In einem Abbruchhaus in der Düsseldorfer Kaiserstraße 31a fing alles an. Vier Kunststudenten – Gerhard Richter, Sigmar Polke, Manfred Kuttner und Konrad Lueg – hatten die leerstehende Metzgerei gemietet, um dort ihre Bilder zu zeigen. Das war 1963 im Mai. Eine Galerie, die bereit gewesen wäre, ihre Werke auszustellen, hatten sie nicht gefunden. Die abstrakte Kunst gab damals den Ton an, sie bestimmte, was in den Museen hing, in den Galerien verkauft und an den Akademien gelehrt wurde.
Die vier jungen Männer aber malten gegenständlich. Sie kopierten Pressefotos, beschäftigten sich mit Banalem und Alltäglichem. Ihre Bilder waren bunt, plakativ. Sie zeigten Partys, Werbebilder, Waren. Die amerikanische Pop-Art hatte sie geprägt, für sich
aus in der Düsseldorfer Kaiserstraße 31a fing alles an. Vier Kunststudenten – Gerhard Richter, Sigmar Polke, Manfred Kuttner und Konrad Lueg – hatten die leerstehende Metzgerei gemietet, um dort ihre Bilder zu zeigen. Das war 1963 im Mai. Eine Galerie, die bereit gewesen wäre, ihre Werke auszustellen, hatten sie nicht gefunden. Die abstrakte Kunst gab damals den Ton an, sie bestimmte, was in den Museen hing, in den Galerien verkauft und an den Akademien gelehrt wurde.Die vier jungen Männer aber malten gegenständlich. Sie kopierten Pressefotos, beschäftigten sich mit Banalem und Alltäglichem. Ihre Bilder waren bunt, plakativ. Sie zeigten Partys, Werbebilder, Waren. Die amerikanische Pop-Art hatte sie geprägt, fXX-replace-me-XXX252;r sich selbst reklamierten sie den Gattungs- und Kampfbegriff Kapitalistischer Realismus. Verkauft haben sie während ihrer Ausstellung kein einziges Bild.Doch schon im Oktober versuchten Lueg und Richter ihr Glück ein zweites Mal: mit einer Art Happening, das sie im Düsseldorfer Möbelhaus Berges stattfinden ließen. Der Titel: Leben mit Pop. Eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus. Die Werke waren zwischen den Möbelstücken verteilt, einen Filzanzug ihres Kommilitonen Joseph Beuys hatten sie ebenfalls aufgehängt. Richter und Lueg saßen in der Schau und guckten Fernsehen. Es lief eine Sendung über Konrad Adenauer, der an diesem Tag als Bundeskanzler zurückgetreten war. Dazu gab’s Bier.Good VibrationsHeute gelten diese zwei Ausstellungen als Geburtsstunden der deutschen Pop-Art. Die Düsseldorfer Kunsthalle widmete ihnen vergangenes Jahr, zum 50. Jubiläum, eine Schau. Gezeigt wurden allerdings keine Originale, da die Exponate von damals so im Wert gestiegen sind, dass Transport- und Versicherungskosten den Etat gesprengt hätten. Stattdessen gab es, was sich recht passabel als ironisch und „Pop“ verkaufen ließ: Reproduktionen.In der Frankfurter Schirn wagt man dagegen nun den großen Wurf. Die Überblicksschau will erstmals umfassend die Geschichte der westdeutschen Pop-Art erzählen. Der Fokus liegt nicht nur auf Düsseldorf. Eine Pop-Bewegung, sagen die Ausstellungsmacher, existierte auch in Berlin, wohin die Düsseldorfer Absolventen Wolf Vostell, KP Brehmer und Herbert Kaufmann zogen und wo der junge René Block sich mit seiner Galerie für die „Neo-Dadaisten“ engagierte. In München wurde die Auseinandersetzung mit der Popkultur rund um die Künstlergruppe SPUR geführt. In Frankfurt waren es Peter Roehr und Thomas Bayrle, die mit Bildern aus der Werbung und dem seriellen Produzieren experimentierten. German Pop heißt die Schirn-Ausstellung. Ein zugkräftiger Claim. Auch ihn haben die vier Düsseldorfer Studenten erfunden.Viele Werke in der Schau sind so lässig, so verspielt und unbekümmert wie zum Beispiel ein Song der Beach Boys. Konrad Lueg lässt zwei Boxer tanzen. Die Männer erscheinen wie Schatten, ihre Handschuhe und Sporthosen leuchten bunt. Noch greller, noch vibrierender sind die von Manfred Kuttner mit fluoreszierender Neonfarbe bemalte Schreibmaschine und eine Klaviertastatur. Leichtfüßig ist auch die Installation Blauer Rauch des Münchners Lothar Fischer: Eine comicartige, blaue Wolke wächst da in den Ausstellungsraum hinein.Placeholder gallery-1Anderes ist nah am Agitprop: HP Alvermanns Denkmal für die deutsche Sozialdemokratie etwa, ein signalroter Schrank auf Stelzenbeinen, auf dem ein wilhelminischer Polizeihelm thront. Oder Wolf Vostells Lippenstiftbomber B52 aus dem Jahr 1968. Schminke wird hier zur scharfen Munition umfunktioniert. Dass Vostell damit gegen den Vietnamkrieg Stellung bezieht, ist unübersehbar.Man stößt in der Schau auf viele Künstler, die – anders als Richter, Polke oder Bayrle – in Vergessenheit geraten sind, deren Werke aber