Es ist wichtig, seriös und ernst zu sein, sonst verdient man kein Geld. Noch wichtiger allerdings ist es, dabei auch locker zu sein, flockig, flott, scheinbar unangepasst, denn sonst gilt man als Langweiler, Schwerenöter, trübe Tasse - und nichts ist schlimmer als das. Am Besten ist es (so die dialektische Lösung des Oscar Wilde), ein Windbeutel zu sein und "Ernst" zu heißen - das zugehörige Stück nennt sich dann im Untertitel The Importanceof being Earnest. Vielleicht besteht ja auch ein mystischer Zusammenhang zwischen geistiger Plattheit und dickem Bankkonto - man schaue sich nur unsere Talkshow-Könige oder Schmiergeld-Kapitäne an.
Bei Oscar Wilde jedenfalls haben alle viel Geld und unendlich viel Langeweile, deshalb muss man zwanghaft origine
b muss man zwanghaft originell sein. Wer Bunbury heute liest, wird mit der Nase sofort in eine Art viktorianische Postmoderne gestoßen. Die Scheinwelt der Mediensprüche erscheint dort nur in anderer Verkleidung, etwas angestaubter, elaborierter, pseudoprüde und verybritish. Allerdings hat das Stück aus heutiger Sicht einen kleinen Haken: der Autor, der sich da so leichthändig über Ehe und Kirche, Raffsucht und Konvention lustig macht, war stockschwul, und die Leute, die eben noch über sein Theater lachten, brachten ihn kurz darauf vor den Kadi, in die Tratsch-Presse und in den Knast. Daran ist er dann gestorben, genau hundert Jahre ist das her.Der Regisseur Hans-Ulrich Becker setzt gleich zu Beginn ein paar dezente Signale: über der Szene hängt ein phallisches U-Boot mit der Aufschrift "Bosie" (so der Kosename von Wilde-Liebhaber Lord Douglas). Der snobistische Algernon des Bernhard Baier muss sich play-back und hochkünstlich als Flötist (ach ja!) an Jethro Tulls "Bourree" versuchen, und im Salongespräch zwischen ihm und seinem Freund John Worthing (Gottfried Breitfuß) herrscht ein sublim homoerotischer Unterton. Die Jungs, die da über Cecily und Gwendolyn palavern, interessieren sich einen feuchten Kehricht für Frauen, dafür sind sie scharf auf Muffins und Buttertoasts und vielleicht auf noch ganz anderes. Liebe kommt sowieso nur als Parodie und Pose vor: wichtig ist, wie man die Beine übereinander schlägt oder wie man ein Zigarettenetui hält.Nach diesem sanft schwülen Beginn aber setzt der Regisseur dann das Räderwerk der Komödie in Gang, das zwar bisweilen unterhaltsam klappert, aber immer öfter auch hohldreht. Das Paradigma, das Alexander Müller-Elmaus Bühne vorgibt, wird jedenfalls nicht eingelöst. Müller-Elmau hat zwei gläserne Riesenkästen gebaut, Gewächshäuser, Aquarien, in denen dann in einer fast naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung Wildes dramaturgische Schneiderpuppen gegeneinander Sottisen spucken könnten. Becker aber setzt auf Althergebrachtes: er lässt Elke Twiesselmann als altes Lady-Schrapnell die Verdienstspannen von Heiratskandidaten abfragen und Hans Josef Eich als Pastor ausgiebig mit dem "Ti-Eitsch" des Marcel Reich-Ranicki psalmodieren. Das trägt nicht weit. Das heiratswillige Vierer-Pack der Damen Hedi Kriegeskotte, Irene Kugler und der Herren Baier und Breitfuß aber versucht die Parodie der Parodie: sie wollen die Künstlichkeit der Salonphrasen noch einmal toppen - und das hat doch etwas arg Augenzwinkerndes.So geht es nie ans Eingemachte: dass da zwei Männer ständig eine andere Existenz vortäuschen, um einen Happen Leben abzukriegen, das muss ja nicht diese Max-Frisch-Haltung "Ich bin nicht Stiller" vor sich hertragen. Aber als Grundierung sollte das Thema schon da sein, um sich selbst und seine Lebenslügen dann dandyesk veralbern zu können. Stattdessen sucht der Regisseur die billigen Genüsse des Trivialen: Hedi Kriegeskotte und Irene Kugler sind fast doppelt so alt wie ihre Frauenrollen - und wollen dann durch Overacting imponieren. Jede für sich ist ganz amüsant, zusammen sind sie ziemlich zäh. Bühnenbauer Müller-Elmau leistet sich für den zweiten Teil, "auf dem Lande", eine Disney-artige Kitschorgie mit Mohnblumen, Schmetterlingen und Riesenschildkröten als Sitzgelegenheiten; es lebe der Schwachsinn, es lebe