Posse um TV-Lizenz

Russland TV2-Chefredakteur Viktor Mutschnik muss sich von 250 Ländern bestätigen lassen, dass er dort nicht Staatsbürger ist. Andernfalls droht der Sendeschluss
Ausgabe 47/2016
Meinungsvielfalt, wohin das Auge reicht
Meinungsvielfalt, wohin das Auge reicht

Foto: Alexander Nemenov/AFP/Getty Images

Um die vom Staat unabhängigen russischen Medien steht es bekanntlich schlecht. Doch der jüngste Fall des sibirischen Fernsehsenders TV2, der sich ganz und gar abseits westlicher Aufmerksamkeit abspielt, zeigt, wie perfide und bisweilen absurd Russland seine Schäfchen zu kontrollieren versucht. Zum Jahreswechsel verweigert die Medienaufsicht Roskomnadzor dem unabhängigen Sender aus Tomsk eine neue Lizenz. Der Vorwurf lautet: Der TV2-Chefredakteur besitze neben der russischen noch eine ausländische Staatsbürgerschaft. Welche, das wusste Roskomnadzor dann auch nicht so genau, die Medienaufsicht gab jedoch unmissverständlich zu verstehen, man möge bitte die nötigen Beweise des Gegenteils erbringen, dann sei das mit der TV-Lizenz überhaupt kein Problem.

Wie beweist man also, dass man keine andere Staatsbürgerschaft außer der russischen besitzt? Man schreibt Briefe an jedes Land auf dieser Erde. An jedes einzelne. Eine Mammutaufgabe also. „In Russland haben wir rund 140 Auslandsvertretungen“, sagt TV2-Chefredakteur Viktor Mutschnik, „denen haben wir allen geschrieben. Insgesamt aber gibt es um die 250 Staaten, inklusive allerlei halbanerkannter wie Abchasien zum Beispiel.“

Tatsächlich trudelte vor zwei Monaten die erste Antwort in den TV2-Redaktionsräumen ein. Nein, Herr Mutschnik sei kein Staatsbürger Estlands. Rund 15 Antworten liegen Mutschnik und seinem Team mittlerweile vor. Doch so einfach wie mit Estland ist es meist nicht. In der nigerianischen Botschaft soll er erst einmal persönlich vorbeikommen, und den Weißrussen reichen die beigelegten Dokumente nicht aus. Ein bürokratischer Albtraum.

Neben dem Briefeschreiben klagt Viktor Mutschnik deshalb auch vor Gericht für eine neue Lizenz. Drangsaliert werde TV2 von der Medienaufsicht aus einem einfachen Grund, sagt Mutschnik: „Für den Staat sind wir Opposition.“ TV2 steht am Ende einer langen Liste von unabhängigen Medien, denen der russische Staat den Kampf ansagte. Unliebsame Chefredakteure wurden abgesägt, ausländische Finanzierungen erschwert und Lizenzen entzogen. Das Internet bot neue Möglichkeiten. Unter der Präsidentschaft Dmitri Medwedews erlebte das Netz einen echten Boom. Kritische Blogs erreichten täglich hunderttausende Leser. Reihenweise entstanden neue, junge Internetmedien. Das World Wide Web wurde zur Bastion des freien Worts und zeigte seine ganze Sprengkraft nach den Duma-Wahlen 2011. Aus Bloggern wurden Oppositionelle und die wohl größten Proteste auf den Straßen Moskaus seit Jahren. Online ging offline und ließ den Kreml zittern.

Was folgte, war eine Fülle an Gesetzen, die versuchten, das Internet unter staatlichen Hausarrest zu stellen. Mit bisweilen absurden Auswüchsen. Neben Schwarzen Listen für Webseiten und obligatorischen Lizenzen für erfolgreiche Blogger sind auch Privatpersonen ins Fadenkreuz des Staats gerückt. Anfang dieses Jahres zum Beispiel wurde eine 47-Jährige aus Jekaterinburg zu 320 Stunden Sozialarbeit verdonnert. Sie hatte über das russische Facebook-Pendant vk.com pro-ukrainische Gedichte geteilt. Dennoch: Das Internet bietet noch immer einen Grad an Freiheit, den die übrige russische Öffentlichkeit vermissen lässt. Und so bleibt Medien wie TV2, die keine Fernsehlizenz mehr bekommen können, nichts anderes mehr übrig, als online zu sein. Aber auch das wird immer schwieriger.

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