bis heute beeindrucken. Werner Berges beispielsweise zeichnete silhouettenhafte Figuren, die an den Stil von Raymond Pettibon erinnern. Wolfgang Oppermann schuf seine psychedelischen Grafiken in Hamburg, fernab der Epizentren der deutschen Pop-Art. Viele Werke haben es in den musealen Kanon nie geschafft. Sie gelangten nun aus Nachlässen und kleinen Privatsammlungen in die Schirn oder wurden von den Künstlern selbst zur Verfügung gestellt. Der archäologische Eifer, der hinter der Schau steckt, ist bemerkenswert.Der Geist in der Ajax-FlascheKünstlerinnen wurden in die Männerbünde der deutschen Pop-Kunst übrigens nie aufgenommen, die Galerien haben sie ignoriert. Ihre Arbeiten entstanden so weitgehend im luftleeren Raum. Der demokratische Impetus von Pop: Für Frauen galt er hier jedenfalls nicht. Umso erfreulicher, dass ihre Kunst in Frankfurt nun endlich entdeckt werden kann. Von Bettina von Arnim gibt es gemalte Science-Fiction-Figuren, die in München tätige Ludi Armbruster beschäftigte sich mit Körperbildern. Am erstaunlichsten sind die Gemälde von Christa Dichgans, die Klumpen aus aufgeblasenen Figuren, Spielzeugen und Tieren zeigen und wie ein Vorgriff auf das Werk von Jeff Koons wirken.Was an der Schau irritiert, ist die Vehemenz, mit der hier eine Sonderstellung der deutschen Pop-Art, eine Distanz zu den US-amerikanischen Künstlern behauptet wird. Sehr pauschalisierend wird da vom „plakativen und glamourösen Vokabular“ von Künstlern wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein oder Robert Indiana gesprochen. Die deutsche Pop-Art wird dagegen als kritisch, ironisierend, die bieder-bürgerliche Wirklichkeit der 50er Jahre hinterfragend beschrieben. „Insbesondere German Pop kennzeichnet einen subversiven Wandel in der Gesellschaft“, lässt sich Schirn-Direktor Max Hollein in der Pressemeldung zur Schau zitieren.Doch ist diese Polarität – kritische Geister hier, affirmative Zuflüsterer der Konsumgesellschaft dort – wirklich zutreffend? Spätestens wenn man vor Gerhard Richters Motorboot von 1965 steht, beginnt man zu zweifeln. Vier glückliche Menschen sieht man – natürlich verwischt – auf dem Bild. Lachend, euphorisch, in weißer Kleidung. Die Frau im Vordergrund breitet die Arme aus. Man erkennt die hohen Wellen, die das Boot hervorbringt. Ein Werbemotiv, ein Traum von Abenteuer und Wohlstand. Sigmar Polkes Parfumbild hängt daneben. Auf rosafarbenem Hintergrund sind die charakteristischen Schriftzüge von Marken wie Christian Dior, Cartier, Hermès oder Baccarat gemalt.Warum sollten diese Bilder ironisch gemeint sein, während ein Andy Warhol sich dem Konsum vermeintlich nur verschrieb? So glamourös und oberflächlich, wie die amerikanische Pop-Art heute erscheint, hat sie in den 50er und 60er Jahren nicht immer gewirkt. Warhols Siebdruckporträts der Schönen und Reichen waren immer auch überbordend und camp. Indem er Jackie Kennedy, Marilyn Monroe oder Mao in der gleichen Weise wie Gewaltverbrecher oder einen Autounfall darstellte, feierte er nicht nur, sondern hinterfragte auch die Massenkultur. Seine Factory war ein Ort der Gegenkultur, der offen gelebten Homosexualität, der Drogenexperimente, der Kaputtheit. Ein Ort, der den American Way of Life konterkarierte. In Warhols Suppendosen und Brillo-Boxen dürfte also nicht weniger kritischer Geist (und zugleich nicht weniger Begeisterung für die Massenproduktion!) stecken als in Thomas Bayrles übergroßer Ajaxflaschen-Installation, die nun in der Schirn zu sehen ist.Besonders Bayrle macht die Ambivalenz, die auch in der deutschen Pop-Art steckt, deutlich. Der Frankfurter betrieb viele Jahre eine eigene kleine Werbeagentur, konnte seine künstlerischen Projekte so überhaupt erst finanzieren. „Tagsüber Ferrero, Benckiser und Pierre Cardin, nachts Marxisten-Anarchisten, Antiautoritärer Kindergarten und Lotta Continua.“ So beschreibt er in einem Interview, das für den Ausstellungskatalog entstanden ist, seinen Alltag als Künstler und Werber. Und er findet ein prägnantes Bild für das uneindeutige Verhältnis der Pop-Art zur Massenkultur: „Als ich bei Ferrero sah, wie Schokoladeautomaten in rasender Geschwindigkeit Pralinen ausspuckten, war das beängstigend und großartig zugleich.“ Dass German Pop jetzt versucht, die deutschen Künstler der 60er Jahre zu Renegaten zu adeln, haben sie weder nötig noch verdient.Placeholder infobox-1Placeholder link-1Placeholder link-2Placeholder link-3Placeholder link-4Placeholder link-5
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