Präsident auf Augenhöhe

Schulterschluss Warum die Mehrheit der türkischen Community in Deutschland zur AKP-Regierung steht
Ausgabe 30/2016
Wahlzettel einsammeln: Deutsch-Türken können aus der BRD Einfluss auf die türkischen Präsidentschaftswahl nehmen, so wie 2014
Wahlzettel einsammeln: Deutsch-Türken können aus der BRD Einfluss auf die türkischen Präsidentschaftswahl nehmen, so wie 2014

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

Auch die Stimmung unter den in Deutschland lebenden türkischstämmigen Bürgern wird durch den Putsch vom 15. Juli und dessen Folgen beeinflusst. Viele befürchten, dass die Konflikte zu Hause auf ihre Wahlheimat ausstrahlen. Und mancher fragt sich, warum Tayyip Erdoğan in Deutschland so viele Anhänger hat. Bei der Parlamentswahl am 1. November, bei der in den Konsulaten auch die Deutsch-Türken votieren konnten, kam die AKP auf knapp 60 Prozent der Stimmen.

Für diesen Rückhalt gibt es Gründe, der wichtigste: Bis Tayyip Erdoğan kam, wurden die Auslandstürken in Ankara nie ernst genommen. Sie spielten in den Regierungsprogrammen keine Rolle und sollten nur Devisen ins Land bringen. Was ihre Probleme und Wünsche waren, interessierte die damaligen Administrationen nicht weiter. Erst mit der AKP an der Macht wurde überhaupt an eine Politik für die in Europa lebenden Türken gedacht. Diese hatten erstmals das Gefühl, für eine Regierung in Ankara wichtig zu sein.

Das kannte die deutsche Mehrheitsgesellschaft bis dato nicht, das neue Selbstbewusstsein der türkischstämmigen Community irritiert bis heute. CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der sich von den Demonstrationen für Erdoğan gestört fühlt, hat wissen lassen: Wer hier lebe und arbeite, „dessen Loyalität liegt bei der Bundesrepublik Deutschland“. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ging noch einen Schritt weiter und legte demonstrierenden Erdoğan-Anhängern die Ausreise nahe.

Derartige Statements sagen mehr über Hilflosigkeit als über ein Bedürfnis nach Loyalität. Die Politik scheint überfordert im Umgang mit den konservativ-religiösen Türken, aus denen sich ein beachtlicher Teil der hiesigen Community rekrutiert – sie hat sich zu wenig um diese Milieus gekümmert. Es ist eben nicht, wie oft behauptet, der wirtschaftliche Aufschwung in der Türkei, der die Menschen Erdoğan in die Arme treibt. Die traditionalistischen Türken fühlten sich in der modernen Türkei stets strukturell benachteiligt – durch die AKP war es mit solcher Ausgrenzung vorbei.

Während eine große Gruppe der Türken hierzulande stets das Gefühl hat, von der deutschen Politik von oben herab behandelt zu werden, empfinden sie Erdoğan als einen der Ihren. Es geht nicht um Loyalität, sondern um die Begegnung auf Augenhöhe. Gleichwohl sind die Befürchtungen, dass externe Konflikte nach Deutschland getragen werden, nicht von der Hand zu weisen. Nach dem Putschversuch dominiert eine denunziatorische Stimmung unter den Deutsch-Türken. In den sozialen Medien sind Listen in Umlauf, die auf Restaurants, Geschäfte und Vereine hinweisen, die man boykottieren solle. Die Aufrufe reflektieren jenen besonderen Augenblick, den die Türkei gerade durchläuft. Die AKP und Erdoğan waren mit der Mission angetreten, ein polarisiertes Land zu befrieden. Seit den Gezi-Protesten und durch die Auseinandersetzung mit der Gülen-Sekte, die in der Tat seit Jahrzehnten staatliche Strukturen unterwandert hat, ist bezogen auf jenen Anspruch eine Veränderung eingetreten.

Die Beschäftigung mit „dem Feind“ und die heute vorherrschende Haltung, jeder Kritiker habe feindliche Absichten, ließ die AKP von ihrem anfänglichen Kurs abkommen. Das erinnert an Nietzsches Aussage: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Mancher AKP-Anhänger hat das Gefühl, dass seine Partei dabei ist, Eigenschaften vorheriger Regierungen anzunehmen, die man stets abgelehnt hat. Mit der jetzigen Stimmung wird eine Rückbesinnung auf den Gründungsmythos der Partei nicht gelingen, sondern die Polarisierung verstärkt. Und das werden dann auch die Türken in Deutschland spüren.

Eren Güvercin ist freier Autor, u. a. erschien von ihm das Buch Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation (Herder, 1,99 €)

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