Popkritik im Praktikantenmodus

Medien In der digitalen Marktwirtschaft ist die Popkulturarbeit in ihrer Existenz bedroht. Prekär bezahlte Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit macht keinem mehr Spaß
Ausgabe 03/2014
Können wir auf gute Popkritik im Hörfunk verzichten?
Können wir auf gute Popkritik im Hörfunk verzichten?

Foto: Imago/teutopress

Qualifizierte Popkulturarbeit: Was ist das? Es ist das Nachdenken, Schreiben und Sprechen über Phänomene des Populären, über Musik, Stile, Medien – und darüber, was solche Dinge uns über unsere Welt verraten. In der digitalen Marktwirtschaft findet immer mehr dieser Popkulturarbeit im Internet statt – für immer weniger Geld. Das gilt für Schreiber wie für Radiomacher. Die intellektuelle Disziplin der Popkritik, die ja, wenn sie gut sein willl, immer auch hedonistische (Kollektiv-)Praxis ist, ist in ihrer Existenz bedroht.

Das Internetradio ByteFM sendet seit 2008. Dort mache ich die Sendung Was ist Musik, anfangs drei Stunden lang, später zwei. Seit Beginn dieses Jahres nur noch eine. Mehr geht nicht mehr. Autorensendungen werden bei ByteFM nicht honoriert. Zwei Stunden Sendezeit ohne inhaltliche Beschränkungen: ein Privileg, das es im öffentlich-rechtlichen Radio praktisch nicht (mehr) gibt. Zwei Stunden Sendezeit interessant gestalten, das fordert Zeit. Zeit und Arbeit, für die es kein Geld gibt, Zeit, die ich brauche, um anderweitig Geld zu verdienen.

2009 bekam ByteFM den Grimme Online Award. Die Jury schwelgte in alten Zeiten „…bevor der kommerzielle Umbruch der Radiosender den geschmacksbildenden Radio-DJ durch den chartgesteuerten Computer ersetzte. (...) Doch ist ByteFM kein verklärter Blick in die Vergangenheit, sondern eine von Musikliebhabern für Musikliebhaber gestaltete Plattform.“

Öffentlich-rechtliches Vakuum

Unter den possierlichen „Musikliebhabern“ sind Journalisten mit langjähriger Erfahrung beim öffentlich-rechtlichen Radio. Die sind dort aber kaum noch gefragt. Mit dem Siegeszug des Privatradios, der übrigens mit dem Fall der Mauer einherging, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk von der Popkritik weitgehend verabschiedet. Autoren-DJs werden ins nächtliche Nirvana verschoben oder ganz abgeschafft. Der Ball ist rund, meine Sendung beim Hessischen Rundfunk, wurde Ende 2008 nach 24 Jahren eingestellt.

Die Folge: Popkritik-Profis reamateurisieren sich zwangsfreiwillig und senden unter Praktikantenbedingungen beim Internetradio. Selbstverwirklichung gegen Selbstausbeutung – die Tauschformel der Prekärökonomie. Die „Musikliebhaber“ beuten sich nicht bloß selbst aus, sie unterschreiten notgedrungen Qualitätsstandards, die bei gebührenfinanzierten Programmen üblich sind. Von dem Geld, das bei ByteFM in ein Zwei-Stunden-Magazin fließt, könnte ein öffentlich-rechtliches Radiofeuilleton keine zwei Minuten senden.

Wem gebührt das Geld?

Das führt zu permanenter Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit. Wenn man ständig unter Druck produzieren muss, leidet die Qualität. Mal bleibt ungewollt eine holprige Moderation drin, ein schiefer Übergang wird nicht korrigiert oder es bleibt keine Zeit, eine Moderation auszuformulieren, also redet man redundantes Zeug: the dark side of „Musikliebhaberei“. Der Charme des Unperfekten verbraucht sich schneller, als du „Das Beste aus den Achtzigern, den Neunzigern und von heute“ sagen kannst.

Immer wieder hören wir, dass das werbefreie, komplett unterfinanzierte Programm ByteFM leistet, was die Öffentlich-Rechtlichen qua Auftrag leisten müssten – aber kaum noch tun. Wem gebührt das Geld?

Klaus Walter , geboren 1955, arbeitet seit den 70er Jahren als Autor und Radiomacher zu den Themen Popkultur, Fußball und Politik.

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