Praller Charakter

Nachruf Proletarier sind keine Workaholics. Zum Tod von Manfred Krug (1937 – 2016)
Ausgabe 44/2016
Arbeiten, um zu leben: Liebling Volksschauspieler
Arbeiten, um zu leben: Liebling Volksschauspieler

Foto: United Archives/Imago

Manfred Krug ist vorangegangen. In den Westen. Unser Liebling hat in Kreuzberg für uns Quartier gemacht. Ein Tapetenwechsel. Thomas Brasch hasste den Westen und ist in ihm endgültig kaputtgegangen. Wolf Biermann wandelte sich vom Boheme-Kommunisten zum Nationalbarden. Manne Krug aber musste nur bei der Steuererklärung umlernen.

Mehrfach in seiner Karriere gab Krug einen Fernfahrer. In einer Szene seines ersten Trucker-Films (Weite Straßen – stille Liebe, 1969) wird der Skoda-Lkw von einem westdeutschen Volvo-Sattelzug rasant überholt. Das löst folgenden Dialog zwischen Krug und seinem Beifahrer (Jaecki Schwarz) aus: „Warst schon mal drüben?“ – „Nö. Und?“ – „Nichts. Die Bäume haben die Blätter oben und die Wurzeln unten.“ – „Und die Leute?“ – „Dumme gibt’s überall. Aber manche denken ganz vernünftig.“

Der Volvo-Fahrer (Volkmar Kleinert) wird später als Ein-Mann-Unternehmer unter Konkurrenzdruck dargestellt, der mit „Wir sind doch alle Deutsche“-Sprüchen nervt. Krug ist hier ein besonnener, zupackender Transportarbeiter. Nur ein paar Jahre später mimt er in Auf Achse (ab 1977) einen besonnenen, zupackenden Transportunternehmer, der selber fährt und sich des Konkurrenzdrucks erwehren muss. Ein leichtfüßiger Übergang, nicht weil da einer sich schnell anpassen konnte, sondern weil das doch nicht so verschieden war.

Manfred Krug übte seinen Beruf als Arbeit aus – und er arbeitete viel. Er war sich für nichts zu schade. Er machte, was anfiel. Hat auf einen guten Lohn geachtet. Und auf Qualität. Keine Schluderei, keine Nachlässigkeit. Aber auch kein Handschlag zu viel. Proletarier sind keine Workaholics. Sie haben ein Bewusstsein vom Wert der Arbeitskraft. Dem, der sie bezahlt, geben sie ein Äquivalent, nicht weniger, nicht mehr.

Genau so einer und kein anderer konnte einen Balla spielen (Spur der Steine, 1966), eine Figur, die in der Arbeit, wie sie in den 1960er Jahren eben auch in der DDR beschaffen war, ein Mittel zum Zweck sieht, keinen Selbstzweck. Die die Utopie des „Lebens, um zu arbeiten“ mit der Realität des „Arbeitens, um zu leben“ konterkarierte. Und das in einem Film, der den Spagat zwischen der überkommenen Härte der Arbeit und dem Anspruch einer neuen gesellschaftlichen Sinngebung ehrlich zu verbildlichen suchte.

Sheriff Manne

Knochenarbeit und höherer Sinn – wo aber bleibt der Spaß? Genau den hat uns Krug immer dazugeliefert. Mit Musik geht alles besser. Er wurde von den besten Regisseuren besetzt und neben große Charaktermimen wie Hilmar Thate und Jutta Hoffmann gestellt. Er spielte sie nicht an die Wand, er bestand neben ihnen. Und er nahm den Filmen ein Stück von der Schwermut, die diese oft umwölkte.

Regisseure wie Frank Beyer wussten das und wollten das. Den gut gemeinten, aber stocksteif inszenierten „Indianerfilmen“ der DEFA hätte Krug als Sheriff oder Revolverheld zur Leichtigkeit verholfen. So wie seine Darstellung des Bettlers in König Drosselbart (1965) die paternalistische Aussage des Grimm-Märchens und seiner Verfilmungen vergessen machen konnte.

Vielleicht ist es nicht so wichtig für einen Schauspieler, in jede Haut schlüpfen zu können, sondern nützlicher, ein origineller Typ zu sein. Der legitime Erbe der Commedia dell’Arte ist der Genre-Film. Seine Figuren brauchen weniger beliebige, wandelbare Darsteller als pralle Charaktere. Krug war so ein Typ, der nie in seiner Rolle verschwand. Beispielhaft seine Darstellung des Helden als antimilitaristischer Schalksnarr in einem der seltenen Filme, in denen das Thema Zweiter Weltkrieg komisch abgehandelt wird (Meine Stunde Null, 1970).

Die Gangsterklamotte Mit mir nicht, Madam (1969), in der er in immer neuen Episodenrollen erschien, bot die Bühne für Krugs Hanswurst-Talent, seine Lust am herzhaften Aufspielen. Dass darunter ein blackgefaceter Auftritt als sächselnder, weil in Leipzig studiert habender Afrikaner fiel, und dass die schwarze Jazz-Sängerin Etta Cameron, die eine Gastrolle gibt, als schöne „Exotin“ bezeichnet wird, zeigt nur, was zur unbeschwerten Sixties-Fröhlichkeit auch in der DDR-Variante gehörte.

Die Auf-der-Sonnenseite-DDR gibt es nicht mehr, und die Liebling-Kreuzberg-BRD ist verschwunden. Über Krugs Filme kann man sich heute nicht freuen, ohne auch zu trauern. Am 21. Oktober ist Manfred Krug mit 79 Jahren in Berlin gestorben.

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