das Staatstheater-Boulevard, soll das wohl heißen. In Stuttgart lebt der Nonsens leider nur ein bisschen - und mit zunehmender Spieldauer immer weniger.Dafür beginnt das zweite Stück zum Thema mit Applaus. Der kommt vorerst freilich nur vom Band: der Dramatiker Oscar Wilde, oder vielmehr: der Schauspieler Klaus Hemmerle, steigt von der Hintertreppe eines bravo rufenden Theaters, in dem soeben eines seiner Stücke uraufgeführt wurde. Die gute Stimmung hält nicht lange vor: der arrogante Wilde, so zeichnen die Stuttgarter es minutiös nach, wird in drei aufsehenerregenden "Unzucht"-Prozessen zu zwei Jahren Haft mit Zwangsarbeit verurteilt, 1900 stirbt er an den inneren und äußeren Verletzungen, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte.Der Autor Moise Kaufman hat versucht, diese drei Gerichtsverfahren zu rekonstruieren - und beim Lesen der voluminösen, textlastigen Vorlage beschleichen einen doch leise Zweifel, ob das auf dem Theater gut gehen kann. In Stuttgart hat man deshalb Christian Pade auf das Stück angesetzt, einen Regisseur, der schon mit Peter Weissens Ermittlung und Romuald Karmakars Totmacher spektakuläre Inszenierungen dokumentarischen, journalistischen Theaters vorgelegt hat. Pades Methode ist die der geduldigen Überredung: der offensichtlichen Begrenztheit der Gerichtssituation begegnet er mit Lakonie und der Konzentration auf eine Figur, die hochgemut den Primat von Kunst und Lust gegen eine nur moralische Gesellschaft behauptet.Klaus Hemmerle spielt den Oscar Wilde: ein arroganter Dandy mit Spazierstock, der herausfordernd den Kopf nach hinten wirft und seinen Gegenspieler, den Marquess of Queensberry, gründlich der Lächerlichkeit preis gibt. Queensberry, der Vater von Wildes jungem Liebhaber Lord Douglas, hatte in einem Londoner Club eine offene Karte hinterlassen, auf der er Wilde als "posierenden Sodomiten" bezeichnet hatte, lässt sich nun von dem leichtfertigen Douglas zu einer Verleumdungsklage verleiten, mit katastrophalem Ausgang: nicht der bärbeißige Queensberry (Reinhold Ohngemach gibt ihn als adligen Spießer mit Reitpeitsche) wird verurteilt, sondern der sich unangreifbar wähnende Künstler.Christian Pade setzt diesen Prozess nun wie ein Puzzle zusammen: als Stimmengewirr und Hörspiel, als Sprechoper in- und gegeneinander geführter Aussagen, Fragen und Briefpassagen. Für Wilde war Homoerotik nicht nur Sexualität, sondern Lebensform: es spricht einiges dafür, dass er mit Douglas kaum noch sexuelle Beziehungen unterhielt, sondern dem Lord im Sinne der Knabenliebe griechischer Tradition verfallen war, eine psychische Abhängigkeit, die in der Schönheit eine Form von Genie sieht und sich in der Anbetung ewiger Jugend und Geistigkeit verlieren möchte. Die Haltung des l'art pour l'art wird im ersten Prozess verteidigt: der nüchtern-präzise Gegenanwalt Carson (Elmar Roloff) versucht, Wilde anhand von Gedichten, Briefen und Prosa der "Sodomie" zu überführen, der furiose Klaus Hemmerle als Wilde besteht auf dem Eigenleben von Gefühlen, die vor Gericht nichts zu suchen haben, und der Eigenständigkeit des Kunstwerks, das mit Moral nicht zu beurteilen ist.Solange es um Literatur geht, ist der Stuttgarter Oscar Wilde obenauf und trägt ein provozierendes Selbstbewusstsein zur Schau. Sobald aber juristische Kategorien die Oberhand gewinnen und man die Aussagen kleiner Strichjungen verhandelt, beginnt der Protagonist langsam in sich zusammenzusinken. Hemmerle reagiert auf die öffentliche Hinrichtung apathisch, fast ungläubig; die englischen Gazetten haben den sehnlich erwarteten Skandal.Die Inszenierung plustert sich nie auf, sie ist immer gediegen und vorsichtig. Lord Douglas (Bernd Gnann), der in Wahrheit eine egomane Bestie war, wird deshalb in Stuttgart nur als netter Beau gezeigt. Regisseur Pade aber macht die Schwäche des Stücks zur Stärke: das Reden über Sexualität ist wichtiger als diese selbst, und deshalb wird es exzessiv betrieben. Das hat Pade zwar von Foucault abgeschaut, aber er hat es schön inszeniert. Und das ist viel.
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