartmannWWild Tanach, Bibel und Koran, sie alle erwähnen Nimrod, „den großen Jäger vor dem Herrn“. Für Robert Suter, Autor von Par Force. Jagd und Kritik, verdichtet sich in der mythischen Königs- und Heldengestalt der Zusammenhang zwischen dem Jagen und der Souveränität. Fragen der Souveränität werden auch dort berührt, wo sich eine „große Jagdwende“ am Übergang zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert abzeichnet. Galten bis dahin „wehrhafte“ Tiere wie der Bär (➝ Bär) oder das Wildschwein als Beute, mit der der Herrscher seine Kräfte messen konnte, erscheint nun mit dem Hirsch ein neuer „König des Waldes“ (➝ Löwe).Das hat mit einer neuen Mode zu tun, der Parforce- oder Treibjagd mit Hunden. Benötigt wird dabei ein Wildtier, das intelligent, listig, ausdauernd, wendig und schnell genug ist, um den Jäger über längere Strecken auf Distanz zu halten. Dass Jagd nun als Spiel begriffen wird und demnach um ihrer selbst willen geschieht, ist zu einem Kernargument der Jagdkritik geworden. Das zeigen Texte aus dem 18. Jahrhundert, wie etwa Matthias Claudius’ Schreiben eines parforcegejagten Hirschen an den Fürsten, der ihn parforcegejagt hatte. Eine ungleich politischere Konsequenz hatte die Treibjagd dadurch, dass sie sich jetzt nicht mehr auf einen eingehegten Forst beschränkte. Vielmehr bewegten der Herr und seine Jagdgesellschaft sich nun auch auf den Feldern und Äckern seiner Untertanen, was seine Sichtbarkeit enorm erhöhte, aber auch den Bereich, der zuvor vor Zugriffen souveräner Macht geschützt war, enorm einschränkte. Mladen GladićWolf Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, so lautet die gängige deutsche Übersetzung von „Homo homini lupus“. Das wiederum ist ein verkürztes Zitat einer Sentenz des Plautus: „Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit.“ Der Mensch ist also für den Menschen ein Wolf und kein Mensch, wenn man sich nicht kennt. Berühmt ist die Formel durch Thomas Hobbes geworden, der sie in seiner Schrift De Cive von 1642 zitiert. Was aber meint Hobbes damit?Der Philosoph geht davon aus, dass sich der Mensch im Naturzustand, das heißt in einem Zustand, in dem sich noch keine staatliche Gewalt etabliert hat, in einem Kampf aller gegen alle befindet. Erst wenn er sein Naturrecht darauf, mit allen Mitteln den eigenen Nutzen verfolgen zu dürfen, aufgibt und in einen Gesellschaftsvertrag einwilligt, ist dieser Kriegszustand der Menschen untereinander beendet. Bei Hobbes ist der Wolf eine Chiffre für die Wildnis. Wo er auftaucht, gelten keine Regeln. Gegen die Sentenz kann man zurecht ins Feld führen, dass, wenn sie wirklich stimmt, der Wolf eigentlich dem Wolf kein Wolf sein kann. Denn Wölfe sind, obzwar wilde Tiere, auch soziale Wesen (➝ Zoon politikon). Mladen GladićZZoon politikon Nach Aristoteles unterscheidet sich der Mensch vom Tier durch den in seinem Wesen liegenden Drang zur Bildung von Gemeinschaft. Während das Tier nur grast, rennt, herumfliegt oder faulenzt (➝ Grille), ist das Zoon politikon als soziales und politisches Wesen ständig auf der Suche nach Kommunikation und Strukturbildung (➝ Biene). Keimzelle jeder Gemeinschaft, und hier wird es hochaktuell und für Zartbesaitete problematisch, ist dabei die Liebe zwischen Mann und Frau, sie geht jeder Polis-Gründung voraus. Nicht gut weg kommen Frauen insgesamt, sie gelten Aristoteles als ungleich, unfertig und dem Mann untergeordnet. Aber was wusste schon Aristoteles! Timon Karl Kaleyta
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